Totschlag

Linksbündig Die Inflation der Hitler-Vergleiche

Preußen war der Hort der Toleranz. Arafat ist Hitler. Haider auch. Falls er es nicht ist, sind wenigstens die Vertriebenen Hitlers fünfte Kolonne. Auf alle Fälle sind aber die derzeitigen Oppositionsparteien im Bundestag Hitlers Enkel. So grundverschiedene Länder wie Iran, Irak und Nordkorea ergeben plötzlich umstandslos die "Achse des Bösen". In den siebziger Jahren hieß es Rot=Braun. Diese billige Gleichsetzung kehrte wieder in der Formel SED=NSDAP, kurz nach der Wende.
Nicht dass wir die Befähigung der politischen Klasse zum historischen Vergleich je besonders hoch eingeschätzt hätten. Selbst Willy Brandt nannte einst Heiner Geißler in einem sorgsam kalkulierten Ausfall vor laufenden Kameras "den schlimmsten Hetzer seit Goebbels". Aber die historische Bewusstlosigkeit dieser Figuren nimmt doch langsam Besorgnis erregende Züge an. Selbst wenn bei einem historischen Ereignis, das so sehr an die Grenzen des Verstehens reicht wie der Nationalsozialismus samt seiner Zentralfigur, man damit rechnen muss, dass seine Verarbeitung auch irrationale Züge annimmt.
Der wohlfeile Hitler-Vergleich, der gerade wieder Mode ist, ist die andere Seite der voraussehbaren Trivialisierung des Streits über den Holocaust. Die Zeitzeugen sterben aus. Der Holocaust wird ein Archivfall. Die Historiographie versenkt sich in die privaten Nischen, leuchtet Hitlers Sexualleben aus oder befragt seine Sekretärin. Da kann es nicht verwundern, dass der Diktator auch zum locker sitzenden Faustpfand tagespolitischer Händel wird.
Ein Patent auf unpassende Hitler-Vergleiche hat die politische Klasse freilich nicht. Im Fall der Hitler-Analogie müssen wir uns eines intellektuellen Stichwortgebers erinnern: Hans Magnus Enzensberger sah sich bekanntlich bei Saddam Hussein an den Endlöser erinnert. Auch wenn sich später herausstellte, dass die gemeuchelten Babys in kuwaitischen Brutkästen die Inszenierung einer amerikanischen PR-Agentur waren. Das alte Argument, dass man die Nazischergen und ihre Verbrechen mit solchen Redensarten bagatellisiert, mag man der neuerlichen Vergleichsinflation kaum noch entgegenhalten. Genau deswegen aber ist die CIA nämlich immer noch nicht die SS. Die Attacke der amerikanischen Kritikerin Susan Sontag, der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger sei der "Milosevic der USA" ist angesichts des Reports des US-Journalisten Christopher Hitchens zwar vielleicht nicht ganz so abwegig. Aber sie bleibt eine unschöne Spekulation mit dem Odium des geplanten Genozid. Knapp daneben ist auch diffamiert. Propaganda essen Differenzierung auf, Endlösung im Vergleich. Der gezielte Reflex auf den größten anzunehmenden zivilisatorischen Gau soll einen Bannfluch über den Gegner legen, gegen den es keine Berufung mehr gibt. Im argumentativen Ernstfall fällt Vergangenheitsverarbeitung trotz - oder vielleicht gerade wegen - der jahrzehntelang nachgebetenen Bewältigungsformeln doch bloß auf den rhetorischen Totschlag zurück.
Die grassierende Instrumentalisierung der Geschichte kommt auch in der Namensgebung für solche Institutionen zum Ausdruck, die dieser Amnesie eigentlich abhelfen sollen. Die Hoffnung auf wissenschaftliche Reputation kann sich das regierungsoffiziell geplante "Zentrum gegen Vertreibung" gleich schenken, wenn qua Titel schon feststeht, was noch erforscht werden soll. Solange hierzulande mit solchen Kurzschlüssen gezündelt wird, dürfte es schwer fallen, sich darüber aufzuregen, dass der tschechische Ministerpräsident Zeman die Palästinenser kurzerhand so vertreiben will, wie die Vertriebenen am Ende des Zweiten Weltkrieg aus seinem Land.
Man mag Günter Grass die Liebe zum konstruktivistischen Holzschnitt ankreiden. Man mag es auch ganz generell problematisch finden, dass die Literatur die Bürde der Historiographie schleppen soll - mit allen Nachteilen für den knappen Rohstoff Fiktion. Aber abgesehen davon, dass sein Reizthema "Vertreibung" angesichts des Streits um die Benes-Dekrete keineswegs so irrelevant ist, wie Hellmuth Karasek glaubte höhnen zu müssen, hat der Nobelpreisträger in seiner Novelle Im Krebsgang mit der Erinnerung an Tausende unschuldige Tote vielleicht auch mehr Sinn für die bewiesen, die am Ende solcher rhetorischen Feldzüge meist die Leidtragenden sind. Dafür steht ihm nun offenbar, wenn man die neueste Titelseite eines linken Magazins richtig deutet, die nächste Runde der fröhlichen Nazi-Vergleiche bevor.

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