Mürbe Kekse

Nein, die Weihnachtssterne sind aus. Es gibt keine Weihnachtssterne, wirklich nicht. Ein Pulk bildet sich um den Nikolaus, enttäuschte Blicke auf das ...

Nein, die Weihnachtssterne sind aus. Es gibt keine Weihnachtssterne, wirklich nicht. Ein Pulk bildet sich um den Nikolaus, enttäuschte Blicke auf das Tablett. Ein letztes gerupftes Sternchen im Plastikübertopf und das kann sich der Möchtegern-Weihnachtsmann gern selber schenken.

Jeder Gast, der das Einkaufszentrum besucht, erhält eine kleine Weihnachtsüberraschung. Steht auf dem Plakat geschrieben. Schwarz auf weiß. Und nun das. Keine Weihnachtssterne mehr.

Einkaufen im Advent - das ist harte Arbeit, auf beiden Seiten des Verkauftresens.

Vorm Einkaufszentrum hupen sich Sonntagsfahrer ins Parkhaus, drinnen sausen gläserne Aufzüge auf und nieder wie im Kolbenmotor. Rolltreppen schieben Förderbändern gleich die Kaufkräfte nebst Gattin, Kind und Kegel in die Ladenpassagen und Arkaden-, nein, Arkadiengänge, wo es sich einer Beschäftigung nachgehen lässt, die man Lustwandeln nennen könnte, würde man sich nicht gegenseitig auf den Füßen herumtreten. Es gibt Bratäpfel und Zuckerwatte und Lebkuchenherzen mit Namen der Liebsten drauf. Das alles fliegt beinah von selbst in den Mund, man muss aber vorher bezahlen.

Im Foyer zerbröseln Lebkuchenherzen unterm Stiefel, über den Köpfen, im Kaufhaushimmel, baumeln furchterregend große Weihnachtskugeln. Viel zu junge Weihnachtsmänner legen unter lautsstarkem HOHOHHO ihre Hände auf die Wänste. Das ist Trubel, das ist Vorfreude zum Anfassen: Einkaufsgebeutel in den Kniekehlen, der Knauf eines fremden Regenschirms im Gesicht, im Fluss bleiben Mensch, im Fluss bleiben! Aua, oh Pardon!

Bei Tschibo haben sie jetzt blinkende Bommelmützen auf dem Kopf und am Ende der Rolltreppe kullert eine herrenlose Bratwust im Senf. Ein passionierter Ortschronist wird späterhin im Heimatblatt behaupten, wir hätten uns wie Bolle, nämlich prächtig amüsiert.

Natürlich verschweigt er, dass es sich zu anderen Zeiten noch prächtiger, nämlich ungestört einkaufen lässt, das aber ist eines jener Geheimnisse, die Prominente den Journalisten in VIP-Lounges als Hintergrundinformation zutuscheln. Niemand käme etwa auf die Idee, unter dem Foto einer einsamen Rentnerin mit Rollkoffer zu schreiben: Frau Krause lutscht sonntags Mürbekeks mit Tee, ihre Geschenke kauft sie werktags und schon im November.

Nein, wir quälen uns mit Freuden. Wo bliebe die Berechtigung, sich ins Kanapee fallen zu lassen und zu seufzen: Jedes Jahr dieser Stress vorm Fest! Für den Berliner, so Tucholsky, ist auch das Vergnügen eine Arbeit, vor der man sich in die Hände spuckt. Deshalb die vielen ernsten Gesichter, als sei Geschenkekaufen eine staatstragende Angelegenheit. Und das ist es ja schließlich auch.

Im Einkaufszentrum brennt noch Licht, elektrische Kerzen und Lichterketten, die auch über die Feiertage einsam leuchten. Die Kundenkolonnen werden in die Stuben heimkehren und meine Begleiterin und ich, wir dürfen stolz auf uns sein: Weil wir alle Geschenke beisammen haben und uns - endlich! - bequem bei einer Tasse Tee und Mürbekeksen zurücklehnen dürfen.


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