Trauerflor

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"Es gibt Zeiten, in denen man erkennen muss, dass das Spiel nicht das Wichtigste ist". So stand es auf der Homepage der amerikanischen Baseball Major League. Am Wochenende nach den Terroranschlägen fielen beim US-Baseball drei Spieltage hintereinander aus, das erste Mal seit 1918, als die Saison wegen des ersten Weltkriegs um einen Monat verkürzt wurde. In den USA, der sportverrücktesten Nation der Welt, und in einer Liga, in der Milliardenbeträge umgesetzt werden, ist das ein einschneidendes Ereignis.

Die Anschläge haben die fanatische amerikanische Sportbegeisterung merklich gedämpft. Am "Wochenende danach" wurde fast jede Sportveranstaltung gestrichen, die einzigen Übertragungen im US-Fernsehen waren Rodeo und das Rennen der "Champ Cars"-Serie auf dem Lausitzring in Deutschland. Sogar während des Zweiten Weltkriegs kannte man keine derartigen Unterbrechungen, damals gab Präsident Roosevelt die Parole aus, der Sport müsse weitergehen, weil er eine vitale Funktion in Zeiten nationaler Krisen habe.

Die Fernsehstationen sendeten am Wochenende nach den Anschlägen statt der Sportveranstaltungen Nachrichten, meistens Live-Schaltungen nach New York und Washington. Aber sie waren auf alles vorbereitet: Wenn der Sport doch stattgefunden hätte, wäre in der oberen rechten Ecke der Mattscheibe die amerikanische Flagge aufgetaucht. Grenzenlos und vor allem selbstlos ist der Patriotismus der Sendeanstalten allerdings nicht. Die New York Times geht davon aus, dass auf die Vereine große Schadensersatzforderungen der Sender zukommen. In den milliardenschweren Verträgen zwischen den Sportveranstaltern und den Sendern gibt es zwar eine Klausel für den Ausfall der Spiele im Kriegsfall, doch es gilt als sicher, dass die Sender die Verluste nicht allein tragen wollen.

Die Vereine sind von der Krise am schwersten betroffen, ihre Spieler sind unzufrieden. Viele hatten schon angekündigt zu streiken, falls die angesetzten Spiele stattgefunden hätten. Sie spürten in den Tagen nach der Katastrophe stärker als zuvor die Diskrepanz zwischen ihrer Abhängigkeit von der Maschinerie der Sportvermarktung und ihrer Verantwortung als gesellschaftliche Helden, die gerade in Zeiten der Not Standfestigkeit beweisen sollen. Nun müssen sie wieder spielen, doch Angst bleibt. Ein vollbesetztes Stadion, in dem sich weltbekannte Spitzenspieler tummeln, wäre als Angriffsziel ideal. Ein Club war sogar unmittelbar von der Katastrophe betroffen: Zwei Talentscouts des Eishockeyvereins Los Angeles Kings saßen in dem zweiten Flugzeug, das ins World Trade Center raste.

Football, Baseball, Golf, Tennis, Motorsport: Jede Sportart in den USA nahm sich in den Tagen der Trauer zurück. Auch der Weltmeisterschaftskampf im Boxen fiel aus, notgedrungen: Der Madison Square Garden, in dem der Ring aufgebaut werden sollte, diente als Lager für Verletzte und Obdachlose. - Beim Fußball, in den USA eine Randsportart, war man besonders konsequent. Die LigaFunktionäre beendeten gleich die laufende Saison und ließen die letzten zehn Spiele ausfallen. Jede Mannschaft, die noch an der Reihe gewesen wäre, bekam einen Punkt.

Letztes Wochenende kehrten die Normalität und die Spiele zurück. Sport gehört zur Unterhaltungsindustrie und die Show muss weitergehen. Doch auch in der Sportwelt wird nichts mehr so sein wie früher. Letztes Wochenende, mehr als zehn Tage nach der Katastrophe, sind die Sportkolumnen in den USA voller nachdenklicher Töne: Man lobte zwar die Spitzensportler, von denen manche ihr gesamtes Wochengehalt für die Polizei und die Feuerwehr von New York spendeten. Doch die Autoren machten sich auch Gedanken, ob es gerechtfertigt ist, dass die Wochengehälter der Sportler höher sind als das Jahresgehalt eines Feuerwehrmanns. Beim ersten Baseballmatch der New York Mets nach den Anschlägen gab es standing ovations für Bürgermeister Rudolph Giuliani, ein bekennender Fan des Erzrivalen New York Yankees: Der hysterische USA-Sport wird nachdenklicher - und versöhnlicher, zumindest für einige Tage.

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