Mit halber Kraft

Bologna-Folgekonferenz Studierende profitieren bislang kaum vom einheitlichen europäischen Hochschulraum

Bis zum Jahr 2010 soll der europäische Hochschulraum verwirklicht sein. Kernstück ist die flächendeckende Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge. Das beredeten die Wissenschaftsminister aus 46 europäischen Ländern, inklusive Andorra und des Vatikan-Staats, in der letzten Woche in London auf der Bologna-Folgekonferenz.

Die britischen Hochschulen müssen auf dem Weg in diesen Raum nichts verändern, weil sie das Vorbild für die europaweite Veränderung sind. Andere, wie die osteuropäischen, müssen ohnehin gerade alles umstellen - diese Länder können die vorzeitige hundertprozentige Erfüllung des Plansolls melden. Die deutschen Hochschulen dagegen haben ihre Studiengänge erst gut zur Hälfte umgestellt. Und die deutschen Studierenden hinken mit der Planerfüllung noch weiter hinterher. Erst im letzten Semester haben sich gut 40 Prozent der Erstsemester für einen Bachelor-Studiengang eingeschrieben. Vielerorts bleibt ihnen ja auch gar keine andere Wahl mehr.

Die Studierenden gehören bisher jedenfalls nicht zu den Nutznießern des einheitlichen europäischen Hochschulraums. Von mehr Mobilität, gar über die Landesgrenzen hinweg, kann keine Rede sein. Nur zwölf Prozent der Bachelorstudenten gehen während ihres Studiums ins Ausland, sei es für eine Studienphase oder auch nur für ein Praktikum oder eine Summerschool. Das sind nur halb so viele wie der Gesamt-Durchschnitt aller Studenten, inklusive der Diplom- und Magister-Studenten. Und nur zehn Prozent der angehenden Bachelors wechseln während des Studiums an eine andere Hochschule, im Gesamtdurchschnitt sind es 14 Prozent. Die Bologna-Reform bewirkt also genau das Gegenteil dessen, was mit der Einführung europaweit kompatibler Studienstrukturen versprochen wurde.

Leistungsnachweise aus der einen Hochschule gelten nicht ohne weiteres in einer anderen. Die neu konstruierten Bachelor- und Master-Studiengänge unterscheiden sich selbst innerhalb eines deutschen Bundeslandes, wie etwa Nordrhein-Westfalen, derart, dass zum Beispiel Lehramtsstudierende nicht mehr problemlos von Münster nach Bielefeld wechseln können. Gerade hat das Bundeskabinett beschlossen, das Hochschulrahmengesetz ganz abzuschaffen - damit wird es in Deutschland keine einheitlichen Regelungen für den Hochschulzugang oder die Abschlüsse mehr geben. Dann wird selbst der Wechsel von Mainz nach Wiesbaden ein Problem.

Das ist nur eine der Paradoxien auf dem Weg nach Bologna. Das Bachelor-Studium werde nur noch als Berufsausbildung missverstanden, bemerkte jetzt, nach fast zehn Jahren der Umstellung, der Rektor der Frankfurter Universität, Rudolf Steinberg. Ein klassisches Studium, in dem man sich mit Wissenschaft beschäftige, sei nicht mehr möglich. Das ist denen vorbehalten, die nach dem Bachelor in ein Master-Studium aufgenommen werden - was nicht jedem beschieden ist. In den USA geht man den umgekehrten Weg: das Bachelor-Studium soll ins wissenschaftliche Denken und Arbeiten einführen, danach kann man sich in der Master-Phase das nötige Berufswissen aneignen.

In Deutschland hat bisher nur die Universität Lüneburg mit ihrem Präsidenten Sascha Spoun, einem Liebling des bertelsmannfinanzierten Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), gewagt, aus dem Einheitskonzept der vermeintlich schnellen Berufsausbildung an der Uni auszubrechen und eine breite, humanistisch orientierte wissenschaftliche Grundbildung als Bachelor zu verkaufen. In London sah sich Bildungsministerin Schavan nun genötigt, den Bedenken aus konservativen Kreisen gegenüber einem Umkrempeln der Hochschulen in berufsorientierte Fachhochschulen Rechnung zu tragen: Nicht Harmonisierung, sondern Vielfalt sei nötig, erklärte sie dort, obwohl im Communique etwas anderes steht. Und: es müsse auch ein vierjähriges Bachelor-Studium möglich sein. Auch auf die Kritik an einer vereinheitlichten und verschulten Promotionsphase reagierte Annette Schavan beschwichtigend - es müsse weiter viele Wege zur Promotion geben.

Dass der große Zug nach Bologna noch aufzuhalten sei, dass es noch Alternativen gebe, daran glaubt kaum noch jemand. Aber mit dem geduldigen Aussitzen von Reformen hat man hierzulande reiche Erfahrungen. Aus Deutschland kamen, wie gesagt, nur verhaltene Erfolgsmeldungen auf der Bologna-Folgekonferenz in London. Soll man darüber unglücklich sein?


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