Nicht mehr als eine Chance

Die "rote Linie" überschreiten Die Europäer sollten endlich eine UN-Friedensmission für den Irak vorschlagen und sich aktiv daran beteiligen

Weiter so mit der desaströsen Politik der vergangenen 14 Monate und tiefer hinein in den mesopotamischen Morast - so die Quintessenz der Rede, mit der US-Präsident George Bush am 24. Mai vorzugsweise die amerikanischen Wahlbürger zu überzeugen suchte, er habe nicht nur ein Konzept zur Stabilisierung und Demokratisierung des Irak, sondern auch eine Exit-Strategie für die 140.000 Besatzungssoldaten. "Die Iraker sind ein stolzes Volk, das ausländische Kontrolle über seine Angelegenheiten ablehnt." Diesen einzigen klugen Satz seiner Rede hat Bush entweder selbst nicht verstanden - oder er hält die Welt tatsächlich für so beschränkt, seiner Beteuerung zu glauben, die im vorgelegten Entwurf für eine neue Irak-Resolution der UNO enthaltenen Vorschläge sollten die Blockade der irakischen Souveränität beenden.

Unabhängig von den USA hat Europa ein erhebliches Eigeninteresse an einem befriedeten Irak - wie oft in den vergangenen Monaten haben europäische Politiker diesen Satz von sich gegeben? Ein zutreffendes Urteil. Nur müssten die Europäer endlich anfangen, entsprechend ihrem "erheblichen Eigeninteresse" zu handeln und die weiteren Ereignisse relevant zu beeinflussen. Eine möglicherweise letzte Chance hierzu ist ein klares und öffentliches Veto gegen den anglo-amerikanischen Entwurf besagter UN-Resolution. Stattdessen wird die Blaupause für eine fortgesetzte Katastrophe im Irak vom - lange Zeit als erster EU-Außenminister gehandelten - deutschen Außenamtschef Fischer als "sehr gute Grundlage, auf der ein Konsens erreicht werden kann" beschönigt. Die kritischere Reaktion Frankreichs nimmt zwar eine Reihe wunder Detailpunkte des Entwurfs ins Visier, doch vermeidet auch sie, das entscheidende "Detail" beim Namen zu nennen: Nach allem, was in den vergangenen 14 Monaten im Irak passiert ist, wird es keine Befriedung geben, geschweige denn Demokratie, solange dort amerikanische und britische Truppen stationiert bleiben. Auch dann nicht, wenn diese Verbände künftig als "multinationale Streitmacht" mit UN-Mandat verkleidet werden. Und unabhängig davon, wie ihre Kompetenzen und ihr Verhältnis zu einer irakischen Interimsregierung geregelt werden.

Eine Chance - keine Garantie! - für eine Wende zum Besseren im Irak gibt es überhaupt nur, wenn die bisherige Besatzung abzieht. Je eher, desto besser. Allerdings bedürfte es dann - zumindest bis zu allgemeinen Wahlen - einer starken internationalen Präsenz ziviler Moderatoren für ein internes Konflikt-Containment sowie einer adäquaten Sicherheitspräsenz. Das Modell mit den größten Aussichten auf Akzeptanz bei den Irakern wäre ein aus Soldaten und Polizisten bestehendes UN-Friedenskorps, rekrutiert in Staaten - unbedingt auch islamischen -, die nicht am Irak-Krieg beteiligt waren. Bislang wurde ein solches Modell stets mit dem Argument verworfen, die Bush-Administration würde es eisern blockieren. Zudem habe UN-Generalsekretär Annan erklärt, die erforderlichen 150.000 Mann eines derartigen Kontingents zum Entsatz der jetzigen Koalitionstruppen ließen sich ohnehin nicht finden. Doch geht es wirklich um Ersatz im Verhältnis 1 : 1? Könnte man nicht für eine derartige Mission wegen ihres völlig anderen politischen Ansatzes und der höheren Akzeptanz bei den Irakern mit 40.000 Mann auskommen?

Im Übrigen hat Annan eine solche Mission keineswegs grundsätzlich abgelehnt, sondern sie wegen der bisher erkennbar fehlenden Bereitschaft der in Frage kommenden UN-Mitgliedstaaten, sich daran zu beteiligen, lediglich als unrealistisch beurteilt. Auch wäre auszutesten, was die Bush-Regierung angesichts einer drohenden Wahlniederlage zu tolerieren bereit ist. Eine Chance hätte eine derartige UN-Friedensmission nur, würde sie endlich von europäischen Staaten - auch hier gilt: im Idealfall gemeinsam mit islamischen Ländern - vorgeschlagen. Dies müsste den politischen Willen einschließen, notfalls einen militärischen Beitrag zu leisten. Spätestens dann wäre auch die "rote Linie" - keine eigenen Soldaten in den Irak - zu überprüfen, die derzeit in Deutschland noch von der Friedensbewegung bis zur CDU/CSU als Ersatz für konstruktive Politik herhalten muss.


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