Sensible in Not

Securitate Im Fall Pastior trifft Herta Müller in Rumänien nicht auf ungeteilte Zustimmung. Sie sollte sich um lückenlose Aufklärung bemühen

"Kacke“. Herta Müller mag es, dem rumänischen Publikum scharfe Lektionen zu erteilen, sogar im altehrwürdigen Athenäum von Bukarest. Über die windigen Securitate-Leute, die es nach der Wende so gut verstanden haben, „auf die Füße zu fallen“, und die ein „Netz“ bilden, um ihre Interessen zu verfolgen, nimmt sie seit jeher kein Blatt vor den Mund. Und das ist auch gut so, denn das von ihr Gesagte spiegelt leider die rumänische Realität. Die Milde, die sie gegen Oskar Pastiors Spitzeltätigkeit für die Securitate walten lässt („er hatte keine Wahl“), ist neu. Ihr wäre, angesichts der Tatsache, dass kaum ein Mitglied jener unehrenwerten Gesellschaft für seine Untaten gerichtlich belangt wurde, auch nichts entgegenzustellen – außer der Härte, mit der Herta Müller bisher anderen enttarnten IM begegnet ist. Unvergessen ist ihr Protest gegen die Einladung von Sorin Antohi und Corbea-Hoisie zur Sommerschule des Rumänischen Kulturinstituts nach Berlin vor zwei Jahren. Ein berechtigter Protest, der gezeigt hat, dass der Leiter jenes Kulturinstituts, Horia-Roman Patapievici, in Sachen Securitate-Vergangenheit mit zweierlei Maß gemessen hatte, je nachdem ob es sich um Freund oder Gegner handelte. Gerade deshalb muss man sich fragen, ob Herta Müller mit Intransigenz und Milde wirklich ­ so „tadellos“, so „objektiv“ waltet, wie manch einer behauptet.

Die Härte, mit der sie über die im Vergleich zu den Nachbarländern nicht existierende rumänische Dissidenz urteilt, ließe sich, mit etwas gutem Willen, schon abmildern. War das Wüten der Securitate nicht extrem? Lag der goldene Westen nicht zu fern, um Mutigen den Rücken zu stärken? Eine Diktatur, sagt Herta Müller, würden zunächst die „Sensiblen“ verlassen, die es nicht mehr aushielten. Die Sensiblen, die die Möglichkeit dazu hätten – wäre hinzuzufügen. Sensible Rumänen hatten in jenen Jahren kaum eine.

Herta Müllers moralische Integrität steht außer Frage. Diskreditierungsversuche, etwa in Form von vermeintlich spektakulären Enthüllungen über ihre Auszeichnung mit einem Literaturpreis des kommunistischen Jugendverbandes, wirken nur peinlich. Von ihr ist ein Verhalten wie das von Mircea Dinescu undenkbar: Obwohl er als Symbolfigur der „antikommunistischen rumänischen Revolution“ gilt, hatte der sich schützend vor den Securitate-Nutznießer und Medienmagnaten Sorin Ovidiu Vantu gestellt. Dennoch haftet auch Herta Müller menschlich-Allzumenschliches an. Sehr wahrscheinlich hat Oskar Pastior „keine Wahl“ gehabt. Sehr wahrscheinlich hat er aber auch, wie aus einigen seiner auch in der rumänischen Presse zitierten Notizen hervorgeht, vor sich selbst manches verschleiert. Seine Freundin Herta Müller sollte sich um lückenlose Aufklärung bemühen.

Ioana Orleanu schrieb im Freitag zuletzt über reaktionäre rumänische Intellektuelle

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