Steinalter Wachstumsglaube

Nach der Weltklimakonferenz Warum startet die Bundesregierung jetzt nicht die große Umwelt-Investitions-Offensive?

Wer in Berlin den Groß-Koalitionären zuhört und schaut, was diese bewegt, der lernt, dass große Menschheitsfragen wahlweise darin bestehen, ob im Jahr 2030 der Rentenbeitragssatz die 20-Prozent-Marge überschreitet oder wie zu verhindern ist, dass ein Hartz IV-Empfänger auch nur einen Euro mehr erhält, als ihm eventuell bei engster Auslegung aller Überwachungskriterien der Sozialbürokratie zustehen könnte. Das ist die Welt, in der sich Angela Merkel, Franz Müntefering, Peer Steinbrück und andere bewegen; der Rückschritt von einem Bundespräsidenten Rau zu einem namens Köhler sollte dabei auch nicht unterschlagen werden.

Klimaschutz? Sicher, das Klima darf natürlich nicht den Bach hinunter gehen, sagen sie in ihren Reden. Aber was tun sie mehr, als die Fördermittel für energetische Gebäudesanierung auf 1,4 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen? Gibt es eine Politik, die der Größe der Herausforderung ebenso gerecht wird, wie sie den Möglichkeiten entspricht, die Deutschland als eine der reichsten Industrienationen der Welt eben hat? Richtig: Großes dickes Gabriel macht Dampf. Er will die deutsche EU-Präsidentschaft ab Januar 2007 nutzen, um einen neuen Klimaschutzvertrag auf den Weg zu bringen. Die Kanzlerin ist an seiner Seite, hat sie gesagt. Es gibt Gründe, skeptisch zu bleiben.

Warum ist für diese Koalition der Schutz von Umwelt, Natur und Klima nur ein Thema von vielen und nicht eines der wichtigsten? Hatte sich die SPD nicht einst der ökologischen Modernisierung verschrieben? Ist der Schutz der Schöpfung nicht ureigenes Thema der Konservativen? Heute muss ein Politiker nicht einmal mehr Mut aufbringen, um für eine solche Politik zu kämpfen. Der Klimawandel selbst und seine Gefahren werden von niemandem mehr bestritten; sogar George Bush, der erste Lobbyist der US-Öl-Konzerne, scheint ins Grübeln zu kommen. Breite Schichten des hiesigen Wahlvolkes sehen ein, es muss etwas getan werden. Es sind zudem mehr Gewinner einer entschiedenen Klimaschutz-Politik zu erkennen: Ob Wärmedämmung, ob alternative Energien, damit können Unternehmen viel Geld verdienen. Jüngst rechnete Nicolas Stern, viele Jahre Chefökonom der Weltbank, in einer Studie zum Klimawandel vor, dass ein entschlossener Klimaschutz etwa ein Zwanzigstel dessen kostet, was ein Verzicht auf ihn weltweit an volkswirtschaftlichen Schäden anrichten kann.

Warum also starten Merkel und Müntefering nicht die große Umwelt-Investitions-Offensive? Mit der Entschiedenheit, mit der die Kernenergie einst durchgeboxt wurde; allein deren Erforschung wurde vom Staat mit etwa 30 Milliarden Euro gefördert. Eventuell sogar mit einer gesellschaftlichen Inszenierung der Art, wie sie einst Gerhard Schröder für angemessen hielt, um den Deutschen die Hartz-Gesetze zu bescheren.

Merkel und Müntefering tun es nicht, weil beide - unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Lebensgeschichten - eines repräsentieren, was das wirtschaftliche Denken in beiden deutschen Staaten und Gesellschaften entscheidend prägte: ein Begriff von Fortschritt, der auf blankes Wachstum und technische Innovation verengt blieb, dass er in eben diese Sackgasse einer drohenden Klimakatastrophe geführt hat. So trifft sich mit beiden Politikern noch einmal das steinalte Wirtschafts- und Technikdenken aus BRD und DDR, für das Wachstum per se die Hauptsache war und ist. Zwischen der Leipziger und der Hannoveraner Messe gab es nie eine Mauer, vielmehr die Klammer eines unverbrüchlichen Glaubens an diese Form von Modernisierung; der einzige Unterschied hieß nur: Plan oder Markt. Müntefering und Merkel haben vermutlich sogar verschiedene Motive. Der eingefleischte westdeutsche Sozialpolitiker braucht dieses Wachstum, um den Sozialstaat besser als bisher finanzieren zu können. Die ostdeutsche Physikerin ist mehr von technischer Machbarkeit und ihrem Bild von einem dynamischen Kapitalismus (Regierungserklärung: "Lassen Sie uns die Wachstumsbremsen lösen!") fasziniert. So spricht viel dafür, dass ihre jeweiligen politischen Lebensgeschichten für das große Thema Ökologie so viel Blindheit bereithalten, dass sie es gewiss nie ignorieren, aber letztlich als Neben-Widerspruch klein halten werden.


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