Schon von weitem ist ein Leierkastenmann zu hören, er trägt Pickelhaube und Polizeiuniform aus einer Zeit, als Berlin noch ganz unschuldig war und er leiert „Untern Linden, Untern Linden“ von der Walze runter. Und natürlich steht neben ihm ein Berliner Bär mit Krönchen und rot-weißer Schärpe, der dauernd winken muss, für ein sicherlich lachhaftes Honorar. Und dann stolziert da noch der Fernsehturm über den nagelneuen und blitzsauberen Bahnsteig des U-Bahnhofs Unter den Linden, ein Mann mit einer Silberkugel auf dem Kopf, der auf Stelzen geht und „Hallo Kinder“ ruft, obwohl kaum Kinder da sind, sondern nur Halb-Tout Berlin und ein paar U-Bahn-Freaks, die alles bis ins Kleinste für ihre Homepages dokumentieren. Wenn das offizielle Berlin Eröffnung feiert, geht es immer noch piefig zu.
Und schließlich schneit auch noch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit rein, und das Wort schneit ist hier mit Absicht gewählt, denn es ist schrecklich kalt auf dem Bahnsteig, angeblich weil der künstlich vereiste Baugrund immer noch nicht ganz aufgetaut ist. Man hat nämlich keine Kosten (320 Millionen Euro) und Mühe (14 Jahre) gescheut, um 1,8 Kilometer U-Bahn-Strecke vom Brandenburger Tor zum Hauptbahnhof zu bauen. Einziger Zwischenstop ist am Bundestag. Der Bahnhof erinnert mit seinen grauen Waschbetonsäulen an das Krematorium Baumschulenweg, das ja von denselben Architekten gebaut ist wie das Bundeskanzleramt, und bingo, auch der Bahnhof ist von Axel Schultes und Charlotte Frank.
Kohls Lieblingskind
Es ist nicht einfach, als Regierender Bürgermeister einen Bau anzupreisen, den man nicht wollte. Die U 55 war eins der Lieblingskinder des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, dem sie nun ihren inoffiziellen Namen verdankt, Kanzler-U-Bahn. Berlin hatte 2001 das halbfertige Vorhaben aus finanziellen Gründen gestoppt, beugte sich aber der Drohung, die 147 verbauten Bund-Millionen zurückzahlen zu müssen, und setzte die Bauarbeiten fort. Wowereit ist Routinier, er preist die Linie als kleine und feine „U-Bahn der Einheit“ an, von der ja – Achtung, Wahlkampf! - noch nicht ausgemacht sei, ob sie Kanzlerinnen-U-Bahn oder Kanzler-U-Bahn heißen werde. Und dann schunkelt er ein bisschen, als der Chor der BVG-Veteraninnen „Das war in Schöneberg im Monat Mai“ singt.
Sinnvoller wäre die Verlängerung der Straßenbahn vom Nordbahnhof zum Hauptbahnhof gewesen, aber man soll ja als Berliner nicht immer so mäkelig sein, wenn man etwas Schönes geschenkt kriegt.
Die BVG hat für die Strecke einen Fahrer ausgesucht, der Fragen von Touristen in drei bis vier Sprachen und nicht nur mit „Weeß ick doch nich“ beantworten kann. Er ist ein freundlicher Mensch, der als Kind Pilot werden wollte, eine Modelleisenbahn H0 zu Hause hat und dann doch bei der U-Bahn gelandet ist.
1470 Meter in zweieinhalb Minuten
Seine Strecke, die er von heute ab Tag für Tag fahren wird, ist gerade mal 1470 Meter lang, hat drei Haltestellen und bis 2017 keine Anbindung ans restliche U-Bahnnetz. Nach zweieinhalb Minuten endet die Fahrt und dann muss der Fahrer 66 Meter zum anderen Ende seiner Bahn gehen und zurückfahren. Da kommen pro Schicht ein paar Kilometer Spaziergang zusammen und damit er nicht rammdösig wird auf dieser Stummelstrecke, darf er ab und an auf die 20 Kilometer lange U6, wo die Bahnsteige ungepflegt sind und weniger Touristen anfallen.
Warum es als Andenken für jeden ein Quietscheentchen gibt, auf dem BVG steht, bleibt undurchsichtig. Will die BVG uns sagen, finanziell stehe ihr das Wasser bis zum Hals, aber im Gegensatz zur Berliner S-Bahn könne sie schwimmen?
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