Wenn wir Pech haben, wird das jetzt zur Tradition: alljährlich und zum Jahresbeginn ein Filmmusical, das seinen Zauber dermaßen marktschreierisch verspricht, dass es meint, sich nicht mehr um die Einlösung des Versprechens bemühen zu müssen. Letztes Jahr war das La La Land, dieses Jahr ist es The Greatest Showman. Was passt: Die Geschichte dreht sich um eine Art Zauberer, dem es gelang, sein Publikum an der Nase herumzuführen – um den US-amerikanischen Showbusiness- und Zirkuspionier P. T. Barnum, der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der aufkommenden Unterhaltungsbranche eine Industrie machte.
Barnum reiste mit eigens rollenden Zügen durch die USA, zeigte Riesenelefanten und scheinbar echte Meerjungfrauen, ließ Trapezkünstler auftreten
rapezkünstler auftreten und holte die damals in Europa schon äußerst erfolgreiche schwedische Sängerin Jenny Lind in die Staaten, wo sie zum Superstar wurde. Aber Barnum war nicht nur der Zampano, der den Massengeschmack verstand, er war vor allem ein Manager, ein Marketing-Ass, ein Karrierist, ein Vorzeigekapitalist.Zu Beginn von The Greatest Showman wird der Zusammenhang von Zauber und Business kurz sichtbar: Wir sehen ein dampfendes, chic-schmuddeliges Modellbau-New-York. Die Urbanisierung, der Kapitalismus – das waren die Voraussetzungen für eine Unterhaltungsindustrie. Sie schufen die Freizeiträume, die Leute wie Barnum nur noch besetzen mussten.Und tatsächlich hat man kurz den Eindruck, der Film bemühe sich, nicht nur seinen Musicalzauber durchzuhexen, sondern auch ins Gewerk dahinter zu blicken. Weit gefehlt. Erstens, weil Regisseur Michael Gracey mit der historischen Figur Barnum nichts weiter vorhat als Totalverklärung, und zweitens, weil sein Film nicht die Muskelkraft besitzt, die filmische Musicalwelt mit Schmackes anzuschubsen.Erzählerisch gesehen geht The Greatest Showman ungefähr so: Mit milchbezahntem Unschuldsgrinsen geben anfangs die beiden kleinen Töchter dem Entertainer-Papa (Hugh Jackman), der mit seinem Wachsfigurenkabinett nicht sonderlich erfolgreich ist, den Tipp, den Leuten etwas Lebendiges zu präsentieren. Prompt kommt der auf die Idee, Menschen mit besonderen körperlichen Eigenschaften ins Rampenlicht zu treiben: eine Frau mit Vollbart, siamesische Zwillinge, Großgewachsene, Kleingewachsene. Sie sind da, um den Showman zu umtanzen und manchmal chorisch zu begleiten.Alle froh im MenschenzooDas Publikum ist gespalten. Diskriminierung trifft auf Schaulust – und ein fieser Theaterkritiker mit Nickelbrille schießt einen Verriss nach dem anderen ab. Der Großteil des Films handelt von dieser Menschenshow und dem Erfolg, den Barnum mit ihr feiert. Anfangs zieren sich die Schausteller, dann aber merken sie, wie sie zur Familie zusammenwachsen, wie sie Mensch werden in der Manege. Ein Mann mit einer Wachstumsstörung ist skeptisch. Barnum wolle nur Kapital aus seiner grotesken Statur schlagen. „Aber nein, nein“, weiß der Showman, „die Welt wird dich lieben!“ Sogar der Kritiker muss am Ende zugeben, dass diese Show eine Feier der Menschlichkeit ist. Geht’s noch? Der Menschenzoo als Humanismus-Party – so kann das nur sehen, wer die Augen zumacht.Eine solch massive Dummheit wie die, Kritik durch die Einverleibung des Kritikers als hinreichend aus der Welt geräumt zu denken, lässt sich auch einem Musical nicht verzeihen, dem man aus Gründen der Gelenkigkeit die ein oder andere Buntwaschung nachsehen könnte. Gracey verliert die Kontrolle über sein Verklärungsprojekt – und landet im astrein Autoritären. Wo der Showman heilig ist, herrscht ein Liebeszwang, der jedes kritische Außen abschafft. Wie der Film sein Personal zum Ja und Amen zwingt, fantasiert er sich sein Publikum zurecht. So kriegen wir mit dem Entertainer den Heiland serviert.Begleitet wird die politische Irrfahrt von The Greatest Showman von musikalischer Ambitionslosigkeit. Die wahlweise mit sortierenden Klavierakkorden oder nagelndem Perkussionsgepumper aufgehübschten Charts-Nummern legen es nicht mal auf relative Haltbarkeit an. Trivial ist die Musik, weil sie so willenlos ist.Den Rest sollen die Bilder erledigen. Etwa wenn Jackman und Zac Efron (als Zirkus-Assistent Carlyle) an einem Tresen singend ihre Partnerschaft besiegeln und dabei die Schnapsgläser viervierteltaktsicher auf die Platte knallen. Efron ist – nachdem Michelle Williams als Barnums Frau an den Rand des Geschehens gedrängt wurde – die wohl einzige Hoffnung auf Idiosynkrasie, die der Film zulässt. Einmal nämlich treibt es ihm einen schönen, glasigen Tränenfilm über die lang bewimperten Augen. Er hört der viel zu bezaubernden Jenny Lind (Rebecca Ferguson) zu. Efrons lacrimosaischem Overacting sei Dank, dass wenigstens hier der unerträgliche Dahinschmelz-Imperativ die Aufforderungskraft verliert.Placeholder infobox-1