Illustration: Ira Bolsinger, Material: Getty, iStock
Alle zwei Jahre veröffentlicht die deutsch-schwedische AllBright-Stiftung einen Bericht über Frauen in Führungspositionen. Vor zwei Jahren sorgte ihr Report für Aufsehen. Die Stiftung verglich die Führungskräfte in DAX-Unternehmen und stieß auf folgendes Muster: Das durchschnittliche Vorstandsmitglied ist männlich, in den 1960er Jahren geboren, ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler und heißt Thomas. Im Bericht werden diese Erkenntnisse von einer kleinen Figur flankiert: Sie trägt gescheiteltes Haar, Anzug und Krawatte.
Mit dem schwarzen Anzug, dem schweren Wollmantel darüber und der Aktentasche unter dem Arm könnte man Christian Berg für einen durchschnittlichen Businessmann, für einen Thomas halten. Wären da nich
en da nicht die Ratschläge seiner Tante, einer ehemaligen Bischöfin Stockholms, und seines Vaters, eines leidenschaftlichen Familienmenschen, gewesen. Und hätte es da nicht das Angebot Sven Hagströmers gegeben. Als er auf Letzteren traf, leitete Berg bereits seit Jahren die Wirtschaftsabteilung der Schwedischen Botschaft. Eine Stelle, die nach seinem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften wie das Sahnehäubchen auf dem Kuchen schien.Feminist qua BauchgefühlTrotzdem war da der Hunger nach mehr. Deutlich spürte Berg den, als Hagströmer, Gründer der schwedischen AllBright-Stiftung, von einer Idee erzählte. Er wolle eine Schwesterstiftung in Berlin gründen und suche nach einem kompetenten Team, das die Geschäftsführung übernehmen würde. Der schwedische Banker zielte auf die Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft. Die Mittel dafür waren überschaubar, die Verantwortung umso größer. Gemeinsam mit einer Kollegin aus der Botschaft, Wiebke Ankersen, entschied Christian Berg sich dennoch dafür. „Weil ich spürte: Hier kann ich etwas verändern.“ Bis heute treffen die beiden alle Entscheidungen einvernehmlich. Ihre Perspektiven ergänzen sich: Sie, eine deutsche Geisteswissenschaftlerin. Er, der schwedische Wirtschaftsexperte.Sein Umfeld reagierte verwundert, einige verstehen die Entscheidung bis heute nicht ganz. Auf viele wirkt ein Mann, der sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, noch immer exotisch. Tatsächlich schritt in den 1970er Jahren, als Feministinnen dafür demonstrierten, dass Frauen grundlegende Menschenrechte zuteil werden, nur ein Bruchteil der deutschen Männer an ihrer Seite. Viele Forderungen von damals unterscheiden sich kaum von denen heutiger Feministinnen. Noch immer geht es um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder gleiche Bezahlung. Aber es sind nicht mehr länger nur Frauenstimmen, die das fordern. Laut einem Bericht des Bundesfamilienministeriums interessieren sich mittlerweile über 60 Prozent der Männer in Bergs Generation für Gleichberechtigung. In die Öffentlichkeit trauen sich jedoch offenbar nur wenige. Das spürt der AllBright-Chef, wenn er Konferenzen besucht, um über Frauen in Führungspositionen zu sprechen. Manchmal sagt er dann, mit einladendem Lächeln auf dem Gesicht: „Ich freue mich, Teil eines Raums voller Interessenten zu sein. Noch schöner wäre es, wenn hier mehr Männer wären.“Seit der groß gewachsene Schwede mit Sinn für Gleichberechtigung und einer Liebe für Zahlen seinem Bauchgefühl gefolgt ist, hat er sich „geoutet“. Er ist Feminist. Das bedeutet für ihn schlicht, „für Gleichberechtigung zu sein“. Zu seiner Überzeugung gehört auch, dass er in einem Raum voller Frauen dasselbe erzählt wie vor gemischtem Publikum. Berg spricht von der Absurdität einer „Zielgröße Null“, die sich Unternehmen in Bezug auf ihren Frauenanteil im oberen Management setzen. Wenn es im derzeitigen Tempo weiterginge, wäre ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis erst in 38 Jahren möglich.Menschen zum Nachdenken anzuregen, das gehört für Berg zum wichtigsten Teil seiner Arbeit. Sein Werkzeug ist das Gespräch. Wenn er nicht diskutiert, dann hört er genau zu und formuliert gezielte Fragen. Manager, die sich mehr weibliche Präsenz für ihre Führungsetagen wünschen, aber an der Umsetzung scheitern, fragt er etwa: „Wie werden freie Posten ausgeschrieben?