Unterwegs zwischen Genua, New York und Kabul

Attac-Kongress in Berlin Die Globalisierungskritiker brauchen mehr als nur Tastsinn für eine "Weltordnung der flexiblen Vergeltung"

Eine Welt ist möglich" - sechs Wochen nach dem Terror in den USA wirkt das freilich lange vor den Anschlägen und lange vor den Angriffen auf Afghanistan gewählte Kongress-Motto als wäre es nicht von dieser Welt. Das Attac-Versprechen klingt in diesen Tagen eher naiv, ein wenig trotzig vielleicht. Aber womöglich kommt der Kongress gerade zur rechten Zeit, um die hoffnungsvoll begonnene und dann im Keim erstickte Globalisierungsdebatte wieder aufzugreifen, bietet er doch die Chance, Terror und Krieg in den Kontext Globalisierung zu stellen.

Schließlich beruht auch das seit den siebziger Jahren zu beobachtende Erstarken des politischen Islam in seinen verschiedenen Ausformungen - sie schließen menschenverachtende Gewalt ein - entscheidend auf sich global verschärfenden Widersprüchen. Man denke an neokoloniale Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd oder die Integration der politisch-ökonomischen Eliten des Südens in die kapitalistische Weltordnung auf der einen und die massenhafte Verarmung immer größerer Bevölkerungsteile auf der anderen Seite. Zwar lassen sich die Anschläge vom 11. September keinesfalls allein und direkt aus solchen sozioökonomischen und kulturellen Konsequenzen der Globalisierung ableiten oder gar als Krieg der Dritten gegen die Erste Welt erklären - ohne diesen Hintergrund jedoch sind sie erst recht nicht zu begreifen.

Für Attac stellt sich also die Frage, ob nun in Form des Terrors tatsächlich die Globalisierung auf die Politik zurückschlägt, wie es der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel behauptet. Außerdem wird man sich damit zu beschäftigen haben, wie eine internationale soziale Bewegung - und das ist Attac zweifellos - mit Ideologien wie der radikal-islamischen umgehen soll, die sich zwar aus der Globalisierung speist, daraus aber von der Geschlechterfrage bis zum Antisemitismus zutiefst reaktionäre Schlüsse zieht. Und dann wird man debattieren müssen, wie denn nun eigentlich der neoliberalen Globalisierung begegnet werden soll. Ist es mit ein paar Reformen wie der Tobin-Tax auf Kapitalgeschäfte, eine der zentralen Attac-Forderungen, getan? Reichen solche und andere Umverteilungskonzepte, für die mit Oskar Lafontaine das prominenteste Zugpferd des Kongresses steht, um eine "andere Welt" zu erträumen, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht? Oder muss im Sinne dieses hochgesteckten Ziels nicht doch - dann aber sicher ohne Lafontaine - die kapitalistische Ordnung grundlegend zur Disposition gestellt werden?

Es ist ein Verdienst der Bewegung, die nach Genua führte, dass solche Fragen und die Suche nach Alternativen überhaupt wieder aufgeworfen werden. Vor allem hat die Globalisierungskritik dabei kenntlich gemacht, was in den Zeiten des Neoliberalismus fast schon vergessen schien: dass nämlich weniger Standortrivalität als vielmehr die Widersprüche zwischen "oben" und "unten" die gesellschaftlichen Verhältnisse prägen. Der 11. September, mit welchem Ideologiekonstrukt sich der Terror im Einzelnen auch legitimieren mag, und seine Folgen wie der Krieg gegen Afghanistan und die Zunahme eines offenen Rassismus haben diese Erkenntnis bestätigt. Damit hat auch die Bewegung von Genua, zu deren gewichtigsten Strömungen das Attac-Netzwerk gehört, als Plattform oppositionellen Denkens durchaus an Kontur gewonnen. Wenn es der Attac-Kongress also schafft, die allgemeine Kritik am Terrorismus mit derjenigen am Neoliberalismus zu verbinden, ohne dabei den Terror allzu simpel aus dem Konflikt zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung abzuleiten, ist ihm eine bemerkenswerte Gratwanderung gelungen. Wenn es überdies gelingen sollte, eine offene Debatte über Wege aus der kapitalistischen Weltordnung zu ermöglichen, dann könnte die Konferenz in Berlin sogar ihrem etwas hochfahrenden Motto gerecht werden.

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