Sehnsucht nach Stille

Spuren In seinem Erzählband "Verstecke" arbeitet der finnische Autor Petri Tamminen subtil gegen das Vergessen

In Bertolt Brechts Sonett Finnische Landschaft finden sich nicht nur "fischreiche Wässer" und "schönbaumige Wälder", sondern es liegt auch "Birken- und Beerenduft" in der Luft. Die finnischen Landschaften bleiben mit ihrem "vieltonigen Wind" in Erinnerung: kristallklare Seen sind von dunklen Kiefernwäldern umgeben und besonders im Sommer, in den Abendstunden, gibt es eine unglaubliche Intensität des Lichts und faszinierende Wolkenschauspiele. Doch Brecht beschreibt in seinem 1940 im Exil entstanden Gedicht, das von Stille durchsetzt ist, die Finnen auch als ein Volk, dass "in zwei Sprachen schweigt."

Von dem finnischen Autor Petri Tamminen ist nun zu erfahren, dass die Finnen auch große Meister in der Kunst des Versteckens sind. Sein Buch Verstecke öffnet erstaunliche Einblicke in erfolgreich gefundene, verfehlte oder metaphorisch überhöhte Verstecke. So beginnt das Kabinettstückchen Der Wald mit der These: "Im Wald hält sich der Finne schon so lange versteckt, dass sich der Wald in ihm versteckt". Diese Symbiose erklärt vielleicht, wie der Übergang von den stillen Wäldern zu den schweigenden Finnen zustande kam. Doch wer mit solcherart Verstecken Erfahrung hat, misstraut gerade auch der Offensichtlichkeit dieses Verbergens, dem die Sehnsucht des Verschwindens melancholisch eingeschrieben ist.

Die 42 Versteckgeschichten Tamminens sind sehnsuchtsvolle Suchvorgänge, die chronologisch immer wieder ins Rückläufige drängen und gegen das Vergessen arbeiten. Es gelingt dem Autor, diese Sehnsucht als eine im Individuum verborgene zu entlarven und damit jenen Ort in uns selbst aufzuspüren, den Heimat zu nennen wohl am ehesten zukommt. Exemplarisch zu entdecken ist das in Texten wie Versteck spielen und Die Umarmung der Mutter. In Der Dachboden wird der aufgesuchte Dachboden zum gemütlichen Nest, zu dem Einsamkeit, Kindheit und Jugend gehören. "Es scheint", so der Erzähler, "als stamme alles, woran man glaubt, von hier, alle Dauerhaftigkeit und Kraft, all das, in dessen Schutz man morgens aufsteht".

Natürliche Orte des Entdeckens, in denen das Verborgene Programm ist, sind dem Autor Die Bibliothek und Das Antiquariat. Über letzterem schwebt vertraulich der Geruch uralten Vergessens, und aus den Regalen strecken die Schriftsteller der Welt die Hände nach dem Erzähler aus. Geheimnisse sind in Büchern versteckt, die in den verstaubten Antiquariatsräumen aufgeschlagen werden müssen, um sie entdecken zu können. Doch der geheimste Winkel dieses Exils für Bücher ist jenes letzte Hinterzimmer, das durch einen Vorhang von den übrigen Räumen getrennt ist.

Petri Tamminens Verstecke - der Titel kann auch als subversive Aufforderung verstanden werden - lassen an Walter Benjamins "Kleine Versteck-Lehre" denken. Benjamin, ein Meister im Spuren legen und im Finden von Bruchstücken, appelliert in dieser Geschichte an die Fairness am Ostermorgen, alles so "zu verstecken, dass es entdeckt werden kann". Denn "Verstecken heißt: Spuren hinterlassen. Aber unsichtbare". Zwar hat die Kunst der Spurensuche in der Literatur eine reiche und weit verzweigte Tradition, die Kunst des Spuren Hinterlassens entwirft eine andere Topographie. So wundert es nicht, bei Tamminen schließlich auch einen kleinen Prosatext mit der Überschrift Bücher zu finden und darin die poetische Wollust des Autors am sprachlichen Versteckspiel: Denn in einem guten Buch gibt es "Wolkenstückchen, Sehnsucht, Tod, ein Gefühl von Ferne und von Pfaden zwischen Blaubeersträuchern".

Dass es auch in Deutschland Sehnsucht nach Stille und also Sehnsucht nach Orten gibt, die geeignet sind, sich zu verstecken, hat Tamminen bei verschiedenen Lesereisen bemerkt. Aufgefallen ist ihm dabei aber auch, dass jedes Volk seine Eigenheiten, um nicht zu sagen "Perversionen" hat, "die ein Außenstehender gar nicht begreifen kann." Häufig nämlich wünschen sich die deutschen Zuhörer, der Autor solle auch in seiner eigenen Sprache lesen. Vielleicht verbirgt sich in dieser Aufforderung zum Sprechen und also Hören einer fremden Sprache der Wunsch des Publikums, sich im Nichtverstehen zu verstecken, um dann umso beredter Schweigen zu können. Wenn ja, dem Finnen Tamminen dürfte dieses Versteckspiel bekannt sein.

Petri Tamminen: Verstecke. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, 99 S., 15 EUR


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