Pia Marais´ Film

Kino Die Unerzogenen

Allein der Trailer zu Pia Marais´ Debütfilm Die Unerzogenen sieht aus wie ein verfilmter Alptraum von Ursula von der Leyen oder ein warnender Spot des Familienministeriums. Die Bilderfolge ist wirklich zum Gruseln: verwahrloste Typen im Garten, eine Crackraucherin in der Zimmerecke, verhärmte Erwachsene, die beim Vögeln bestimmt nicht darauf achten, ob die Tür zum Flur geschlossen ist. Dazu die Texteinblendung: "Sie hängen herum. Sie konsumieren. Sie sind hemmungslos. Sie sind ihre Eltern." Zum letzten Satz ist Céci Chuh zu sehen, die im Film das 14-jährige Mädchen Stevie spielt.

Ein undeutlich formuliertes Anliegen kann man dem Film also nicht vorwerfen. Schon der doppeldeutige Titel macht klar, worum es geht. Die Unerzogenen - das sind in diesem Generationenspiel Erwachsene und Kinder gleichermaßen, und wenn Stevie von ihren Eltern keine Erziehung erwarten kann, dann deshalb, weil diese selbst so unerzogen sind. Dem pubertierenden Mädchen fehlt es an Halt. Schließlich haben ihre Eltern, Axel (Birol Ünel) und Lily (Pascale Schiller), sie ein Kinderleben lang durch halb Europa geschleift. Dass Axel sein Geld durch Drogenhandel ranschafft, erzählt der Film nur am Rande. Deutscher Führerschein, belgischer Pass, das Auto in Portugal gemeldet - so gerät der unstete Familienvater leicht ins Visier von Zollbeamten. Plötzlich aber stirbt der Großvater, und so verspricht das leer gewordene Haus irgendwo in der deutschen Provinz so etwas wie einen Neuanfang. Doch anstelle eines geregelten Familienlebens mit Realschulanschluss muss Stevie erleben, wie sich hier die dubiosen Freunde ihrer Eltern ausbreiten.

So zeichnet der Film eine in neorealistischer Grobkörnigkeit gehaltene Milieustudie des White Trash. Schnell ist absehbar, dass die kreuz- und quergestrickten Sexgeschichten der Erwachsenen ebenso fatal enden werden wie dauernder Konsum von Alkohol, Zigaretten und Crack. Für Stevie ist das keine geeignete Umgebung. Besonders wenn die eigene erwachende Sexualität noch leise an die Tür klopft. Da ist es Stevies Glück, dass der doppelt so alte Ingmar (Georg Friedrich), auch er einer von Axels Freunden, integer genug ist, die diesbezüglichen Avancen des Mädchens zurückzuweisen. Stevie flüchtet in eine Parallelwelt. Auf gefundene Fotos glücklicherer Familien klebt sie die Köpfe ihrer Eltern und erzählt ihren gleichaltrigen Freundinnen, dass sie nur deshalb keine Schule besucht, weil die Eltern auf der Ausbildung durch einen teuren Privatlehrer bestehen. In Stevies Version arbeiten Axel und Lily für die brasilianische Botschaft. Die Freundinnen ahnen wohl, dass an solchen Geschichten etwas faul ist. Gerade deshalb beneiden sie Stevie aber umso mehr um ihr unspießiges Zuhause: "Deine Eltern haben eine komische Ethik. Die sind viel abgefahrener als meine." Wer will aber schon um eine biografische Katastrophe beneidet werden?

Pia Marais, die Regisseurin, ist, wie sie selbst sagt, ein Kind von Hippies, ihr Film daher eine persönliche Angelegenheit. Als Tochter eines südafrikanischen Schauspielers und einer schwedischen Mutter hat sie am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn die eigenen Eltern sich mehr für Drogen und Partys interessieren als für Erziehung. Mit einem gewissen Stolz gibt Marais zu Bericht, dass sie von ihrer Mutter in einem hellsichtigen Moment immerhin auf eine Waldorfschule geschickt worden sei. Vielleicht rührt daher der pädagogische Impetus der Regisseurin. Eher gut gemeint als gut gemacht bettelt ihr Film in jeder Einstellung um das Prädikat "Besonders wertvoll." Das aber sollte Filmen wie Christian Petzolds Die Innere Sicherheit vorbehalten sein oder Bettina Blümners Prinzessinenbad. In denen nämlich kommt die Beschreibung von vernachlässigten und dadurch konservativ gewordenen Kindern auf den Punkt. Die Unerzogenen gewinnt aber niemals den nötigen Abstand zur Materie. So steht am Ende selbst ein schrecklich konservativer Film, der auch durch hölzerne Dialoge auf die Nerven geht. Wäre nicht Birol Ünel, der Stevies Vater spielt, ein so hervorragender Schauspieler - man hielte es kaum aus.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden