Spärliche Spitzel-Infos

Neonazis Hat der NPD-Mann Kai-Uwe Trinkaus als V-Mann des Erfurter Geheimdiensts eher Linke als Rechte ausspioniert?
Ausgabe 36/2013

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Die Geschichte schien ein echter Scoop zu sein. Der NPD-Chef von Erfurt, Kai-Uwe Trinkaus, und der Thüringer PDS-Vorsitzende Knut Korschewsky hätten sich in der PDS-Landeszentrale bei einem Geheimtreffen auf einen moderaten Umgang zwischen ihren Parteien verständigt, heißt es in dem Artikel, der am 23. Mai 2007 auf stern.de veröffentlicht wurde. Von dem Besuch des Rechtsextremisten in der PDS-Landeszentrale existiere sogar ein Video. Der Artikel trägt die Überschrift „Braun-rote Kungelei“ und legt eine inhaltliche und geistige Nähe zwischen PDS und NPD in Thüringen nahe.

Der Text verschwand allerdings schon bald wieder aus dem Netz. Das hatte die PDS-Landeschef Korschewsky durchgesetzt, denn die angebliche Kungelei mit der NPD war nachweislich eine Ente. Doch die Geschichte, so falsch sie ist, war in der Welt. In der Südthüringer Zeitung wurde der Artikel sogar umgehend nachgedruckt. In einem Kommentar wurde zudem von der Hufeisen-Theorie fabuliert, wonach Links- und Rechtsextremisten sich viel näher seien, als es nach außen scheine. Die damals regierende CDU dürfte das mit Genugtuung registriert haben – schließlich legte die PDS zu dieser Zeit in den Umfragen enorm zu. Ganz offen wurde bereits über eine rot-rote Koalition nach der Landtagswahl 2009 diskutiert, mit der im Freistaat die CDU-Vorherrschaft erstmals seit 1990 gebrochen worden wäre.

Die sechs Jahre alte Geschichte wäre längst vergessen, hätte sich Kai-Uwe Trinkaus nicht vor ein paar Monaten im Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk als V-Mann des Erfurter Verfassungsschutzes geoutet. Von 2007 bis 2010 habe er als Spitzel des Landesamtes gearbeitet. Die Aktivitäten gegen Oppositionsparteien habe er mit Billigung des Verfassungsschutzes durchgeführt – behauptet zumindest Trinkaus. Einen Beleg in den Akten des Verfassungsschutzes gibt es dafür allerdings nicht.

Wider die Regeln

Der Fall beschäftigt inzwischen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Erfurter Landtag. Der von Linke und SPD gegen den Widerstand der CDU durchgesetzte Ausschuss will herausfinden, ob Trinkaus seinerzeit tatsächlich – wie er behauptet – mit Wissen und Duldung des von der CDU-Landesregierung kontrollierten Geheimdienstes versuchte, neben der PDS auch die SPD, die Gewerkschaft ver.di und demokratische Vereine durch NPD-Aktivisten unterwandern zu lassen. Der Verfassungsschutz bestreitet dies.

Laut Landesamt hat Trinkaus Ende Mai 2006 erstmals und von sich aus dem Geheimdienst seine Dienste angeboten. Damals war er bereits ein landesweit bekanntes Mitglied der rechten Szene in Erfurt. Nach mehreren Treffen sei Trinkaus am 8. März 2007 als V-Mann „Ares“ verpflichtet worden. Damals war Trinkaus kommissarischer NPD-Kreisvorsitzender der Landeshauptstadt, und es war schon absehbar, dass er einen Monat später regulär zum Kreisvorsitzenden gewählt wurde. Bis zu seiner Abschaltung im September 2007 soll der Spitzel 41 Berichte geliefert und insgesamt 16.200 Euro erhalten haben.

Schon die Verpflichtung von Trinkaus als Zuträger war ein Regelverstoß. Nach den V-Mann-Skandalen aus der Ära des umstrittenen Geheimdienst-Chefs Helmut Roewer hatte dessen Nachfolger Thomas Sippel am 4. Dezember 2000 eine Verfügung erlassen, wonach künftig V-Leute „weder die Zielsetzung noch die Aktivitäten eines Beobachtungsobjektes entscheidend bestimmen“ dürfen. Trinkaus war aber regionaler Spitzenfunktionär der NPD, die beobachtet wurde. Das Landesamt verstieß also gegen diese Vorschrift – mit dem Segen des Innenministeriums. Sowohl der damalige Innenminister Karl Heinz Gasser als auch dessen für den Verfassungsschutz zuständiger Abteilungsleiter Bernhard Rieder (beide CDU) befürworteten in einem Gespräch mit Amtschef Sippel im Januar 2007 die Anwerbung von Trinkaus. Rieder ist inzwischen Staatssekretär von Innenminister Jörg Geibert (CDU), weshalb die Affäre nun auch die aktuelle Regierung unter Druck setzt.

