Nachruf Andreas Buro war der wohl wirkmächtigste Organisator und Theoretiker der Friedens- und Protestbewegung. Nun ist er verstorben und hinterlässt einen immensen Wissensfundus
Die zehn Zeilen seiner letzten Mail vom 23. September vergangenen Jahres waren verstörend knapp gehalten. Im Betreff: „Schlechte Nachrichten“. Weder nach einer Operation, noch einer Chemotherapie seien „Heilungschancen möglich.“. „Also wirklich keine gute Nachricht! Bitte, verzichte darauf, mich anzurufen. Gerne kannst du mir mailen oder schreiben. Ich wünsche dir alles Gute für deine wichtige Arbeit. Ich melde mich wieder, sobald sich neue Gesichtspunkte ergeben.“ Ein Abschied für immer und dann doch dieser letzte Hoffnungsschimmer.
Mehr als fünf Jahrzehnte hat sich Andreas Buro mit dem „Prinzip Hoffnung“ politisch eingemischt, mit seinen Impulsen und Entwürfen die unterschiedlichen Phasen der Friedensbewegu
n Phasen der Friedensbewegung(en) geprägt. Ein besonderes Kennzeichen seines tatsächlich unermüdlichen Einsatzes machte ihn zu einer Ausnahmefigur in der Nachkriegsgeschichte. Er war stets Theoretiker und Praktiker, Organisator und reflektierter Impulsgeber. Reflexion und Organisation verstand er stets als Einheit. Sein Veröffentlichungsfundus zur Internationalen Politik sowie zur Friedens- und Sicherheitspolitik, aber vor allem zu den notwendigen Lernprozessen der Friedensbewegung bietet eine unversiegbare Quelle. Seine zweiseitige „Stellungnahme zur Situation der Friedensbewegung“ vor einem Jahr war ein typisches Dokument aus seiner Werkstatt.Knapp, klar, konkret: „Selbstverständlich haben sich die Formen, in denen sich Friedensbewegung äußert und kommuniziert mit der Entstehung der Computerwelt stark verändert. Das wichtigste erscheint mir trotzdem, Menschen in Kommunikations- und wo möglich in Arbeitszusammenhänge einzubeziehen. Diese dürfen sie nicht überfordern,“ notierte er. Und: „Mobilisierung gelinge nur in besonderen Situationen starker Motivation.“ Anlässe zur Resignation gab es auch für Andreas Buro in fünf Jahrzehnten reichlich. Doch er widerstand – wie kaum ein anderer – dem Rückzug in die Bequemlichkeitsfalle. Sein Lebenswerk hat der diplomatische Pazifist vor fünf Jahren in einer sehr offenen Autobiografie veröffentlicht. In seinem Buch „Gewaltlos gegen Krieg – Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten“ (Brandes und Apsel, Frankfurt 2011) hat er aufgeschrieben, was andere vergessen haben. Andreas Buro, der Lebensmensch, hat damit ein sehr ungewöhnliches Buch hinterlassen, das die Lernprozesse eines bewegten Lebens reflektiert – und damit wiederum Lernprozesse anstoßen will.328 Seiten pralles Leben – spannender als jedes Politikerbuch der Ghostwriter„Es war nie meine Absicht gewesen, dieses Buch zu schreiben.“ Im ersten Satz der „Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten“ schwingt die Skepsis eines reflektierten Praktikers gegenüber meist belanglosen Autobiografien mit. Denn das Gros der Politiker, Wissenschaftler oder Manager, die im Spätherbst ihrer Vita der Nachwelt ihre Lebensbilanz überliefern wollen, scheitert. Sie scheitern, weil sie wenig zu erzählen haben, das Erlebte nicht systemisch einordnen oder sich im Weichzeichner ihrer Erinnerungen verlieren. All das passierte dem Forst- und Politikwissenschaftler, Friedensforscher und Bewegungsaktivisten Andreas Buro nicht. Der politisch "spätberufene" Mitbegründer und Sprecher der ersten Ostermärsche hatte sich von seinem Weggefährten, dem Historiker Volker Böge, zu seinen Lebenserinnerungen überreden lassen. Historiker benötigten – so Böge – den reflektierten Materialfundus, den subjektiven Blick der Akteure, die authentische Musterung von 50 Jahren Einsatz in den sozialen Bewegungen, um später „eine Geschichte von Unten“ zu ermöglichen. Diesen hohen Anspruch löste Buro in seinem Lebenswerk „Gewaltlos gegen den Krieg“ auf gut 300 Seiten überzeugend ein. Er verknüpfte „Persönliches und Politisches“ und erzählte die Nachkriegsgeschichte aus der Perspektive seines „Doppellebens“ als getriebener Friedensaktivist und Normalbürger in den Zwängen von Beruf(en) und Familie. Seine Erfahrungen im Protest gegen den Vietnamkrieg bis zum Engagement gegen die Afghanistan-Intervention sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil stets persönliche Protest-Motivation mit präziser Fallanalyse der jeweiligen Kriegs-Szenarien verknüpft werden. In chronologischer Folge musterte Andreas Buro etwa zwei Dutzend Kriegsfälle und friedenspolitische Themenfelder und unterlegte diese exemplarischen Beispiele mit seiner wissenschaftlichen Expertise. Auch