Homöopathie von Samuel Hahnemann: Querköpfiges Revoluzzertum

Alternative Medizin Vor 250 Jahren wurde Samuel Hahnemann geboren

Knurrig wirkt er und wenig glamourös - neben Einstein, Schiller und Elvis Presley gerät ein alter Arzt fraglos ins Abseits. Macht nichts. Ohnehin hat Samuel Hahnemann der Eigenbrötelei angehangen und am liebsten mächtige Folianten studiert oder am Küchenherd mit Arzeneien hantiert. Das gigantische System seiner Einsichten vermochte dennoch Weltruhm zu erlangen - und bis heute die Heilkundigen zu entzweien.

Samuel Hahnemanns Homöopathie: Da wird viel geschüttelt und gerührt und in differenziertester Abstimmung sowohl mit der zu kurierenden Symptomatik als auch mit der Patientenpersönlichkeit schließlich nur ein einziges Präparat verabreicht, das nach dem begriffsstiftenden "Ähnlichkeitsprinzip" (griechisch: homoios = ähnlich, pathos = Leiden) sodann in optimaler Weise wirkt. Geniales Verfahren oder glatter Humbug? Eigentlich nichts anderes als das Ergebnis eines Kampfes gegen ärztliche "Vermutungskunst" - ein Spross aus der unzeitgemäßen Verbindung von Empirie und Vernunft.

Geboren wurde Samuel Hahnemann am 10. April 1755 als Sohn eines Porzellanmalers in Meißen. Ein hochbegabter, selbstständiger Schüler, daraufhin ein ruheloser Student, der, schwer zufrieden zu stellen, seinen Professoren auf die Nerven ging. Inmitten der verwirrten Ärzteschaft des 18. Jahrhunderts, die wahllos zu Aderlass und Klistier griff und Unmengen von Brechweinstein, Quecksilber und Opium verabreichte, wollte Hahnemann partout nicht zum "Mörder" werden. So gab er sogar zeitweilig seine Praxis auf, um, ganz im Sinne der Aufklärung, "rationelle" Regeln des Heilens zu finden - eine Medizin "ohne Alfanz drum und dran", was so viel bedeuten sollte wie: "ohne überflüssigen Hypothesenkram".

Sprachgewandter Hitzkopf, Renegat aus honorigen Gewissensgründen: Die Kranken starben an Fieber und Katarrhen und am frei verkäuflichen Arsen, ihr Siechtum hing an den seidenen Fäden konkurrierender akademischer Theorien. Hahnemann polterte: "Arzneibuben!", "Medikaster!" und "Brotklauber!", und spie auf den "vermoderten Adelsbrief" eines medizinischen Systems, das seine klägliche Unwissenheit hinter "Rezepthandel" und Hybris verbarg.

Der neuen "hülfreichsten Heilkunde" war Hahnemann da schon auf der Spur: Bei seinem legendären Selbstversuch mit der als Malaria-Medikament bereits bekannten Chinarinde nahm er, eben noch beschwerdefrei, ähnliche Symptome an sich wahr wie die Malaria sie hervorbringt. Vier Jahre später, 1796, war der Kernsatz der Homöopathie formuliert: "Similia similibus curentur" - "Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt". Ein einfaches, höchst preiswertes Heilprinzip. Das medizinische Establishment feixte.

Für die einen eine "göttliche" Erscheinung, für die anderen ein Narr der Medizin, konnte dem Doktor Samuel Hahnemann jedenfalls eins nicht streitig gemacht werden: sein querköpfiges Revoluzzertum, gespeist aus gesundem Skrupel und bis zum Tod nicht zu bremsendem Elan.

Endlose Testreihen, exakte Protokolle. Über siebzig Bände wird der Homöopath allein mit seinen Krankenjournalen füllen und in zierlicher Schrift Indiz um Indiz gegen die aufgeblasenen Arztkollegen und die kratzige Apothekerzunft sammeln; hinzu kommen zahllose Aufsätze und nach wie vor gültige Standardwerke. Mit seiner ersten Frau Henriette hatte er dreizehn Kinder und zog mehr als 20 Mal um, meist in Nord- und Ostdeutschland - entweder, weil er seinen Beruf nicht ausüben durfte oder weil ihm Nachbarn die Fensterscheiben einwarfen; und immer reichte das Geld nicht hin.

Fünf Jahre nach Henriettes Tod heiratete Samuel Hahnemann - fast 80-jährig - eine 34-Jährige: die französische Malerin und Dichterin Mélanie d´Hervilly, die, eine Marquise in Männerkleidung, ihn in der sächsischen Kleinstadt Köthen wegen Bauchschmerzen konsultierte. Das verliebte Paar nahm Wohnung in Paris, wo sich die Hautevolée aus ganz Europa und gelegentlich sogar aus Übersee für die Homöopathie begeisterte und - märchenhaft - dem Meister aus Meißen triumphale letzte Jahre bescherte. Auch in Paris saß Samuel Hahnemann noch immer über voluminöse Bücher gebeugt, behandelte mittellose Patienten umsonst, aß gerne Kuchen und Eiscreme und rauchte - bis er am 2. Juli 1843 mit 88 Jahren sanft dahinstarb.

Gerade wurde das "Jahr der Homöopathie" ausgerufen. Eine gute Gelegenheit, sich einer ärztlichen Rebellion zu erinnern.

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