Die Erfurter NPD unter Führung von Trinkaus hatte in dessen V-Mann-Zeit verschiedene Aktivitäten auch gegen Abgeordnete unternommen. So bewarb sich ein 21-jähriger NPD-Gefolgsmann unter falschen Angaben bei dem Linken-Politiker Frank Kuschel für ein Praktikum. Kuschel, der im Innenausschuss des Landtages saß, stellte den Mann kurzzeitig ein, entließ ihn aber sofort, als dessen wahre Identität bekannt wurde. Der Coup sorgte für Schlagzeilen, weil der Mann sich zuvor schon bei den Erfurter Jusos eingeschlichen hatte.

Seit vergangener Woche liegt nun das Gutachten eines Sachverständigen vor, der im Auftrag der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages den V-Mann-Vorgang im Landesamt untersucht hatte. In dessen Bericht wird das Agieren des Verfassungsschutzes im Fall Trinkaus scharf kritisiert. In der Anwerbung und der Führung des V-Manns sei gegen eine Reihe von Dienstvorschriften verstoßen worden. Außerdem sei die Nachrichtenehrlichkeit von Trinkaus nur unzureichend geprüft worden. Die von dem Spitzel gelieferten Nachrichten hätten ein „hohes Maß von sehr unkorrekten und unbedeutenden Informationen“ enthalten.

Nur einmal hatte Trinkaus den Geheimdienst vorab über Pläne in der rechten Szene zu Aktionen gegen ein von Linken besetztes Haus in Erfurt unterrichtet. Die Information gab der Verfassungsschutz aber nicht an die Polizei weiter – mit beinahe verheerenden Folgen: Im April 2007 gab es einen nächtlichen Brandanschlag auf das Gebäude, in dem sich 40 Menschen aufhielten. Das Feuer erlosch von selbst.

Vom NSU-Trio nichts gewusst?

Umgekehrt erhielt der Erfurter NPD-Chef vom Verfassungsschutz offenbar brisante Informationen über politische Gegner. Konkret geht es um eine Liste von verdächtigen Antifa-Aktivisten, die 2007 an einem Überfall auf eine Erfurter Szenekneipe der Rechten beteiligt gewesen sein sollen. Die Liste wurde auf einer NPD-Internetseite veröffentlicht. In dem Bericht des Sachverständigen heißt es nun, es sprächen „gewisse Indizien“ dafür, dass diese Liste durch den Verfassungsschutz an Trinkaus gekommen sei.

Anhaltspunkte dafür, dass Trinkaus’ Aktionen gegen die PDS und die Jusos dem Landesamt vorab bekannt waren, hat der Sachverständige jedoch nicht gefunden. Allerdings sei heute auch nicht mehr nachvollziehbar, welche Informationen des V-Manns „Ares“, der zeitweise auch unter dem Decknamen „Wesir“ agierte, tatsächlich in der Behörde gelandet und an Polizei oder Innenministerium weitergegeben worden seien. Der V-Mann-Führer habe häufig telefonische Kurzinformationen von Trinkaus erhalten, „die nur zu einem kleinen Teil aktenkundig gemacht wurden (…), sodass es in dem Bereich eine große Unsicherheit gibt“.

In den Akten findet sich auch kein Vermerk über ein Gespräch am 20. Januar 2007 zwischen Trinkaus und den Neonazis Thorsten Heise und Tino Brandt. Brandt, bis 2000 selbst hochbezahlter V-Mann des Erfurter Verfassungsschutzes, plauderte über seine Erfahrungen als Spitzel in der rechten Szene. Am Rande ging es auch um die Unterstützung der drei geflohenen Jenaer Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Ob Trinkaus seinen V-Mann-Führern über dieses Gespräch tatsächlich nichts zu Protokoll gegeben hat, prüft nun der Untersuchungsausschuss.

Andreas Förster schrieb im Freitag zuletzt über den NSU-Prozess in München

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