Wenn der Kaiser kam, waren die mittelalterlichen Städte im Ausnahmezustand. Rund um seine Reiseresidenz, die Kaiserpfalz, putzten sie sich heraus und machten Schmutz und Armut unsichtbar. Heute sind die Kaiserpfalzen einsame Kurhotels am Meer oder in den Bergen und die Kaiser sind die Regierungschefs der – nach dem Rauswurf von Russland – sieben mächtigsten Länder. Sie treffen sich einmal im Jahr, gut abgeschirmt gegen Zehntausende Demonstranten, und reden über Weltwirtschaft, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Als Ergebnis präsentieren sie dann den kleinsten gemeinsamen Nenner: vage Absichtserklärungen für eine oft nicht näher definierte Zukunft.
In diesem Jahr übernimmt Deutschland die Präsidentschaft der Gruppe der Sieben (
r Sieben (G7) und lädt am 7. und 8. Juni zum Treffen ins bayrische Schloss Elmau. Das Hotel liegt 50 Kilometer von Garmisch entfernt, einsam auf einer Alm. Der G7-Gipfel wird das Land Bayern und den Bund mindestens 130 Millionen Euro kosten, 15.000 Polizisten werden den Tagungsort im Umkreis von vier Kilometern abriegeln.Für die Protestierenden könnte es also, wie schon 2007 im mecklenburgischen Heiligendamm, ein Gipfel mit Geländespielstimmung werden. Damals bahnten sie sich in Hunderten Kleingruppen den Weg durch die Getreidefelder, gaben sich mit bunten Fahnen Sichtzeichen und zogen den Kopf ein, wenn am Waldrand eine Polizeiwanne auftauchte. Zum Tagungsort schafften es nur wenige, denn ein zwölf Kilometer langer, zweieinhalb Meter hoher Zaun riegelte das Tagungshotel an der Ostsee ab.Placeholder infobox-1Eine Vorübung für den Kaiserbesuch war das G7-Außenministertreffen vor rund einem Monat in Lübeck. Die Hansestadt wurde in den Ausnahmezustand versetzt: An den Vormittagen wirkt sie so verlassen, als sei sie evakuiert worden. Die Straßen sind leer, die Läden geschlossen, die Schaufenster vernagelt. Auf die Bretter hat noch jemand „Stop G7“ gesprayt. Auf dem Marktplatz öffnen Polizisten die Gullideckel und untersuchen die Kanalschächte mit Metalldetektoren.Am Dienstagabend wird es dann etwas sportlicher: Schwarz gekleidete Demons-tranten wollen das Rathaus besetzen, sprinten durch die Straßen, verfolgt von Polizisten. 3.500 Beamte in Schutzkleidung sperren die Straßen um die drei Tagungsorte ab. Eine „Besetzung der Stadt“ nennt Christoph Kleine das Treffen der Außenminister. „So etwas habe ich hier noch nie erlebt.“ Der Lübecker vernetzte die lokale Protestbewegung. Warum hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier für das Treffen ausgerechnet Lübeck ausgewählt? „Die wollen eine schöne Fototapete“, sagt Kleine polemisch. „Das ist alles ein Showevent.“ Was, fragt er, können die Minister in den 90 Minuten, die sie zusammensaßen, schon groß besprechen? Steinmeier selbst räumte in einem Interview mit einer Lokalzeitung ein, dass die Stadt auch als schöne Kulisse dienen soll.Streit in der BewegungDie Gipfelgegner kritisieren, dass sich die Chefs der Industriestaaten abgeschottet beraten und alleine entscheiden, ohne andere Stimmen zu hören. „Ihr seid sieben – wir sind sieben Milliarden“ ist einer ihrer Slogans. Mittlerweile bemüht sich die Bundesregierung zumindest um ein Minimum an Partizipation. Angela Merkel hat bereits mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen über den Gipfel im Schloss Elmau gesprochen. Deren wichtigstes Anliegen ist die Aussetzung der geplanten Handelsabkommen TTIP und CETA, was für die Kanzlerin allerdings nicht zur Debatte steht. Immerhin setzte sie ein anderes Thema der Kritiker auf die Agenda: die Begrenzung des Antibiotika-Einsatzes in der Tiermast.Können die NGOs überhaupt für die gesamte Protestbewegung sprechen? Die verschiedenen Gruppen