Im Bellevue di Monaco sitzen Peter Cachola Schmal und Oliver Elser vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Sie verantworten als Generalkommissar und Kurator den Beitrag für die 15. Architekturbiennale in Venedig. Die Holzstühle, auf denen sie Platz genommen haben, um hier in München vorab ihre Arbeit zu präsentieren, sind so unbequem wie die Pläne für den Deutschen Pavillon, Titelthema: Making Heimat – Deutschland als Ankunftsland. Erwartet uns eine Feldbettenschau?
Leicht abgefuckt ist der Veranstaltungsort. Der Boden wurde gerade erst herausgerissen, eine Scheibe ist zerschlagen und mit Folie überklebt. Im Bellevue di Monaco entsteht ein Willkommenszentrum. Die Stadt überlässt den engagierten Bürgern dazu dieses und zwei weiter
ses und zwei weitere Häuser. Bald wohnen hier Geflüchtete, finden Veranstaltungen statt und treffen Alt-Münchner auf potenzielle Neu-Münchner, mitten im Stadtzentrum. Es bildet sich darin ab, was München im vergangenen Herbst zum Symbol der deutschen Willkommenskultur machte: die applaudierenden Menschen, die am Hauptbahnhof täglich tausende Flüchtlinge begrüßten.Erst Ende Mai beginnt das alle zwei Jahre stattfindende Gipfeltreffen der Architektur in Venedig, doch schon jetzt ist ein wesentlicher Teil des Ausstellungskonzepts online zugänglich. Seit Oktober sammelt das Team des Pavillons bestehende und geplante Projekte für die Unterbringung von Geflüchteten und speist sie in eine öffentliche Datenbank ein. Sie soll Städteplanern, Architekten und Behörden als Ideenfundgrube dienen. Es gibt keine Juryauswahl und keinen Preis zu gewinnen. Die Abgefucktheit dieses provisorischen Orts verweist auf eine spannende Frage: Was braucht es für ein Zuhause?Placeholder image-1Jan Schabert freut dieser Perspektivwechsel wie ein Kind. Der Architekt des Münchner Büros Günther & Schabert hat eigentlich gerade einen Lehrauftrag in Kapstadt, wo er Architekturstudenten die einfachsten Dinge beibringt. Zum Beispiel die Vorteile eines Waschbretts gegenüber einer Schlammpfütze. „Da geht es nicht um Chichi“, sagt er und ist gespannt, wie es seiner Leichtbauhalle geht. Ist Architektur Kunst, Herr Schabert? „Nein“, sagt er und schüttelt den kahlrasierten Kopf. Sie ist erst mal pragmatische Notwendigkeit.Kurator Oliver Elser zeigt Fotobeispiele sogenannter Arrival Citys. Mit diesen Ankunftsstädten, die der kanadische Journalist Doug Saunders analysiert hat, haben sie sich lange auseinandergesetzt und mit Saunders Thesen entwickelt. Arrival Citys gibt es in Deutschland noch nicht. Sie entwachsen meist illegalen Siedlungen, in denen sich die Bewohner selbst organisieren. Dann entstehen kleine Gewerbe, Wasser- und Stromleitungen werden angezapft, Straßen gebaut. Das kann schiefgehen, etwa wenn die Selbstorganisation in die Hände von Kriminellen fällt. Trotzdem kann der Städtebau davon lernen. Alejandro Aravena, der der diesjährigen Architekturbiennale vorsteht, hat in Chile die Quinta Monroy gebaut. Eine Siedlung für einkommensschwache Familien. Die Gebäude sind ein Anfang. Sie bieten ein Dach über dem Kopf und lassen sich bei guter Wirtschaftslage der Bewohner nach und nach eigenhändig ausbauen oder umgestalten. Ein bisschen mehr Arrival City soll auch in Deutschland möglich werden.Baujahr 1925Eines der Fotobeispiele, die Oliver Elser präsentiert, ist doch von hier. Es zeigt die Wohnungsbauoffensive des Architekten und Städtebauers Ernst May, der in Frankfurt am Main 12.000 bezahlbare Wohnungen bauen ließ. Baujahr: 1925. Dazwischen klafft eine Lücke von vielen Jahren Versäumnis. „Der Wohnungsdruck wird und muss Folgen haben“, sagt Peter Cachola Schmal. Und es ist gut, dass