wenn die militärische Logik in den Kriegseinsätzen sich meist gegen alle Widerstände durchsetzte, vermitteln seine Lebenserinnerungen das Gegenteil von Resignation. Die Klammer aller Protestaktionen, Demonstrationen und Gegenexpertisen sind aus Buros Sicht „kollektive Lernprozesse“, die auf Dauer Spuren in Gesellschaft und Politik hinterlassen. "Erfolgreich scheitern" könnte die Kernbotschaft des Buches und seines vollen Lebens sein.Drei Grunderkenntnisse für soziale BewegungenEs sind vor allem drei Lernerfahrungen, die Buros gut dokumentiertes Erfahrungswissen aus der Praxis der sozialen Bewegungen für die kommenden Protestgenerationen fruchtbar machen können. In seinem Politikentwurf bündeln sich analytisch durchdrungene Konzeption, verlässliche Organisation und vor allem Kontinuität. Ganz gleich ob es um die Ostermärsche, das legendäre Sozialistische Büro (SB) oder das daraus erwachsene Komittee für Grundrechte und Demokratie (und viele weitere Initiativen) geht: Die profunde Konfliktanalyse und die daraus folgenden strategischen Bausteine wurden stets in ihrem politischen, ökonomischen und internationalen Bezugssystem „zusammengedacht.“ Attac, Umwelt- und Friedensbewegung und viel mehr könnten aus diesem von wissenschaftlicher Expertise getränkten politischen Betriebssystem lernen, wie wertvoll und zielführend ein analytisches Fundament für alle Protestaktionen sein kann. „Politik ist Organisation“ – dieses Leitmotiv von Herbert Wehner hätte sich Andreas Buro, der bekennende Parteien-Skeptiker, natürlich nie zu Eigen gemacht. Aber bei den hunderten von ihm geprägten Neugründungen, Initiativen und Projekten spielte die solide Organisation stets eine gewichtige Rolle. Perfekt hatten etwa die Organisationsgenies Klaus und Hanne Vack, die langjährigen Geschäftsführers des Komittees für Grundrechte und Demokratie, dieses Prinzip umgesetzt. Auch der dritte Erfolgsfaktor, der sich wie ein Lesezeichen durch das Buch zieht, sollte im kollektiven Gedächnis von sozialen Bewegungen verankert werden: Das mühsame Prinzip der Kontinuität der Aktivisten. Im Subtext seiner Erinnerungen schwingt die Losung erfolgreichen Protests stets mit: „Nie aufhören, anzufangen.“ Nichts kommt über Nacht, weder Protest-Strohfeuer, emotionale Empörung oder abgehobene Theoriegebilde können die geforderten „kollektiven Lernprozesse“ beflügeln. Einfacher ausgedrückt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.Das Politische und das PrivateDass diese Trias jedoch keine schlichte Blaupause für kollektiven Protest sein kann, schreibt Buro auch am Beispiel seiner vier Kinder. Leicht resigniert notierte er: „Für meine friedenspolischen Ambitionen haben sich alle bisher nicht erwärmen können. Sie sind nicht gegen mein Engagement, doch es ist nicht "ihr Ding". Vielleicht habe ich das Thema zu stark besetzt und es nicht verstanden, sie einzubeziehen.“„Meine Absicht war es Persönliches und Politisches zu verbinden,“ verspricht der Träger des „Aachener Friedenspreises“ im Vorwort. Auch dieser schwierigen Gratwanderung wurde Buro gerecht. Mit ungewöhnlicher Offenheit etwa in dem Kapitel über die Sterbebegleitung seiner Frau oder dem dramatischen Schicksal eines Sohnes zwischen „Alkoholismus, Epilepsie (und) psychotische(n) Zustände(n)“. Auch über seine neuen Beziehungen im Alter, sein privates Kontaktnetz und seine Angst vor Einsamkeit und Tod berichtete er authentisch, resümierte frei von Larmoyanz. Auch diese Kapitel gehören zu seinem „Doppelleben“, zu dem mitunter komplizierten Spagat zwischen unermüdlichen politischen Dauereinsatz und alltäglichen Herausforderungen.Buro hatte mit seinen „Lebenserinnerungen“ zu Lebzeiten ein Ausnahmebuch vorgelegt, dass seine Ausnahmebiografie als friedenspolitischen Aktivist mit analytischen Tiefgang vital vermittelte.Der Wiener „Theoretiker der Subkultur“, Rolf Schwendter, hätte Andreas Buro als eine „Drehpunktfigur“ bezeichnet. Antonio Gramscis Konzept des „organischen Intellektuellen“ passt zu der politischen Ausnahmebiografie, andere würden ihn als eine bedeutende „Linke Leitfigur“ hervorheben. Ein halbes Jahrhundert, seit seinem 30. Lebensjahr, hat der wissenschaftliche Aktivist der herrschenden Machtpolitik beharrlich das Prinzip der zivilen Konfliktbearbeitung entgegengesetzt, um Frieden möglich(er) und Militär überflüssig(er) zu machen. Seine Lebenserinnerungen sind eine Kathedrale der Erkenntnis nicht nur für die kommenden Protestgenerationen.Am 19. Januar ist Andreas Buro an einem schweren Krebsleiden im Kreis von Familie und Wegbegleitern verstorben.
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