Unter´m Blütenbaum

Neuruppiner Abend Kolumne

Auf diesen Abend habe ich lange gewartet: auf meinen singenden Blütenbaum. Ich sitze auf der Bank darunter, höre, rieche, sehe. Schwalben flitzen über den See vor mir, die Ausflugsschiffe Alexander Genz und Kronprinz Friedrich liegen am Steg. In der Sommerzeit fahren sie täglich Busgesellschaften über den See. Im Rücken die Stadtmauer, dahinter die große Backsteinkirche mit den Doppeltürmen, weithin sichtbar, schon von der Autobahn aus.

Neuruppin ist heute die Stadt der Schulen, nicht mehr der Soldaten.

Links am Wasser protzt der große krumme Parzival aus Blech. Er soll ein Wahrzeichen des Aufbruchs aus den neunziger Jahren sein und steht doch so verlassen da mit seinem irren Blick. Seine Hässlichkeit ist im Sommer zu ertragen mit blühenden Linden und lebendigen Jugendlichen.

Nach rauschenden Festen und hellen, kurzen Nächten: der Morgen danach! So anders als gestern! Die Ruhe am Morgen, klare Luft und gegenüber am Ostufer über den Wäldern der große Sonnenschein: Im Osten geht die Sonne auf.

Das Männerquartett trifft sich an den Treppenstufen zum See. Jahraus, jahrein stehen sie da. Einer angelt, die anderen stehen mit ihren Fahrrädern dabei. Wortfetzen nehme ich auf: "Früher war das anders". Das andere Neuruppiner Quartett, von dem die Stadtführer voll Stolz erzählen, kommt mir in den Sinn: Fontane, Schinkel, der Bilderbogenfabrikant Kühn und der Torflord Genz. Sie werden sich nie hier am Bollwerk getroffen und ausgetauscht haben über ihre Erlebnisse in dieser kleinen eckigen Stadt, eine der Perlen der Mark Brandenburg. Die beiden Künstler sind in Neuruppin geboren und haben in Berlin ihren Wirkungskreis gehabt. Die Geschäftsmänner haben Geld gescheffelt und Arbeitsplätze geschaffen mit der Herstellung von Blättern zur Unterhaltung und Torf zum Heizen. Alexander Genz, der Großindustrielle des vorletzten Jahrhunderts hat durch Trockenlegung des Luchs die Landschaft verändert. Der Zeitungsmacher Kühn hat weltweit sein Lesepublikum gefunden mit Bildergeschichten von der Faszinationskraft der heutigen Bild-Zeitung. Beeindruckend und bezeichnend ist das Gesamtporträt dieser zwei mal vier Männer aus der Geschichte Neuruppins. Viel Kunst ist dabei: die einfache Lebenskunst des Überlebens im System und Kunstwerke für uns Nachkommen. Und das in dieser Soldatenstadt, die umgeben ist von Kasernenbauten aus drei Jahrhunderten! Manchmal meine ich das Geschrei auf dem Paradeplatz zu hören, und mich bedrängt die Idiotie des preußischen Drills. Ich sehe uniformierte Männer als Menschenmasse sich bewegen. Heute nehme ich nur in den Einkaufszentren am Stadtrand Mengen von Menschen wahr. Nicht mal die stündlich nach Berlin verkehrende Regionalbahn ist voll, nur an heißen Ferientagen mit Ausflüglern und ihren Fahrrädern vollgestellt. Das nahe Rheinsberg als Eingang zur Ruppiner Schweiz und Stadt der Musik und Kunst ist verlockend.

Mein Ruheplatz am Bollwerk in der Mittagssommerhitze: erquickend und labend - für die zugereiste Rentnerin aus dem Westen. Die Gemächlichkeit des alten Ribbeck bei Fontane fällt mir ein: "wenn´s Mittag vom Turme scholl, ... kam in Pantinen ein Junge daher, ..."Treffend und trefflich: Assoziationen am Neuruppiner Bollwerk. Man trifft sich: die Qualität einer Kleinstadt! Da kommt H. mit dem Fahrrad vorbeigeflitzt, und wir halten ein Mini-Schwätzchen, R. hat sich in seiner Pause ein Eis geholt und lässt mich schleckern, S. steht am Spucknapf- eine Bastion mit Linde und ändert ihre Hundetour in meine Richtung zur singenden Linde. Viele Juristen, Ärzte, Architekten, Lehrer leben hier und beleben mit partieller Anteilnahme am Kleinkunstgeschehen. Die Plätze in Behörden und Institutionen sind besetzt. Junge Familien mit Kindern und viele alleinstehende alte Frauen wohnen in Plattenbauten und Einfamilienhäuschen rings um den quadratischen Stadtkern herum.

Nachmittags bin ich noch einmal unter meinem singenden Baum. Der Blick geht nach Südwesten, nach Berlin, der Kapitale. Ich erinnere die langen grauen Tage der kühleren Jahreszeiten, wenn ich dorthin flüchten muss, um aufzutanken. Dann erscheint mir mein kleines Städtchen in miefiger Bürgerlichkeit zu ersticken und eine U-Bahn-Fahrt reicht schon, um zu wissen: die Welt ist groß und rund, bunt. Heute bin ich zufrieden in meinem Zentrum, mit den grünen Weiten im Norden und Osten, dem Wasser in den Wäldern, der Wohltat von Landschaft und auf der Bank am Abend in meinem Neuruppinchen zwischen Berlin und Rügen, unter dem singenden Baum am Lebensabend.


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