Wer Trotzki, die russische Serie über das Leben Leo Trotzkis auf einen Nenner bringen will, hat schnell das Gefühl, mit einem öligen Aal zu ringen: In einem Moment glaubt man noch, die politische beziehungsweise kulturelle Bedeutung der Serie fest am Wickel zu haben, im nächsten aber steht man mit leeren Händen und einem blöden Grinsen da.
Nähern wir uns also langsam an und beginnen mit der Tatsache, dass die Serie in Russland selbst ein großer Erfolg war. Als sie im November 2017 auf dem russischen Sender Perwy Kanal („Erster Kanal“) lief, war sie ein Quotenhit. In Russland wurde sie sowohl von Kritikern gefeiert als auch mit zahlreichen Preisen bedacht, darunter drei „Tefis“ – das russische Pendant zu den Emmys – in den Kategorien beste Serie, beste Regie und bester Hauptdarsteller. Im Westen dagegen stieß die Serie, soweit sie überhaupt beachtet wurde, weitgehend auf Ablehnung. So titelte die Washington Post ihre Rezension mit der Überschrift: „You Might be Binge-Watching Russian Propaganda on Netflix“ („Kann sein, dass Sie auf Netflix russische Propaganda bingen“), während die Financial Times die Serie als „Eispickel im Herzen der sowjetischen Geschichte“ beschrieb. Zeitschriften wie Jacobin in den USA und die Tribune in Großbritannien, die dem Sozialismus gegenüber aufgeschlossen sind, kamen zu dem Schluss, dass der Netflix-Trotzki wohl eine antisemitische Verleumdung sei. Die schärfsten Worte allerdings fand Trotzkis Neffe, Esteban Volkov, der die Serie in einem offenen Brief verurteilte. Der Brief, der außerdem von zahlreichen Wissenschaftlern und Autoren, darunter Frederic Jameson, Nancy Fraser, Robert Brenner und Michael Löwy unterschrieben wurde, kritisiert die Serie unter anderem dafür, dass sie genau die gleichen Lügen verbreiten würde wie einst die „Imperialisten, Zaristen und Stalinisten“, die Trotzki untergraben wollten, als die Bürokratisierung der UdSSR im Fortschreiten begriffen war.
Laxer Umgang mit Geschichte
Dabei verneinen die Produzenten ihren laxen Umgang mit den historischen Tatsachen gar nicht. Sie hätten keinesfalls eine Doku machen wollen, sagt etwa Konstantin Ernst, Chef des wichtigsten russischen Senders und Co-Produzent der Serie, in einem Interview mit Beyond Russia. Das Ziel sei gewesen, eine unterhaltsame Auseinandersetzung mit der russischen Geschichte anzubieten. Was ein berechtigter Anspruch ist; ein historisches Drama soll unser Interesse wecken und auf diese Weise eventuell erst zur Lektüre von wissenschaftlichen Texten oder sogar Quellen anregen. Auf der anderen Seite ist jede Abweichung von den historischen Tatsachen auf ihre Weise genauso aussagekräftig. Wenn etwa Robert Menasse ein Zitat fälscht, um die philosophischen Grundlagen für die EU zu vereinfachen, ist das zugleich eine gute Gelegenheit, Verzerrungen in seiner Weltanschauung ausfindig zu machen.
Bei einer Fernsehproduktion lässt sich sogar noch viel mehr über solche ideologischen Entstellungen lernen als im Fall eines Romans, braucht es doch in verschiedenerlei Hinsicht sehr viel mehr „Power“, um eine mehrteilige Serie auf die Beine zu stellen, als für das Schreiben eines Buches benötigt wird. Nicht umsonst steht der zitierte Konstantin Ernst Putin so nah, dass der New Yorker ihn auch schon mal als „inoffizielles Regierungsmitglied“ beschrieben hat. Und tatsächlich muss man über reale Macht verfügen, um Trotzki ins Zentrum einer Fernsehserie stellen zu dürfen, insbesondere wenn diese Serie auch noch zur Hundertjahrfeier der Russischen Revolution erscheint. Schließlich war Trotzki in der Sowjetunion bekanntermaßen geächtet, seine Anhänger waren verfolgt worden, seine Werke streng zensiert. Bis 1989 konnte man Trotzki nur im Westen, um es mit Ernst Mandels berühmter Phrase zu fassen, als Alternative betrachten.
Ursprünglich soll Ernst vorgehabt haben, Lenins Leben als Serie zu verfilmen. Doch dann sei ihm dieser Stoff zu trocken erschienen, sagte er in einem Interview mit dem Guardian. Die Serie über Lenin wurde dann zwar auch gemacht, das russische Fernsehen strahlte sie allerdings später am Abend aus, wo sie ein kleineres und, so behauptet Ernst, ein intellektuelleres Publikum hätte finden können. Man staunt: In Lenins Lebensgeschichte von Gefangenschaft, Exil und Teilnahme an den Revolutionen von 1905 und 1917 soll es nicht genug Drama geben, um ein Publikum über zwölf Stunden zu unterhalten? Eine plausiblere Erklärung für die Entscheidung bot Ernst in einem Interview mit dem New Yorker an. Da spricht er davon, dass die Regierung eben kein offizielles Gedenken zur Revolution geplant habe, weil es in Russland viel zu unterschiedliche Haltungen dazu gebe. Deshalb eigneten sich „inoffizielle“ Kanäle wie das Fernsehen besser, um an die Ereignisse rund um die Revolution zu erinnern. Ihre Darstellung lasse sich so in vielfältigerer Weise deuten.
