Unter Glas

Biosphäre II Überlebenscamp und Klimaforschungsstation wurde geschlossen

Inmitten der Wüste von Arizona kann man für nur 23 Dollar noch immer einen Regenwald besichtigen. Er gehört zu einer der Ökozonen, die in der Biosphäre II nachgebildet sind. Zu besichtigen sind dort außerdem zwei künstliche Lebensräume: eine Zone der intensiven Landwirtschaft und ein Wohnbereich. Der gewächshausartige Komplex mitten in der Wüste war der Biosphäre I, der Erde, nachempfunden und gleichzeitig architektonischer Traum von baulicher Autonomie. Mit dem Projektausstieg der Columbia University im Dezember 2003 endet die Utopie der Erdenminiatur unter Glas.

Gebaut wurde Biosphäre II Mitte der achtziger Jahre als eine Versuchsstation, in der sowohl das autonome Überleben in einem abgeschlossenen, künstlichen Lebensraum erprobt als auch die Veränderungen in den einzelnen Ökosystemen beobachtet werden sollten. Eine langfristige Vision bestand darin, ähnlich geartete Konstruktionen als Raumstationen auf den Mond oder Mars zu verpflanzen. Zwischen 1991 und 1994 versuchten zwei Gruppen von "Bionauten" von dem zu leben, was das künstliche Ökosystem hergab. Die Pflanzen sollten den Sauerstoff- und Nahrungsbedarf der acht Bewohnerinnen und Bewohner decken, und die Glaswände waren so konzipiert, lediglich Energie und Information passieren zu lassen. Doch beim ersten Experiment (1991 bis 1993) sank der Sauerstoffgehalt der Luft durch unerwartete biochemische Reaktionen plötzlich, und es musste ständig frische Luft von außen zugeführt werden.

Im Jahre 1996 wechselte die Biosphäre II ihren Betreiber und damit auch ihr Forschungsziel. Sie stand nicht länger unter der Regie des Multimilliardärs Ed Bass, sondern ging per Nutzungsvertrag an die Columbia University, die hier die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf das Ökosystem erforschte sowie ein "Erdsemester" für ihre Studenten anbot. Für die Klimaforschung zeigte sich die Biosphäre II mit ihrem dauerhaft erhöhten Kohlendioxidgehalt als ideales Labor.

Doch für die Klimaforschung hat man in den USA derzeit kein Geld übrig. Erhoffte Zuschüsse des Energieministeriums blieben aus. Nun will Eigentümer Ed Bass das 1,6 Hektar große Gebäude profitabel nutzen. Die künstliche Biosphäre wird damit wohl ausschließlich touristischen Zwecken geöffnet werden, und nur noch die Illusion eines autonomen Klimas vermitteln - die Erde in Disney-Miniaturversion.

Die Biosphäre II begann in den sechziger Jahren mit der Erfindung der Megastruktur. Verglaste Stahlskelette schienen die Möglichkeit zu eröffnen, ganze Städte zu überdachen oder neue Städte über alten schweben zu lassen und auf diese Weise fast völlige Autonomie von Umwelt und Geschichte zu erlangen. Einer der Pioniere solcher Megastrukturen war der Erfinder und Ingenieur Buckminster Fuller, der 1960 eine Kuppel entwarf, die 50 Wohnblocks in Manhatten überdachen sollte. Die Hüllenstruktur der Biosphäre II aus rostfreiem Stahlgitter und doppeltem, luftundurchlässigen Glas wurde von Peter Pearce, einem Studenten Fullers, entworfen.

Für eine etwaige Raumstation auf dem Mond scheint die Form der Glasglocke allerdings überflüssig zu sein. Schon lange vor dem Bau der Biosphäre II entwickelten sowjetische Forscher einfache "Lebenserhaltungssysteme". Zunächst versorgte ein acht Quadratmeter großer Algentank eine Person mit Sauerstoff. Im Bios3-Projekt im sibirischen Krasnojarsk beherbergte ein hermetisch abgeschlossener Container mit wenigen Fenstern drei Forscher. Der künstliche Lebensraum war hier auf einen einfachen Kasten mit vier Räumen und UV-Lampen reduziert. In einem befanden sich Wohn- und Arbeitsplatz für die drei Probanden, in den anderen bauten sie Algen zur Sauerstoffgewinnung und andere Pflanzen als Nahrungsmittel an. Im Vergleich zur Biosphäre II funktionierte die Versorgung erstaunlich gut, was auch daran liegen mag, dass das System weitaus weniger komplex angelegt war und die Grundversorgung auf Essen und Atmen beschränkt blieb.

Auch die derzeitige Versuchsstation für Lebenserhaltungssysteme der NASA ist architektonisch einfach konzipiert. Das BIO-Plex im Johnson Space Center in Houston ist ein System aus fünf Kammern, in dem langfristige Überlebensprojekte allerdings erst im Jahr 2005 beginnen sollen. Von der Utopie des Überlebens in Raumstationen hat sich die Welt längst nicht verabschiedet, wohl aber von der Idee, dass diese lichtdurchfluteten Gärten ähneln sollten.


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