vertreten verschiedene Meinungen. Einen heftigen Streit hat es etwa um die Frage gegeben, wo die zentralen Kundgebungen stattfinden sollen: In München, wo man wegen der guten Erreichbarkeit mit deutlich mehr Teilnehmern rechnen kann, oder in Garmisch mit seiner Nähe zum G7-Treffen?Nun soll es beides geben: Die großen NGOs wie Campact und BUND haben für den 4. Juni eine Großdemo in München gegen das Handelsabkommen TTIP angemeldet, das Aktionsbündnis „Stop G7 Elmau“ will am 6. Juni in Garmisch protestieren. Die Aktivisten aus den Camps müssen so nicht bis nach München reisen. Außerdem sind sie dann schon fast vor Ort, wenn am 7. Juni die Zufahrtswege nach Elmau blockiert werden sollen. Wer hingegen in München ist, könnte von der Polizei aufgehalten werden.Das globalisierungskritische Netzwerk Attac Deutschland war zunächst im Aktionsbündnis vertreten, stieg dann im Streit um den Protestort aus und organisiert jetzt mit anderen Gruppen einen Alternativgipfel am 3. und 4. Juni in München. Hier wird sich auch die Bundeskoordination Internationalismus beteiligen. Der Dachverband von mehr als 100 entwicklungspolitischen Gruppen startet am 14. Mai eine Mobilisierungskarawane durch fünfzehn deutsche Städte mit Straßentheatern und internationalen Referenten. Das Anliegen sei, „neue Perspektiven in die Proteste einzubringen“, sagt Koordinator Martin Reiter.Die Vielzahl der Aktionen macht manche Gipfelgegner ratlos, wo sie hinfahren sollen. Doch das ist nicht das einzige Problem. Hinzu kommt die Ungewissheit, wo die Demonstranten im Niemandsland um den Tagungsort übernachten können, wenn sie später blockieren wollen. Die Organisatoren der Proteste haben noch immer keinen geeigneten Zeltplatz öffentlich vorgestellt. Die Verhandlungen mit einer Privatperson sollen zwar kurz vor dem Abschluss stehen. Danach kommt aber womöglich noch der Ärger mit den Behörden.Bisher haben Bürokraten nahezu alles Erdenkliche unternommen, um die Proteste zu verhindern. Die Aktivisten hatten bereits vier öffentliche Flächen gefunden, aber immer eine Absage der Gemeinde bekommen – und die Schreiben seien nahezu identisch gewesen. Offenbar gab es eine Formulierungshilfe von einer höheren Stelle.Gülle gegen Demonstranten?Der Landkreis hat laut einem taz-Bericht großen Druck ausgeübt. Dort erzählt der parteilose Bürgermeister des Dorfes Wessobrunn, dass bei einer Sitzung im Landratsamt den Bürgermeistern klargemacht worden sei, dass sie „alles tun sollten, um Camps zu verhindern“. Unter anderem könnten sie an Bauern appellieren, ihre Äcker nicht zu verpachten – und ihnen sogar nahelegen, in der Zeit des G7-Gipfels zu düngen, um mit der Gülle die Demonstranten zu vertreiben. Den Bürgermeistern wurde angeblich auch empfohlen, diejenigen, die sich mit den Gipfelgegnern verbünden, „öffentlich zu ächten“. Zudem sollten für Camps so hohe Auflagen gemacht werden, dass den Aktivisten die Lust vergehe. In einem Mustervertrag werde zum Beispiel eine Kaution in Höhe von 100.000 Euro verlangt. Das Landratsamt behauptet, die Begriffe „Gülle“ und „ächten“ seien nicht gefallen.Kommen im Juni die Demo-Touristen aus der ganzen Welt nach Elmau, während es die Bürger vor Ort lieber ruhig hätten? Vielleicht sollten die Aktivisten mit den Leuten vor Ort über die G7-Politik diskutieren und auch die Millionenkosten des Regierungsspektakels für den Steuerzahler erwähnen. Dann könnte ein Effekt einsetzen, der schon vor Hunderten von Jahren gewirkt hat. Auch die Kaiser wurden nicht immer von jubelnden Massen begrüßt. Im Jahr 1387 zerstörten Göttinger Bürger die Pfalz des Herzogs Otto, weil sie nicht mehr bereit waren, die hohen Kosten für den adeligen Feriensitz aufzubringen.Placeholder authorbio-1