er es sagt. Dieser Deutsche Pavillon ist der politischste, den es bei einer Architekturbiennale gab. Es geht dabei nicht nur um Geflüchtete, sondern um die Integration der sozial Schwachen. Die Neuankömmlinge haben den nötigen Impuls gegeben.Ein Ausflug zu einem der Projekte aus der Datenbank. Im Herbst kaufte die Stadt München 18 Leichtbauhallen, Messehallen aus Aluminiumstangen mit einem weißen Luftpolsterdach, schnell auf- und abgebaut, winterfest und damit flexibel einsetzbar. Jan Schabert durfte sich überlegen, wie man daraus eine günstige und heimelige Überbrückungseinrichtung für Flüchtlinge macht, möglichst schnell bezugsfertig und ohne gestapelte Feldbetten.In München-Daglfing, zwischen Pferdeweiden und der Waldorfschule, erheben sich drei dieser Hallen hinter einem kleinen Erdwall. In Jeans und abgetretenen Turnschuhen führt Schabert jetzt durch die Halle, den schwarz-weißen Schal locker um den Hals geworfen. T-förmig fügen sich Sperrholzwände zu kleinen Kojen zusammen. In jeder stehen zwei Spinde und zwei Feldbetten, darüber je ein kleines Regal. Der Architekt erzählt, dass die Hallenkonstruktion und Brandschutzauflagen wenig Spielraum ließen. Türen sind genauso wenig erlaubt wie Wände über 1,60 Meter. Zu wenig Raum für Privatsphäre. Doch an den Holzwänden sind schräge Bänke und Steckdosen angebracht. „Nicht zu viele“, sagt Schabert. Er wollte Anreize zum Gespräch schaffen. Er hat die Zwischenräume ausgenutzt und eine Art Dorfplatz geschaffen. Auf den Bänken sitzen Mütter mit ihren Töchtern, ein junger Mann telefoniert. Und alles darf ein bisschen krumm und schief sein. „Wir wollten kein gutes deutsches Lager bauen.“20.000 NormenEin kleiner Junge hüpft johlend aus der Hallentür. Draußen stehen Menschen in Grüppchen zusammen, die Außenwand ist von Fußballabdrücken übersät. Das kommunikative Konzept scheint aufzugehen. Jan Schabert clownt mit schlaksigen Bewegungen vor einer Zweijährigen herum, bis sie die Nase zu einem schüchternen Lächeln krauszieht. Drei Monate hat man für den Bau gebraucht, er ist zunächst für zwei Jahre genehmigt. Ein Ort des Übergangs. Maximal vier Monate sollen sich Geflüchtete hier aufhalten, bevor sie verlegt werden. Mehr Heimat ist unter diesen Bedingungen nicht machbar. Aber Schabert ist stolz, ein bisschen auf sich, mehr auf die Verwaltung.20.000 Normen gibt es im deutschen Baurecht zu beachten. Hätte man die alle penibel eingehalten, würde die Halle so nicht stehen. „Ich war überrascht, wie schnell Bauen gehen kann“, sagt Schabert. Plötzlich fanden sich kreative Lösungen. Dass viele der Unterkünfte als vorübergehende Bauten genehmigt werden, erleichtert einiges. Was erst mal steht und sich bewährt, wird so schnell meist nicht wieder abgebaut. Im Bauministerium überprüfen sie derzeit unter Hochdruck, wie viele der 20.000 Normen tatsächlich notwendig sind. „Wir erfinden gerade Regeln für die Regellosigkeit“, fasst Peter Cachola Schmal die deutsche Kreativität zusammen.In der Datenbank finden sich andere ungewöhnliche Beispiele, die zeigen, was sich etwa aus Containern oder Holzbaumodulen alles machen lässt. Und die Architekten entwerfen Mischkonzepte für Künstler, Geflüchtete, Alleinerziehende und Wohnungslose. Es sind kleine Visionen mit kleinen Baukosten, die langfristig eine größere Wirkung haben könnten als Prachtbauten, die kunstvoll in den Himmel ragen.Wenn die Münchner Hallen ab Ende Mai in ihrer schönen Pragmatik in Venedig präsentiert werden, wollen Architekt Jan Schabert und einige Kollegen aus der Verwaltung gemeinsam zur Biennale reisen. „Und das“, findet er, „ist doch ein gutes Signal.“Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.