“ Väter, die sich scheuen, die ihnen zustehende Elternzeit einzufordern, fordert er heraus: „Wieso sollte die Mutter des Kindes mehr Verantwortung tragen müssen?“Als Berg gerade nach Berlin gezogen war, erkundete er die fremde Stadt zu Fuß. Während eines Spaziergangs dachte er über seine Wahlheimat und sein Mutterland nach. Im Allgemeinen gleichen sich Deutschland und Schweden, dennoch fiel Berg ein gravierender Unterschied ins Auge. Der Frauenanteil in den Führungsgremien von Großunternehmen ist in Schweden fast doppelt so hoch wie in Deutschland. „Da ist mir bewusst geworden, dass die gesellschaftlichen Strukturen den Unterschied zwischen Mann und Frau ausmachen.“Der Lieblingsbegriff des Schweden lautet „Veränderung“. Verändern will er nicht Menschen, sondern Strukturen. Typisch männliche Strukturen. Die beginnen bei Sitzungen, in denen der lautesten Person am meisten Gehör geschenkt wird. Und sie enden bei Teamwochenenden, an denen der Abend gemeinsam im Bordell verbracht wird. Berg will den Fokus der Debatte verschieben: „Frauen zu sagen, was sie zu tun haben – das kann und will ich nicht.“ Sein Appell richtet sich deshalb an seine Geschlechtsgenossen: „Wenn es ein Problem der Geschlechter ist, dann ist es ein männliches Problem.“In erster Linie versteht sich die AllBright-Stiftung aber nicht als Interessenvertretung von Frauen. Es geht ihr auch um die Wirtschaft, die von einer Gleichstellung der Geschlechter profitieren würde. Dafür fallen Berg zahlreiche Argumente ein. Vorstände mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis schlagen sich positiv in der Kursentwicklung nieder. Zusätzlich ist die deutsche Wirtschaft mehr denn je auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen. „AllBright“, das soll für die „hellsten Köpfe“ stehen. Die Stiftung fordert, dass über allen anderen Erwägungen die Qualifikation das maßgeblichste Einstellungskriterium ist.Eine moderne MännlichkeitDie Arbeitsmarktrealität sieht aber anders aus: Laut der Bundesagentur für Arbeit üben viermal so viele Frauen wie Männer eine Teilzeitbeschäftigung aus und übernehmen das Gros der Haus- und Familienarbeit. Dabei ist Berg sich sicher: „Es gibt sehr viele Männer, die nicht alleine die Brötchen nach Hause bringen wollen.“ Wenn der AllBright-Chef sich an seine Zeit vor gut zehn Jahren als junger Vater im Babyboomer-Bezirk Prenzlauer Berg erinnert, spricht er von Einsamkeit. „Damals war es hier in Deutschland noch fast unmöglich, dass Männer in Elternzeit gehen.“ In seiner schwedischen Heimat wird Elternzeit grundsätzlich mit 80 Prozent des vorherigen Gehalts vergütet, bisweilen mithilfe des Arbeitgebers sogar mit 100 Prozent. In Deutschland bewilligt der Staat nur 65 Prozent, die eine Auszeit für Gutverdienende wenig lukrativ erscheinen lassen. Trotzdem hat sich, seit Berg das letzte Mal den Kinderwagen durch Berlins Straßen schob, etwas verändert. „Durchschnittlich nehmen Väter bis zu zwei Monate Auszeit. Fordern sie aber mehr ein, wird das unter Kollegen nur verschämt kommuniziert.“ Wenn er hört, wie Männlichkeit mit „Mut“, „Leistungswillen“ oder „Autonomie“ definiert wird, verschwindet Bergs breites Lächeln. „Solche Vorurteile und Verallgemeinerungen halte ich für einen großen Fehler. Ein Mann zu sein bedeutet viel mehr. Wir brauchen Gegenentwürfe. Wie könnte eine moderne, offene Männlichkeit aussehen?“Wie viele seiner ehemaligen Kommilitonen hätte auch er sich für das durchschnittliche Leben eines Thomas entscheiden können. Für einen sicheren Arbeitsplatz in einem Wirtschaftsunternehmen. Für eine Familie, die er nur an Wochenenden zu Gesicht bekommt. Aber Berg, dessen Tante ihn lehrte, dass Frauen alles können, und dessen Vater ihm die Hoffnung gab, dass dasselbe auch für Männer gilt, entschied sich dagegen. Er entschied sich für die Herausforderung und Veränderung. Er entschied sich, anders zu sein.Placeholder authorbio-1
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