Es war gelinde gesagt ein unerwartetes Ergebnis, das am Wochenende bei den Schweizer Parlamentswahlen aufmerken ließ. Die Stimmenverluste von 3,6 Prozent für Christoph Blochers Volkspartei (SVP) fielen deutlicher aus als in den Prognosen angenommen. Allerdings interessierte dieses Votum eine Mehrheit der Schweizer nicht über Gebühr. Wie seit 1975 üblich lag die Wahlbeteiligung auch diesmal unter 50 Prozent. 1995 sank sie auf den Tiefpunkt (42,5 Prozent), vor vier Jahren waren es 45,2 Prozent. Aber nicht nur die Wahlresonanz, auch eine eher minimale Sitzverschiebung in der sprichwörtlich stabilen, genauer gesagt: immobilen Schweiz, verweist auf politisches Desinteresse. An beidem – Wahlbeteiligung und Immobilität – hat sich auch am 23. Oktober
er 2011 nicht viel geändert. Die rechtspopulistische SVP bleibt mit gut 25 Prozent – trotz Einbußen – stärkste Partei.Die Entpolitisierung verdankt sich auch den rot-weiß eingefärbten Kampagnen, mit denen ein Christoph Blocher immer wieder die Öffentlichkeit überzieht. Seine rabiat fremdenfeindliche Partei hat die Tendenz zur Verschweizerung der Schweiz zu radikalisieren versucht. Sie tut etwas für kulturelle Abschottung und Isolation. In Gesprächen mit vielen Schweizern hat man heute den Eindruck, eine Mehrheit laufe bereits mit rot-weiß gestrickten Socken herum, während sich andere noch mit einer Schweizerflagge im Vorgarten begnügen. Politik wird zur Folklore. Auch das ist ein Grund für Wahlabstinenz wie auch für die Akzeptanz Blochers und seiner Partei.Lobbyarbeit für SüdafrikaDer 1940 Geborene kommt aus einer Pastorenfamilie, er erlernt zunächst den Beruf eines Landwirts, um später Jura zu studieren. Danach arbeitet er bei der Ems-Chemie AG, die er nach dem Tod des Besitzers kauft und erfolgreich führt. Blochers Privatvermögen von geschätzten zwei bis drei Milliarden Franken stammt nicht aus den Gewinnen dieses Unternehmens, sondern aus Finanzmarktgeschäften mit Spekulanten aus der berüchtigten Steueroase Zug. Blocher ist heute einer der reichsten Schweizer und residiert in einem Schloss in Graubünden.Seine politische Karriere beginnt im Kanton Zürich, wo er von 1977 bis 2003 die kantonale SVP präsidiert, auf einen strikten Rechtskurs einschwört und die ursprünglich fast nur in ländlichen Gegenden verankerte Partei auch in urbanen Milieus mit seinen hemmungslos europafeindlichen Kampagnen populär macht. Noch 1992 – kurz vor dessen Ende – betreibt er unter Schweizer Firmen Lobbyarbeit für das Apartheid-Regime in Südafrika.Im Unterschied etwa zu Jean-Marie Le Pen vom Front National in Frankreich ist Blocher kein erklärter Rassist, sondern „nur“ ein chauvinistischer Populist. Seine Credo lautet: „Ein Schweizer wird zum Schweizer durch die Schweiz.“ Was deren wirklichem oder auch nur vermeintlichem Interesse dient, ist für ihn richtig und erlaubt. „Wer für die Schweiz ist, muss SVP wählen“, betont Blocher bei jeder Gelegenheit. Mit solchen Parolen holt er das Publikum auf Volksfesten mit nationalistischen Predigten ab und mobilisiert es für seine Partei. Und das mit mehr Geld als allen anderen Parteien zu Verfügung steht. Dank seiner Gebrauchtwagenhändler-Rhetorik kann Blocher bisher stets auf Stimmengewinne rechnen, publizistisch unterstützt von Lokalzeitungen und der am rechten Rand operierenden Zürcher Weltwoche.Von 1979 bis 2003 ist Blocher Abgeordneter im Berner Parlament, bis er 2003 als Minister (Bundesrat) in die Regierung einzieht, doch das geht schief. Nach vier Jahren wird er abgewählt, was in den 160 Jahren der Schweizer Demokratie nur viermal vorgekommen ist. Dazu muss man wissen, die siebenköpfige Exekutive (Bundesrat) ist keine Koalitionsregierung mit Parteipolitikern als Ministern, sondern ein Kollegialorgan – seit 1959 zusammengesetzt aus zwei Liberalen, zwei Sozialdemokraten, zwei Volksparteimitgliedern und einem Christdemokraten. Die Bundesräte geben mit ihrem Eintritt in die Regierung gleichsam ihr Parteibuch ab und agieren als Kollektiv. Die Regierung sucht sich Mehrheiten für ihre Projekte im Parlament von Vorlage zu Vorlage und kämpft nach außen kollegial einheitlich.Vergebliche HoffnungMit dem Egomanen Blocher gerät dieses Regierungssystem an Grenzen. Er verweigert sich der Bundesratsmehrheit und betreibt Politik auf eigene Faust gegen „Gutmenschen, Moralisten und Rechtsstaatler.“ So bleibt ihm 2007 die Abwahl nicht erspart. Zu seiner Nachfolgerin wählt das Parlament kein SVP-Mitglied von Blochers Gnaden, sondern die SVP-Dissidentin Eveline Widmer-Schlumpf, die eine eigene Partei gegründet hat.So besteht Blochers wichtigstes Ziel derzeit darin, diesen zweiten Regierungssitz bei den im Dezember anstehenden Bundesratswahlen zurückzugewinnen. Seinem Besitzstandswahrer-Liberalismus ordnet er alles unter, auch wenn es nach Lage der Dinge wie dem Ergebnis der Nationalratswahl für die SVP eher schwierig werden dürfte, den Sitz zurück zu erobern. Bei Bundesratswahlen spielen taktische Winkelzüge und Kurzzeitkoalitionen eine entscheidende Rolle. Sicher ist nur, dass Blocher selbst keine Chance hat, auch wenn er sich von dritter Seite nominieren ließe. Die SVP muss also einen Kandidaten präsentieren, der für die anderen drei Parteien in der Kollegial-Regierung überhaupt wählbar ist. Der Ausgang dieses parlamentarischen Kuhhandels – „wählst Du meinen, stimme ich für deinen Kandidaten“ – im Dezember wird auf jeden Fall spannender sein, als es die jetzige Parlamentswahl war, bei der es keine gravierenden Gewinne und Verluste gab.