Trickle up: Das Geld fließt nach oben

Das eine Prozent Geringverdiener sind als Kunden US-amerikanischen Steuerberater sehr begehrt
Ausgabe 13/2015
New Yorks Freiheitsstatue als Werbe-Ikone für Steuerbüros
New Yorks Freiheitsstatue als Werbe-Ikone für Steuerbüros

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

In der Coney Island Avenue in Brooklyn reihen sich Autowerkstätten, 99-Cent-Läden, der Bella-Pizza-Take-out und ein paar Delis in denen es Lotterielose, Bier, Zigaretten sowie Milch, Bananen und Katzenfutter gibt. An einem windigen Tag im Februar vor ein paar Jahren tauchte dort eine Freiheitsstatue auf. Manchmal trug sie Sonnenbrille zum Schaumstoffkrönchen. New Yorks Ikone verteilte Werbezettel für ein neues Steuerbüro, das einen ehemaligen Blumenladen übernommen hatte.

Dann verschwanden Statue und Büro, es schien ein klarer Fehlschlag: Wer in dieser Gegend, wo Taxifahrer zu den Besserverdienern gehören, sollte den Rat eines Steuerfachmanns in Anspruch nehmen? Doch ein Jahr später waren beide wieder da.

Tatsächlich ist „Little Samarkand“, der Spitznahme des Viertels, mit seiner Immigranten-Mischung genau richtig für diese Art Steuerberater. Sie haben es auf den Earned Income Tax Credit abgesehen, eine der populärsten Sozialhilfemaßnahmen in den USA. Jedes Jahr erhalten Geringverdiener eine Art Steuerrückzahlung. Da die Minimallöhne zum Überleben oft nicht reichen, soll Arbeit über dieses Steuerprogramm zusätzlich entlohnt werden. 26 Millionen Haushalte sind daran angeschlossen, pro Jahr geht es um rund 60 Milliarden Dollar. Im Schnitt erhalten diese Arbeitnehmer 2.900 Dollar. Damit können sie überfällige Raten abbezahlen und im besten Fall ihren Kindern neue Kleidung kaufen. Doch um sich zu qualifizieren, müssen bis zum 15. April entsprechende Steuerunterlagen eingereicht werden. Wegen wechselnder Arbeitgeber und anderer Zuschüsse, die Empfänger melden müssen, kann die Steuererklärung so kompliziert sein wie bei Reichen.

Die Steuerindustrie wittert ihre Chance. Profis erledigen den Papierkram meist in einer halben Stunde, kassieren dafür aber gern 400 Dollar. Jedes Jahr zum Steuertermin schießen Büros wie Pilze aus dem Boden. Auch große Firmen wie die börsennotierte Kette H&R Block mieten für zwei bis drei Monate Läden an.

Selbst in den USA hat die Trickle-down-Theorie, wonach der Konsum Wohlhabender allen hilft und etwa der Reiche mit dem Kauf einer Jacht Einkommen für Werftarbeiter und Hafenkneipiers schafft, an Glaubwürdigkeit verloren. Doch die Trickle-up Economy floriert. Banken vergeben freizügig Kreditkarten und schlagen dann mit Verzugszinsen von bis zu 30 Prozent zu. Die Zahl der Kreditkarten, die an Neukunden mit wackeliger Bonität vergeben wurden, stieg allein gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent. Autokredite haben ein Rekordhoch von 900 Milliarden Dollar erreicht. Besonders schnell wachsen dabei die Kredite an Subprime-Schuldner. Die kauft und verpackt die Wall Street gerne in Anleihen, bringen sie doch die höchsten Renditen.

Investoren wissen: Die monatliche Rate fürs Auto zahlen die Leute – noch vor Strom und Miete. Denn „man kann nicht mit dem Haus zur Arbeit fahren“, wie ein Branchenspruch lautet. Auf dem Sockel der echten Freiheitsstatue steht: „Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen ...“ Klingt nach dem Motto der Trickle-up-Profiteure.

Jens Korte lebt in New York und berichtet vor allem aus dem Epizentrum der Finanzwelt

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