Unappetitlicher Wahlkampf

Brasilien Im Vorfeld des Votums über die Präsidentschaft im Oktober verspielt die linke "Arbeiterpartei" (PT) leichtfertig ihre Sympathien

Kaum sind die Jubelfeiern der Fußball-WM verklungen, heizen die Geld- und Politikereliten des größten lateinamerikanischen Landes den unangenehmsten Wahlkampf seit dem Ende der Militärdiktatur von 1985 an. Im Oktober werden nicht nur ein neuer Staatschef, sondern auch die Gouverneure der 26 Teilstaaten und des Bundesdistrikts Brasilia, Abgeordnete und Senatoren per Pflichtwahl bestimmt. Politikexperten und Kolumnisten der Qualitätszeitungen machen als Markenzeichen des derzeitigen Wahlkampfs bei Kandidaten und Parteien einen bislang nie da gewesenen Zynismus aus. Auch die linkssozialdemokratische Arbeiterpartei (PT) - bisher größte Oppositionskraft gegen die Mitte-Rechts-Regierung und im Ruf der Unbestechlichkeit - bildet dabei keine Ausnahme. Sie wirft Grundprinzipien über Bord und verspielt dadurch täglich Sympathien.
Ihr Präsidentschaftskandidat Luis Inácio da Silva ("Lula") zum Bespiel - er tritt am 6. Oktober zum vierten Mal an - hätte nach dem Willen der Parteibasis den in allen politischen Lagern wegen seiner Kompetenz hochangesehenen Senator Eduardo Suplicy zum Vize bestimmen müssen. Stattdessen entschied sich die rechtssozialdemokratische Mehrheit der PT-Spitze ausgerechnet für den Milliardär José Alencar und für eine Wahlallianz mit dessen Rechts- und Sektenpartei Partido Liberal (PL). Alencar besitzt das zweitgrößte Textil-Unternehmen Brasiliens und ist zudem Vize-Chef des nationalen Industriellenverbands. Als Gerüchte umgingen, der PT verbinde sich ausgerechnet mit dem PL, wurde das als schlechter Witz abgetan. Immerhin war bekannt, dass der Partido Liberal im Teilstaat Sao Paulo, dem größten deutschen Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands, den berüchtigten Diktaturaktivisten und rechten Gouverneurskandidaten Paulo Maluf sowie im Amazonas-Teilstaat Acre die Gang eines politischen Günstlings der Todesschwadronen unterstützt.
Schädigend für das Image des Ex-Gewerkschaftsführer "Lula" in seiner traditionellen Klientel war es wohl auch, dass er über den größten Privatkanal TV Globo einen schwerwiegenden Kurswechsel verkündete: Anders als bisher versprochen, sollen die erdrückenden Außenschulden bei einem Wahlsieg doch weiterbezahlt werden. Kurz zuvor war PT-Präsident José Dirceu höchstpersönlich zur Wallstreet gereist - er hatte auch im Weißen Haus vorsprechen können -, um Finanzwelt und Politik zu beruhigen. Die Parteilinke diskutiert nun den Austritt und die Gründung einer neuen Partei, selbst für den Fall, dass "Lula" Staatschef wird. Dessen Ruf ist zudem dadurch belastet, dass er denselben Wahlkampfmanager einstellte, der zuvor rechten Politikern wie dem Industriellen Maluf mit nordamerikanischen PR-Praktiken zum Sieg verholfen hatte.
Nur einige Gründe dafür, weshalb "Lulas" zunächst hervorragende Wahlaussichten schwinden. Nach jüngsten Umfragen würde er im zweiten Wahlgang gegen den derzeit zweitplazierten Ciro Gomes, ebenfalls Kandidat einer höchst fragwürdigen Links-Rechts-Allianz, unterliegen. Erschwerend kommt hinzu, dass der PT derzeit nicht nur im Teilstaat Sao Paulo, sondern auch in Rio de Janeiro - mit einem Bruttosozialprodukt über dem von ganz Chile - wegen Misswirtschaft und Skandalen stark an Ansehen verliert. Am Zuckerhut regiert die schwarze, populistische PT-Gouverneurin Benedita da Silva, Mitglied einer Sektenkirche. Sie tolerierte bereits als privilegiensüchtige Kongresssenatorin in den Slums schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und ließ den hochgerüsteten, rivalisierenden Verbrechersyndikaten freien Lauf, die in den Elendsvierteln der Peripherie eigenmächtig Ausgangssperren verhängen und die Bewohner terrorisieren. Seit unter dem Patronat Benedita da Silvas - laut offiziellen Angaben - in Rio de Janeiro monatlich mehr als 600 Menschen ermordet werden, sorgt die Stadt für erschreckend negative Schlagzeilen.

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