Reden hilft

Linksbündig Meinhard von Gerkan hat Recht bekommen - ein Sieg der Baukultur?

Meinhard von Gerkan hat Recht bekommen: Vor dem Berliner Landgericht, in erster Instanz. Die Decken in der Tiefetage des Berliner Hauptbahnhofes müssen nach den ursprünglichen Plänen des Architekten umgebaut werden. Die Flachdecke - von Gerkan als Konstruktion wie bei Aldi verspottet - werden demnach doch noch zum Glasgewölbe. Das Tageslicht wird vierzig Meter tief auf den Asphalt der Bahnsteige fallen, und Reisende noch unten im Erdreich einen Eindruck von der monumentalen Glaskonstruktion erhalten. Wenn der Kläger auch in der zweien Instanz gewinnen wird - dann kommt es wirklich so.

Gerkan lässt schon einmal die Champagnerkorken knallen, und das ganze Land feiert mit ihm einen Sieg der Baukultur: Einem Architekten wurde per Gericht das Recht an "seiner geistigen Schöpfung zugesprochen, und vielleicht ist ein Präzedenzfall entschieden. Vor dem deutschen Urheberrecht, so steht es jetzt Schwarz auf Weiß, gilt das Schaffen des Architekten nicht weniger als das des Malers, des Dichters oder des Komponisten. Das Wort Werk schwirrt durch die Debatten, endlich ist es gegen die Banalisierungsversuche der Macher gefeit.

Die Reaktionen auf das Urteil machen vor allem eines deutlich: Die Hochachtung vor dem Berufsstand der Architekten scheint ebenso verbreitet, wie die Unkenntnis über die Bedingungen, unter denen gebaut wird. Es wird sich kaum eine Bushaltestelle finden, die ein getreues Abbild der Vision eines Architekten ist, denn gebaut wird niemals um des Bauens willen, sondern immer für einen Bauherrn. Architekt und Bauherr sind ein ungleiches Gespann, zum gemeinsamen Erfolg verurteilt. Im selben Boot sitzen sie, weil der eine Visionen hat und weiß, wie man sie realisiert, der andere weil er dafür bezahlen kann. An Visionen mangelt es selten, Geld dagegen ist seinem Wesen nach knapp. Und die Ansprüche an das gemeinsame Projekt sind oftmals recht verschieden.

Gerkan zum Beispiel wollte gern eine ICE-Kathedrale bauen, Mehdorn wünschte sich eine Shopping-Mall mit Gleisanschluss. Dies ist kein Drama und muss nicht vor Gericht enden. Der Entwurf - ob Bushaltestelle oder Hauptbahnhof - ist kein Heiligtum, nichts Unantastbares. Er ist Verhandlungsmasse. Die Auseinandersetzung um ihn muss produktiv gestaltet werden. Am Ende kann ein im wörtlichen Sinne verbesserter Entwurf stehen. Planen ist ein Kommunikationsprozess. Gestalten heißt Reden. Norman Foster hat es für sein Büro auf den Punkt gebracht: "We design by challenging - by asking the right questions." Gestaltet wird, indem provoziert, indem herausgefordert wird.

Heute gilt die Kuppel des von Foster umgebauten Reichstags als architektonische Glanzleistung. In Fosters ursprünglichem Entwurf war sie nicht vorgesehen. Irgendwer muss auf die Kuppel bestanden haben. Dem Ergebnis hat es nicht geschadet. Reden hilft offenbar.

Ein Maler oder Schriftsteller kann sich wie ein Autist gebärden. Seine ästhetische Produktion kann atemberaubend sein. Aber niemand hätte eine konkrete Erwartung an ein Gemälde. Eine Bushaltestelle dagegen sollte zumindest vor Regen schützen. Unser Anspruch an die Arbeit eines Architekten - oder auch des Designers - ist deshalb eine andere als an die eines Künstlers. Fehlende Funktionalität etwa trifft uns viel schmerzhafter als ein Mangel an Schönheit. Die Kritik, in Gerkans Bahnhof verpasse man immer den Anschlusszug, weil man den Bahnsteig nicht findet, wiegt noch schwerer als der Vorwurf, die Decke sähe aus wie bei Aldi.

Das Urheberrecht schützt das Verwertungsrecht und das Persönlichkeitsrecht des Autors. Es schützt Meinhard von Gerkan vor der Entstellung seines Entwurfs durch die Deutsche Bahn. Ihm wurde übel mitgespielt, das Urteil ist gerecht, keine Frage. Was für einen guten Architekten gilt - dass er bereit ist, seinen Entwurf zu diskutieren - gilt umgekehrt auch für den Bauherrn. Die Deutsche Bahn hat sich offenbar als hundsmiserabler Bauherr erwiesen. Wir sollten uns jedoch nicht auf die verkürzte Interpretation des Urteils einlassen, wie es durch die Feuilletons der letzten Tage geisterte. Nicht die Änderung des Entwurfs hat das Gericht verurteilt! Verurteilt wurde, dass der Bauherr die Änderungen nicht mit dem Architekten diskutiert hat.


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