Lexikon In Paris spüren Hunde Bettwanzen im Hotel auf – in Baden-Württemberg Datenträger. Klingt nach einem Fall für „Kommissar Rex“? Dann kennen Sie wohl „Muchtar“ nicht. Was E-Nasen können und wo die Nasen-WM steigt: Unser Wochenlexikon
Immer mal wieder haben wir erwogen, der Bettwanze ein ganzes A – Z in dieser Zeitung zu widmen. 2009 zum Beispiel, als wir, Leonard Cohens „First we take Manhattan, then we take Berlin“ im Ohr, in der New York Times davon lasen, wie die Bettwanze die Apartments und Hotels ihrer Stadt eroberte. So manche juckte es aber schon beim Lesen am ganzen Körper und wir verwarfen das Vorhaben als zu qualvoll. Anstatt im Geiste Cohens (→ Zukunftsforscher) als nächstes Berlin einzunehmen, stürzte die Bettwanze sich vergangenen Sommer dann auf die Pariser*innen, und die setzen zu ihrer Bekämpfung jetzt auf ein durchaus sympathisches Mittel: Spürhunde. Nicht so sympathisch: Bei der Maßnahme geht es weniger um die Bewohner*innen denn um pote
ger um die Bewohner*innen denn um potenzielle Olympia-Tourist*innen im Sommer. 30 Euro pro Hotelzimmer soll die Suche kosten, was für das Prädikat „bettwanzenfrei“ wie ein fairer Preis erscheint. Wir hoffen derweil auf einen Asterix-Sonderband Idefix bei den Olympischen Spielen. Christine KäppelerBwie Bad SpänzerVelden am Wörthersee ist ein maßgeblicher Schauplatz der Supernasen-Reihe. Nur heißt es dort anders, nämlich Bad Spänzer. Insgesamt vier dieser Filme haben Mike Krüger und Thomas Gottschalk zusammen gedreht, zum Teil auch die Drehbücher geschrieben. Der erste entstand mit Piratensender Powerplay 1981, immer war auch der Wörthersee zu sehen. In Velden wurden auch Klamotten wie Wenn die tollen Tanten kommen mit Rudi Carrell und Ilja Richter gedreht oder Wenn mein Schätzchen auf die Pauke haut mit Roy Black und Uschi Glas. Da passten die beiden Quatschonkel mit den markanten Gesichtserkern genau in die Gegend. Vor allem liegt es aber an ihrer Produktionsfirma Lisa Films. Deren Geschäftsführer hatte am Wörthersee einen Narren (→ Rekorde) gefressen. Er ließ sich sogar in Velden, ähm: Bad Spänzer beerdigen. Tobias PrüwerEwie E-NasenMan stelle sich Handys vor, die Pflanzen am Geruch erkennen. Oder Computer, die Krankheiten anhand des Körpergeruchs erschnüffeln (→ Krebs). Was nach Science-Fiction klingt, könnte mit elektronischen Nasen möglich werden. E-Nasen sind, vereinfacht gesagt, Computersysteme mit Sensoren, die Gerüche in elektronische Signale umwandeln. Seit Jahrzehnten wird an solchen Systemen geforscht. Mittlerweile können Forscher*innen mit E-Nasen den Geruch von Minz-Sorten unterscheiden. Sollte es gelingen, das Riechvermögen weiter zu verbessern, sind die Anwendungsmöglichkeiten vielseitig. Eine Forschungsgruppe in Dresden und Jena beschäftigt sich beispielsweise mit ihrem medizinischen Potenzial. Viele Krankheiten, so die Annahme, verändern den Körpergeruch. Mit E-Nasen wäre es möglich, das zu erkennen und frühzeitig eine Diagnose zu stellen. Auch ein Aufsatz für Handys ist denkbar, so dass man seine E-Nase immer dabei hat – beispielsweise beim Kräutersammeln. Jerrit SchlosserFwie FußballerIm Leistungssport kommt nur weiter, wer bereit ist, alles (→ Rekorde) zu geben – und sei es die eigene Ansehnlichkeit. Das