Viel ist geschrieben worden in den letzten Jahren über die komplizierten und überraschend positiven Gefühle dem Kommunismus gegenüber, die es auf dem ganzen Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gibt. Das lässt sich sowohl aus den Büchern der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch herauslesen als etwa auch in Masha Gessens frisch übersetztem Gewinner des „National Book Award“, Die Zukunft ist Geschichte. Gessen bemüht sich darin, die Verehrung Stalins mittels Reportagen und Porträts von Soziologen, Psychoanalytikern und anderen Intellektuellen zu ergründen. Aus den Texten beider Autorinnen geht hervor, dass es die imperialistische Macht der Sowjetunion ist, die vielen Russen heute noch erstrebenswert erscheint. So berichtet Gessen von einer nationalen Umfrage, die nach den größten Persönlichkeiten der russischen Geschichte fragte. 1989 nannten ganze 12 Prozent der Befragten Stalin, 2003 waren es dagegen 40 Prozent. Putin selbst punktete in der gleichen Umfrage mit 32 Prozent. Putins Regierung nimmt in gewisser Weise die Sowjetunion als Vorbild, womit Putin selbst sich als Erbe Stalins positioniert. Allerdings stört Stalins revolutionärer Hintergrund dieses Schema, denn auch die Opposition greift gerne auf die Revolution als Vorbild zurück. Mit Figuren wie Lenin und Trotzki muss man in Russland äußerst vorsichtig umgehen, denn jeder Versuch, sie zur Unterstützung des Regimes heranzuziehen, könnte so gleichzeitig auch zur Untergrabung staatlicher Macht beitragen.
Pinkeln als revolutionärer Akt
Die Serie Trotzki eröffnet mit Trotzki (Konstantin Khabensky), der während der Revolution in Begleitung der revolutionären Journalistin Larissa Reissner (Anastasia Meskova) im Zug durch Russland fährt. Sie bietet sich ihm für Sex an – der sich nicht ohne Gewalt abspielt –, denn der große Held muss sich für kommende Kämpfe stärken. Dass die Kamera im Moment des Orgasmus den Zug in einen Tunnel fahren lässt, ist eine altbackene Metapher. Im Westen wurde die Szene jedoch nicht dafür kritisiert, sondern für die Darstellung Reissners, die im wahren Leben eine äußerst interessante Frau war und mehr verdient hätte, denn als Trotzkis Sexobjekt dargestellt zu werden. Aber mit der Frauenfeindlichkeit der Serie fängt man besser gar nicht erst an – auch beide Ehefrauen Trotzkis kommen entweder nur als Mutter oder als Sexpartnerin vor, und bei Frida Kahlo weiß man nicht, ob man sich mehr über den Rassismus oder die Frauenfeindlichkeit ihrer Darstellung aufregen soll.
Aber die Kritik sollte bei diesen Aspekten nicht stehenbleiben. Denn besagte Szene ist noch in anderer Hinsicht entscheidend für die Serie. Man sieht nämlich einen Mann, der ficken muss; eine Frau, die sich anbieten muss, einen Zug, der vorwärts muss. Alles ist mit einer solchen Dringlichkeit dargestellt, dass man glaubt, die Dialektik sei so tief in Trotzkis Leben eingedrungen, dass er selbst beim Pinkeln noch zum Klassenkampf beiträgt.
In ähnlicher Weise schildert die Serie immer wieder menschliche Handlungen als zwingende Erfüllung vorgegebener Tendenzen. So werden die komplexen Differenzen zwischen Lenin, Trotzki und anderen Marxisten im Wesentlichen auf eine Frage des Glaubens reduziert. Trotzkis Glaube wird dabei immer wieder als unerschütterlich präsentiert. In der westlichen Kritik zur Serie wurde betont, dass das Bild von Trotzki, das dabei entsteht, viel brutaler und einseitiger sei, als der reale Mensch es war. Besonders sein Neffe, Esteban Volkov, äußerte sich entsetzt: Der echte Trotzki hätte im Gegensatz zur Fernsehfigur seine Kinder niemals als Schutzschild im Straßenkampf benutzt. Die Serie geht aber viel weiter, als nur Trotzkis Brutalität herauszustellen. Sie macht den Marxismus zu einer reinen Religion, ganz ohne intellektuellen Anspruch. Stalin entreißt Trotzki nicht deshalb die Macht, weil er brutaler oder begabter in seinem politischen Kalkül ist, sondern weil er die Revolution als Machtergreifungsmöglichkeit erkannt hat.
