Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Pferdes

Sportplatz Reitsport-WM 2006 in Aachen

"Hätte ich bloß etwas Ordentliches gelernt. Aber nein, ich musste ja unbedingt Karriere machen. Das habe ich jetzt davon. Anstatt in einer gemütlichen Reithalle hübsch im Kreis herumzutraben und immer, wenn mir danach ist, eine minderjährige Reitschülerin abzuwerfen, jetzt dieser WM-Stress. Weltmeisterschaften der Reiter, wenn ich das schon höre. Wenn man es ganz genau nimmt, müsste die Veranstaltung "Kombinations-WM im Pferde-Dopen und Gäule-Misshandeln" heißen."

So ungefähr könnte die ungehaltene Rede eines ungehaltenen Pferdes lauten, das bei den Reitsport-Weltmeisterschaften in Aachen an den Start geht, für das ganze Drumherum des Gentleman-Sport nichts übrig hat und Menschen wohl grundsätzlich für eine ziemlich blöde, äußerst lernbehinderte Spezies hält. Seiner Meinung nach wird das Gros der Zweibeiner wohl noch eine ganze Weile brauchen, bis es erkennt, dass der Reit-Leistungssport, wie alle anderen Profi-Sportarten auch, hauptsächlich aus Tricksereien besteht. Auch wenn es dem reitwütigen Teil der Menschheit nicht in den Sinn kommen will, doch beim Reitsport wurde schon von Anfang an nachgeholfen.

"Lassen Sie mich die Sache historisch aufrollen", würde das ungehaltene Pferd seinen Vortrag fortsetzen und vielleicht von seinem Ur-Ur-Ur-Urgroßvater erzählen, der im antiken Griechenland als Rennpferd arbeitete und immer wieder gezwungen wurde, seltsame Substanzen zu schlucken, von denen betrügerische Besitzer und Buchmacher annahmen, sie würden ihn schneller oder langsamer machen. "Honig mit Wein vermischt, das war schon eklig", würde es die Geschichten des Urgroßvaters zum Besten geben. "Aber das war noch gar nichts, im Vergleich zu dem, was später kommen würde", ereiferte es sich dann über die Torturen, die seine englischen Urahnen erleiden mussten. "In die wurde alles hineingestopft, was gerade in der Humanmedizin en vogue war. "Haben Sie sich jemals gefragt, woher das Wort Doping eigentlich stammt?" fragte es dann. "Tja. Es hat mit uns Pferden zu tun und mit den widerlichen Sachen, mit denen Menschen seit Tausenden von Jahren versuchen, unser Leistungsvermögen zu beeinflussen. "Doop" bezeichnete in der Sprache der Zulu ein stark berauschendes Getränk. Das wurde adaptiert: "Dope to win" hieß, dass man dem Tier anregende Substanzen wie Kokain oder Koffein verabreichte, "dope to lose" machte selbst aus dem ehrgeizigsten Vierbeiner, etwa durch die Gabe von Morphium, einen schläfrigen Hinterher-Renner. Für die ultimative Erfolgsgarantie schreckten skrupellose Pferdebesitzer nicht einmal davor zurück, ihre Rösser kurzerhand mit Strychnin zu vergiften, um dann viel Geld auf die Konkurrenz zu setzten." Das Pferd bläht entsetzt die Nüstern.

Im England des 17. Jahrhunderts, so geht die Geschichte dann weiter, nahm das Doping derart überhand, dass in einer Kleinstadt ein Dekret erlassen wurde, welches solche Praktiken unter Strafe stellte. Allerdings war es noch nicht möglich, illegale Substanzen in Urin oder Blut nachzuweisen. Erst im Jahr 1812 wurde zum ersten Mal bei einem Tier Doping festgestellt - allerdings nur, weil man den Besitzer auf frischer Tat ertappte. Ein erster Durchbruch gelang dann um 1910, als ein russischer Chemiker ein Verfahren entwickelte, mit dem Alkaloide im Speichel aufgespürt werden konnten. Seit den sechziger Jahren werden Pferde ähnlichen Dopingtests unterzogen wie ihre zweibeinigen Sportlerkollegen.

"Und was man da alles findet, ist unglaublich, schauderhaft", würde das Pferd seufzen. "Im Grunde könnten wir damit ohne Probleme bei der Tour de France mitmachen." Bei der Reiter-WM könnten sich die Fans jedoch in einem Punkt immerhin ganz sicher sein: "Wenn wir erwischt werden, halten wir die Klappe. Von einem Pferd werden sie nie den einschlägigen Blödsinn a la "Da muss mir jemand was in meine Zahnpasta getan haben" ertappter Doper hören."

Die Reitsport-Weltmeisterschaften finden noch bis 3. September in Aachen statt.


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