wissen wir spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre, als sich im Profifußball das Nasenpflaster breit machte. Eigentlich im Kampf gegen das Schnarchen entwickelt, versprach es einen Leistungsschub. Das Erfolgsrezept klang bestechend: Durch die vom Pflaster geweitete Nase sollte mehr Sauerstoff in die Sportler gelangen. Und so liefen auf Profi- und Amateurplätzen kurzzeitig einigermaßen albern aussehende Fußballer herum. Die berühmteste Supernase in Deutschland war Olaf Marschall, der 1998 mit dem 1. FC Kaiserslautern sensationell Meister wurde. Da war das Nasenpflaster allerdings schon wieder verschwunden. Denn die Wissenschaft hatte Erstaunliches herausgefunden: Das Wundermittel half gar nicht. Benjamin KnödlerGwie GogolDie Nase des Kollegienassessors Kowaljow: Sie hat irgendwann genug von ihrem Besitzer und macht sich frei. Trennt sich aus dem Gesicht des Beamten und geht ihren eigenen Weg. Findet sich etwa auf dem Frühstücksbrot des Barbiers Iwan Jakowlewitsch wieder, um nach einigen Irrungen und Wirrungen zu Kowaljow zurückzufinden. Die groteske Erzählung von Nikolai Wassiljewitsch Gogol beschreibt eine ganz besondere Supernase: ein Stück Literatur zwischen Realismus und Fantastik (→ Pinocchio), das nicht nur Kafkas Verwandlung, sondern gleich noch den Surrealismus vorwegnimmt. Das Lesevergnügen ist auch heute noch groß, vor allem, weil Gogol das absolut Absurde in einem Alltagston erzählt, der eine faszinierende Modernität besitzt. Was ist das für eine Welt, in der uns sogar noch die eigene Nase abhandenkommen kann, fragt Gogol in seiner Erzählung aus dem Jahre 1836, die zu den Petersburger Novellen gehört. Günter Eich hat sie 1956 zu einer NDR-Hörspielfassung umgearbeitet. Marc PeschkeKwie KrebsDass Hunde vielseitige Schnüffeltalente sind, ist bekannt. Dass sie Krankheiten diagnostizieren können, klingt fast unglaublich. Speziell ausgebildete Tiere sind in der Lage, am Geruch von Diabetikern einen gefährlich niedrigen Blutzuckerspiegel zu erkennen. 20 bis 30 Minuten vor einem Anfall können sie Epileptiker warnen. Und nun erstellen sie sogar Krebsdiagnosen! Erstaunlich genau, wie Studien zeigen. Forscher in den USA haben Beagle darauf trainiert, Blutseren von Personen mit oder ohne Lungenkrebs zu unterscheiden. In Japan wiederum gab es Versuche mit einem Labrador, der treffsicher Darmkrebs erspürte. Ähnliches lässt sich auch zu Brust-, Eierstock- und Blasenkrebs sagen. Vierbeinige Helfer (→ Muchtar) für Schulmediziner? Gefeit sind die Hunde selbst allerdings ebenso wenig vor Krebs wie Ärzte. Irmtraud GutschkeMwie MuchtarMit Hudson & Rex startete 2019 ein kanadisches Remake der erfolgreichen TV-Serie Kommissar Rex. Das eigentliche Vorbild für die Hunde-Helden aber kam aus dem Osten: Polizeihund Muchtar (UdSSR, 1965). Den melancholischen Hundestaffel-Milizionär spielte darin der populäre Juri Nikulin, der traurige Clown des sowjetischen Films. Muchtar ist anfangs ein herrenloser Hund, der nur langsam Vertrauen zum neuen Partner (→ Bad Spänzer) fasst. Am Ende wird Muchtar von einem Banditen angeschossen und deshalb bei der Miliz ausgemustert. Durch die letzte Szene humpelt er wie ein invalider Kriegsveteran. Eine andere Hundefigur hinter dem Eisernen Vorhang mag