In seiner Einführung zu Trotzkis Terrorismus und Kommunismus zitiert Slavoj Žižek einen Brief von Nikolai Bucharin an Stalin. Bucharin bietet darin Stalin an, ins Ausland zu gehen, um von dort aus einen intellektuellen „Krieg“ gegen Trotzki zu führen. Stalin aber entschied sich bekanntermaßen für eine brutalere Option. Der Mord an Bucharin ging dem an Trotzki zwei Jahre voraus. Aber während die Erschießung von Bucharin dessen Ideen mit auslöschte, machte das Attentat an Trotzki den Begründer der Roten Armee zum Helden für Linke auf der ganzen Welt. Auf ihre Weise will die Serie beweisen, dass Trotzki eben doch keine Alternative war. Denn, folgt man der Serie, war er kein Denker, sondern ein Fanatiker.
Info
Trotzki Alexander Kott, Konstantin Statsky Russland 2017, acht Folgen auf Netflix
Kommentare 5
ist eine musical-fassung geplant?
Gibt´s denn überhaupt russische Musicals? Meines Wissens ist das eher eine westliche Gattung der Geschichtsschreibung.
auch die kultur-industrie globalisiert sich.
ich beantrage deshalb titel-schutz für :
"east-side story",
"leo und das biest",
"the rocky horror bolschewiki show",
"3 superstars in irren zeiten".
„die Rocky Horror Bolschewiki Show“ würde ich wirklich gerne sehen!
(Der „Time-Warp“ ist, glaube ich, jetzt schon mein persönlicher Hit daraus!)
Grob funktioniert die Serie nach dem Schema »Große Männer in der Geschichte« – ein Plot, auf den Serienschaffende sicher nicht ausschließlich in Putins Reich zurückgreifen. Handwerklich ist »Trotzki« solide produziert – was heißt: mit auf Beeindruckung abgestellter Optik, entsprechende Kamerafahrten, Landschaften, Farben und so weiter.
Die kritisierten Mankos würde ich – nach circa 30 Minuten Reingucken – ähnlich konstatieren. Bemerkenswert finde ich, dass es auch im aktuellen Russland möglich ist, das nötige Geld und gut platzierte Ausstrahlungskanäle zusammenzukratzen für einen Stoff, den man mit Blick auf die dortigen politischen Verhältnisse durchaus als »halbkritisch« bezeichnen kann.
Nicht ganz unter den Tisch fallen sollte dabei der kritische Blick auf den Westen – konkret: Netflix. Dass Netflix weltweit ziemlich alle Serienstoffe lizensiert, die bei drei nicht auf den Bäumen sind, hat sich zwischenzeitlich herumgesprochen. Das gilt speziell für den hispanischen Markt – hier vor allem Mexiko. Das Gute daran ist sicher die Erweiterung des Portfolios – im konkreten Fall hinein in einen Bereich, der auch extensiven Serienkonsument(inn)en nicht unbedingt vertraut ist. Die Crux dabei allerdings ist, dass Netflix sich hier allesamt die Synchronisationskosten spart und das Zeug – wie auch bei »Trotzki« – mit Untertitelungen versendet.
Für Hardcore-Cineasten mag die bei Netflix praktizierte Untertitelei durchaus ihren Reiz haben (frei nach dem Scherz, dass für diese spezielle Zielgruppe thailändische Filme mit finnischen Untertiteln die ultima ratio sind). Für Normalzuschauer hingegen sind die eingeblendeten Dialogübersetzungen – in der Regel ins Bild eingeblendete weiße oder schwarze Schrift – extrem anstrengend nachzuverfolgen. Hinzu kommt, dass Netflix sicher nicht aus cineastischen Gründen so verfährt, sondern vielmehr, um die Kosten zu dumpen. Entsprechend sieht zwischenzeitlich das Streaming-Gesamtangebot aus: Neben einem Dutzend eingeführter Qualitätsserien (darunter mittlerweile auch Staffel 6 von »House of Cards«), die man nach einer gewissen Zeit durch hat, ist der Netflix-Bestand von unzähligen B- und C-Serien, schlechten Filmen und eben hastig untertitelten internationalen Serienproduktionen geprägt – wobei letztere einerseits zwar die (insgesamt eher maue) Qualität raushauen, andererseits jedoch so wenig wie möglich kosten sollen.
Zurück zu »Trotzki«: Sicher wäre es optimal, Ö/R wie etwa der (für derlei prädestinierte) Sender arte würden sich dieser Art Stoffe annehmen. Allerdings sind auch hier die Mittel begrenzt, und auch gute Produktionen werden nur noch über Koproduktionen und Querfinanzierung gestemmt. Wie man das Problem auch betrachtet: Bessere Serien werden erst dann in höherer Dichte produziert werden, wenn die nötige Einsicht da ist, dieses Format entsprechend zu fördern.
In Anbetracht dieser Umstände ist »Trotzki« sicher nicht der Knaller – allerdings auch nicht weniger als business as usual – in einer Produktionswelt, in der es letzten Endes nicht um Qualität geht, sondern um monetäre Interessen oder eben nationales Prestige.