"Tosca" an der Berliner Volksbühne

Bühne Die Volksbühne hat in den letzten zehn Jahren verschiedene Versuche unternommen, um dem Theater neue Energien zuzuführen. Nach den anfänglichen ...

Die Volksbühne hat in den letzten zehn Jahren verschiedene Versuche unternommen, um dem Theater neue Energien zuzuführen. Nach den anfänglichen Attacken auf Stücke kam es zur Abkehr von der dramatischen Literatur. Frank Castorf entschied sich, Filmdrehbücher aufzuführen. Nach der mit gemischten Empfindungen aufgenommenen Film-Theater-Welle fand der Volksbühnen-Intendant ästhetisches Neuland in der Bearbeitung der Romane von Bulgakow und Dostojewski. Sein Interesse für Der Meister und Margarita, Dämonen und Der Idiot war geprägt von einem religious turn, den die Volksbühne in einem agnostischen oder atheistischen Umfeld unternahm. Die zentrale Frage lautete: Welches Sinnpotenzial kann die christliche Religion Menschen von heute geben? Castorf hat auf die Frage, ob ihm das Höhere, die Religion fehle, in einem Gespräch einmal geantwortet: "Es ist das Rauschhafte am Katholischen, das schon Bataille angezogen hat. Die Nähe von Theatralik. Und dass man eine Insel zum Ausruhen findet. Ich brauche das Wunder. Allein die Rationalität der schnell arbeitenden Computerzeit, das geht nicht. Nur mit Zynismus zerbricht alles. Religiosität ist ein Anker."

Castorfs Hinwendung zu den russischen Romanen erfolgte unter dem Aspekt der radikalen Vereinsamung der Hauptfiguren. Auch in Verbrechen und Strafe wurde die Leere des Lebens nach dem Verlust des Glaubens thematisiert. Das Cover des Programmhefts von Verbrechen und Strafe gab eine Antwort auf die Frage, wie Raskolnikows Mord und die Greueltaten der Geschichte überwunden werden könnten. In großen Lettern stand auf dem Cover nur ein einziges Wort zu lesen: Gnade. Die in den Feuilletons seit kurzem so sehr betonte Krise der Volksbühne hat auch damit zu tun, dass Castorfs Reflexion ethischen Handelns - auch in seiner Schneekönigin - nur auf wenig Resonanz stieß.

Nun hat Castorf den schwierigsten Schritt seiner Direktion unternommen. Er hat sich der Oper zugewandt und mit seinen Meistersingern (2006) den Auftakt gemacht, bevor er bei den diesjährigen Wiener Festwochen Wolfgang Rihms Kammeroper Jakob Lenz herausbringen wird. In der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz selbst hat sich aktuell der 39-jährige Regisseur Sebastian Baumgarten Victorien Sardous Stück "Tosca" genähert. Giacomo Puccinis Musikdrama (Deutsches Filmorchester Babelsberg unter der musikalischen Leitung von Max Renne) ist in Baumgartens Zurüstung nur in wenigen Passagen präsent. Die Songs der Band Tarwater konterkarieren die Elegie von Puccinis Oper ständig. Die lässig dargebotenen Schauspielkünste, die Collage von Musikzitaten, die Drehbühne mit ihren Stegen (Robert Lippok und Alexander Wolf), die Walls mit den Video-Einspielungen (Chris Kondek), der Zauber des Lichts haben ihre poetischen Momente, aber die Addition der einzelnen Elemente fügt sich eher zu einem disparaten Ganzen.

Zwischen den Protagonisten tobt ein unterkühlter erotischer und politischer Machtkampf, der alle Beteiligten als Verlierer zurücklässt. Kathrin Angerer gibt Floria Tosca als eine kalte Diva, die mit den Verführungskünsten einer Kindfrau sich die Männer zueigen macht. In erster Linie interessiert sie die Macht, der sie ihr gesamtes Handeln unterordnet. Man spürt zwar, welchen Zwang sie sich dabei selbst antut, wie sehr sie ihre Lebensmaxime in die Erschöpfung treibt und sie - wie Mimi in La Bohème - Blut spucken lässt. Der überdrehte Lars Rudolph als Maler Mario Cavaradossi geistert durch eine ihm irreal gewordene Welt. Er weiß keinen Ausweg aus der Engführung seines Lebens, aus Toscas Eifersucht und aus den politischen Intrigen. Er krächzt wie ein kranker Vogel, wenn er zum Gesang ansetzt. Mario Cavaradossi windet sich, lässt sein Gesicht und seine Muskeln zucken, reißt die Augen auf und sieht sein tragisches Ende.

Auch wenn Sebastian Baumgartens Tosca den Eindruck einer überfrachteten Produktion hinterlässt, die sich in viele Erzählstile und Gedankenstränge aufsplittert, spürt man doch die Lust, alles in Bewegung zu setzen, um der Volksbühne durch die Oper neues Leben einzuhauchen.

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