den US-Kriegsfilm Sergeant Rex (2017) um eine Soldatin im Irakkrieg und ihren Bombenspürhund angeregt haben. Der Vorläufer hieß Szarik aus der polnischen TV-Serie Vier Panzersoldaten und ein Hund (1966). Der Hund Szarik bildet dort mit zwei Polen, einem Georgier und einem Ukrainer eine Panzerbesatzung der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg, die Polen befreien hilft und schließlich bis Berlin vorstößt. Michael SuckowPwie PinocchioMitleid, aber auch Integrität lernen, das konnten wir als Kinder bei der Lektüre von Pinocchio. Erdacht hat ihn der Florentiner Carlo Collodi am Ende des 19. Jahrhunderts. Pinocchio wird vom Schreiner Gepetto aus einem Holzscheit geschnitzt und lebendig. Der blutarme (→ Aargh!) Gepetto kümmert sich um Pinocchio, Fuchs und Katze wollen den Holzjungen dagegen auf Abwege locken. Die Fee mit den blauen Haaren schreitet immer wieder ein, und am Ende wird Pinocchio sich bessern und ein Junge aus Fleisch und Blut werden. In dem Stadium, das man heute pubertär nennt, macht Pinocchio aber jede Menge Unfug. Und wenn er lügt, wächst ihm die Nase so lang, dass er überall anstößt, was gleichermaßen widrig wie komisch ist und nicht nur Kindern durch die Blume sagt, dass man beim Lügen sehr schnell auffallen kann. Beate TrögerRwie RekordeWussten Sie, dass es eine Nasen-Weltmeisterschaft gibt? Die nächste steigt 2026, wie immer im bayerischen Langenbruck. Die längste Nase aller Zeiten aber hatte nicht → Pinocchio, sondern der britische Zirkusartist Thomas Wedders, dessen Zinken in den 1770er-Jahren rund 19 Zentimeter maß. Wenn Sie unerschrocken sind: Suchen Sie mal nach den Bildern. Einen kuriosen Rekord erzielte die US-Nase des damals 13-jährigen Andrew Dahl: Er blies in einer Stunde 213 Luftballons mit einem Nasenloch auf. In Sachen Lautstärke hat ein anderer die Nase vorn: Beim Schweden Kare Walkert wurde mit 93 Dezibel das lauteste Schnarchen der Welt gemessen. Einen flotten Riecher hat ein 35-jähriger Inder, der das Alphabet auf der Tastatur in 47 Sekunden nur mit seiner Nase tippte. Die angeblich schönste Nase der Welt ziert laut einer Studie das Gesicht der Schauspielerin Amber Heard. Sie erlangte traurige Berühmtheit durch den Rechtsstreit mit ihrem Ex-Mann Johnny Depp – weil der Prozess medial ausgeschlachtet und wirklich jedem unter die Nase gerieben wurde. Ben MendelsonZwie ZukunftsforscherJede Wissenschaft (→ E-Nasen) will am Ende aus dem Verständnis des Gestern und Heute etwas über morgen lernen. Doch weiße Schimmel verkaufen sich gut – und so boomt zwischen Akademia und Consulting unentwegt die Zukunftsforschung. Die Supernasen der Gesellschaftskunde punkten mit einer Zeitreisenden-Pose: Sie stehen weit über unserem Klein-Klein, für das sie uns dennoch besten Rat geben können, verfügen sie doch über einen Horizont von übermorgen! Diesen verpacken sie in blumige Begrifflichkeiten – gerne in sich widersprüchlich, denn: Irgendwas davon wird sich irgendwann und irgendwie schon zutreffend anfühlen. Und wenn nicht? Egal: Der führende deutsche Zukunftsforscher ist noch immer der Mann, der – sorry, es muss mal wieder sein – 2001 verkündete, das Internet werde sich nicht durchsetzen.Velten Schäfer
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