Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, ein Kaufhausbetreiber dürfe einer muslimischen Verkäuferin aus der Parfum-Abteilung nicht deshalb kündigen, weil sie auch während des Dienstes ihr Kopftuch trage. Damit betritt der Kopftuchstreit einen neuen und in gewisser Hinsicht brisanteren Schauplatz. Er wurde bislang überwiegend im Bereich des öffentlichen Dienstes ausgetragen: Noch Anfang Juli hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geurteilt, dass eine Bewerberin keinen Anspruch darauf hat, als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen eingestellt zu werden, wenn sie im Unterricht Kopftuch trägt. Die Begründung: Zwar dürfe der Staat seine Bediensteten nicht aufgrund der Religionszugehörigkeit auswählen, aber die unterrichteten Kinder h
ätten ein Recht darauf, vom Staat nicht dem Einfluss einer fremden Religion ausgesetzt zu werden - auch wenn diese lediglich in Gestalt eines Symbols erscheine. Es zeugt zwar von gedanklicher Enge, einem Kopftuch die weltanschauliche Neutralität abzusprechen, der Breitcordhose des Musiklehrers oder dem Jaguar der Sozialkundelehrerin dagegen nicht. Dennoch ist es verständlich, dass der Staat bei explizit religiös konnotierten Gegenständen besondere Vorsicht walten lässt: Aufgrund der gesetzlichen Schulpflicht ist in gewisser Hinsicht er es, der sich in Gestalt des Lehrpersonals vor die Klasse stellt. Und die Schülerinnen und Schüler haben keine Möglichkeit, dem auszuweichen: Einen möglichen Konflikt zwischen verschiedenen religiösen Auffassungen muss im Bereich der Schule fast ausschließlich der Staat lösen. Wenn er sich dafür entscheidet, größtmögliche Neutralität walten zu lassen, geht das regelmäßig nur auf Kosten der Lehrerinnen und Lehrer - und das ist vielleicht nicht einmal die schlechteste Variante, sonst führte so mancher Pädagoge womöglich das Schulgebet wieder ein. Die Urteilsbegründung dagegen mutet merkwürdig an: So sollten die Kinder "zur Duldsamkeit erzogen" werden, eine durch das Kopftuch symbolisierte Glaubensüberzeugung möge ihnen "vorbildhaft und befolgungswürdig" erscheinen. Als ob Lehrerinnen und Lehrer nicht mindestens ebenso Hohn- und Spott-Objekte wie Vorbilder sind. Der Lehrer Lämpel ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.Beim Kaufhausurteil aus der vergangenen Woche sieht die Lage anders aus: Hier ist es nicht der Staat, der mit einer speziellen Religion in Verbindung gebracht werden könnte, weil sein Bodenpersonal mit einem Tuch herumläuft, sondern es geht um Arbeitgeber und Arbeitnehmerin. Es ist dem liberalen Rechtsstaat grundsätzlich fremd, sich in die vertraglichen Beziehungen der Bürgerinnen und Bürger einzumischen: Jeder soll das Geschäft mit dem machen können, der ihm genehm ist. Und wenn es in der einen Bäckerei müffelt, kauft man die Schrippen eben in der anderen, ohne dass jemand ernsthaft an Diskriminierung denkt. Es brauchte also schon einen besonderen Grund, dass der Staat in Gestalt des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dem Kaufhausbesitzer untersagt, seinen Arbeitsvertrag mit jemandem zu lösen, der ihm nicht mehr passt. Nun haben gerade im Arbeitsrecht grundgesetzliche Wertungen besonderes Gewicht: Der Kündigungsschutz beispielsweise beruht auf dem Sozialstaatsprinzip. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter befanden, dass das Grundrecht der Arbeitnehmerin auf ungestörte Religionsausübung schwerer wiegt als das Grundrecht des Kaufhausbesitzers, nur die Arbeitnehmer zu beschäftigen, die sich seiner Kleiderordnung beugen. Eine ganze Menge Grundrechte, aber: Die Wertung selbst leuchtet ein - insbesondere, weil außer der vagen Befürchtung des Kaufhausbesitzers, wegen des Kopftuchs weniger zu verkaufen, kein Grund ersichtlich ist, dass ihm eine kopftuchtragende Arbeitnehmerin nicht zugemutet werden kann. Nachdenklich stimmt dagegen, dass der Staat in die Rolle gedrängt wurde, das festzusetzen. Zum einen ist es ist ein Indiz dafür, dass kulturelle Differenzen nicht im Dialog, sondern im rechtlich regulierten Konflikt beigelegt werden. Das mag im Einzelfall Rechtssicherheit bringen, erhöht im Ganzen aber die Brisanz, zumal der Staat oft fälschlicherweise als parteiisch wahrgenommen wird. Zum anderen kann der Schuss, wie bei jeder arbeitsrechtlichen Schutzvorschrift, nach hinten losgehen: Arbeitgeber könnten versuchen, den Fall von vornherein zu vermeiden, etwa mit Anti-Kopftuch-Klauseln in Arbeitsverträgen. Die wären nach dem Spruch des BAG zwar nichtig - aber um das festzustellen, würden die Beteiligten wieder vor Gericht ziehen, statt miteinander zu reden. Das alles spricht nicht gegen den Schutz an sich. Sondern dagegen, anzunehmen, solche Konflikte könnten dauerhaft rechtlich geregelt werden. Zumal dem Urteil zur Verkäuferin wie dem zur Lehrerin gemein ist: Sie beziehen sich in gewisser Hinsicht auf virtuelle Materien. Einen handfesten Konflikt gab es nicht: Das Bundesverwaltungsgericht betonte, die weltanschauliche Neutralität im Klassenraum müsse auch ohne konkrete Beschwerden bewahrt werden. Und der Vertreter des Kaufhauses gab zu, gar nicht ausprobiert zu haben, ob die kopftuchtragende Verkäuferin den Umsatz schmälerte. Es zeichnet solche Auseinandersetzungen um religiöse Fragen aus, auf abstraktem Niveau geführt zu werden. Besser wäre es, das Miteinander einfach auszuprobieren statt den Richter zu rufen. Vielleicht hätte das Land Baden-Württemberg festgestellt, dass die Kinder sich für das Ding auf dem Kopf der Lehrerin interessieren, und es hätte gelingen können, was sonst kein Lehrplan Religion schafft: Über Riten und Rituale miteinander ins Gespräch zu kommen. Spöttische Bemerkungen eingeschlossen. Und vielleicht stellt der Kaufhausbesitzer fest, dass die kopfbetuchte Mitarbeiterin eine Klientel bedienen kann, an die ihre Kolleginnen mit blondierter Drei-Wetter-Taft-Frisur nicht herankommen: Musliminnen, die zwar Kopftuch tragen, aber sich ja nicht deshalb auf Kernseife beschränken wollen, sondern in der Parfümerie einkaufen. Aber so riecht es in Deutschland wieder ein Stück mehr nach dem Lineoleum von Behörden und Gerichten.
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