Nun bleibt er erst einmal in den Händen der Regierungskoalition: Der Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern. Vergangene Woche lehnte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Eilantrag der CDU/CSU-Fraktion gegen den Bundestagsbeschluss ab, die 16 Parlamentssitze im Ausschuss nach einem höchst eigenwilligen Verteilungsverfahren zu besetzen. Jedenfalls bis zur Landtagswahl in Niedersachsen hat Rot-Grün bei der Gesetzgebung daher relativ freie Hand.
Der Vermittlungsausschuss dient der Kompromisssuche, wenn ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz am Bundesrat zu scheitern droht. Er kann in zwei Fällen angerufen werden: Entweder ein Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Dann können Parlament, Ländervertretung oder Regierung den Vermittlungsausschuss
sausschuss bemühen. Oder es kommt auf die Zustimmung zwar nicht an, der Bundesrat kann aber Einspruch einlegen. Das letzte Wort hat dann jedoch wiederum der Bundestag, der den Einspruch zurückweisen kann - so mag es im Interesse des Bundesrates liegen, zu verhandeln statt nur zu verzögern.Ist der Vermittlungsausschuss am Zuge, wird verhandelt - bis zu einer Beschlussempfehlung an den Bundestag, das Gesetzesvorhaben umzusetzen, geändert zu beschließen oder zu verwerfen. Immerhin bei etwa der Hälfte der Gesetze müssen Bundesrat und Bundestag einig sein, darunter so brisante Vorhaben wie die sogenannten Notgesetze zu Gesundheit und Rente sowie das Gesetz zur Fortschreibung der Ökosteuer, die Anfang des Monats im Vermittlungsausschuss lagen. Einen entsprechend hohen Stellenwert hat der Ausschuss, entsprechend umkämpft ist die Mehrheit in ihm. Ihm gehören je 16 Mitglieder der beiden Organe an - jedes Land entsendet einen Vertreter, die Bundestagsbank ist geschäftsordnungsgemäß "im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen" zu besetzen. Was das heißt, ist umstritten und die Definition schon öfter geändert worden. Stets dreht es sich um die drei Besetzungsverfahren nach d´Hondt, Hare/Niemeyer und St.Laguë/Schepers. Alle drei Schlüssel dienen dazu, den Fraktionen Sitze zuzuordnen, die diese nach eigenem Wunsch besetzen können. Die Ergebnisse der drei Methoden unterscheiden sich nur, aber im möglicherweise erheblichen Detail: Weil nur ganze Ausschusssitze vergeben werden können, kann der Umgang mit Bruchteilen über Mehrheitsverhältnisse entscheiden, jedenfalls aber darüber, wie prägnant eine Mehrheit ist. So begünstigt im Ergebnis das System d´Hondt eher die großen, während Hare/ Niemeyer eher für die kleinen Fraktionen vorteilhaft ist und St.Laguë/Schepers noch den "gerechtesten" Eindruck macht. Die Wahl des Verfahrens, in der das Parlament grundsätzlich frei ist, wurde so zum Ausdruck des Verhältnisses zwischen den großen Fraktionen zu den kleinen - und entsprechend nach Gutdünken eingesetzt. Zu Beginn der Bundesrepublik dominierte d´Hondt - Vorteil für die Großen. Dann begehrte die FDP auf - unabhängig von den drei Systemen bekam plötzlich jede Fraktion ein Grundmandat zugesprochen, während es für die weiteren Sitze bei d´Hondt blieb. Das Grundmandatssystem hielt nicht lange, und nachdem man sich zwischenzeitlich auf Hare/Niemeyer verständigt hatte, beschloss der Bundestag 1986 das Verfahren St.Laguë/Schepers anzuwenden: FDP und Grüne wollten im Ausschuss mitreden, und weil die Stimmenmehrheit der schwarz-gelben Koalition im Ausschuss nicht in Frage stand, konnte sich die Bundestagsmehrheit darauf einlassen. 1994 kehrte der Bundestag jedoch unvermittelt zu d´Hondt zurück. Grund: Die PDS. Die Sozialisten sollten vom parlamentarischen Prozess so weit wie möglich entfernt werden, und nur nach dem d´Hondtschen Höchstzahlverfahren erhielten sie im Vermittlungsausschuss keinen Sitz. Alle Argumente, die acht Jahre zuvor für St.Laguë/Schepers gesprochen hatten, waren vergessen, dafür war die PDS draußen. Und konnte sich auch nicht hineinklagen: Das obligatorisch angerufene BVerfG befand, der Wechsel des Zählsystems sei verfassungsrechtlich unbedenklich.Die PDS ist seit dem Wahlausgang am 22. September dieses Jahres nicht mehr das Problem für die Mehrheit, wohl aber der knappe Wahlausgang: SPD und Union trennen nur drei Abgeordnetensitze, und so kommen alle Zählverfahren auf die gleiche Sitzverteilung: 7:7:1:1. Der Regierungskoalition schmeckte das nicht: Sie wollte die Kanzlermehrheit auch in der Sitzverteilung des Vermittlungsausschusses wiederfinden, und erfand kurzerhand ein neues System. Zwar gilt St.Laguë/Schepers. Nun aber wird vor der Verteilung ein Sitz abgezogen und hinterher ungeachtet der Zählverfahren der stärksten Fraktion zugebilligt. Eine lex SPD. Ein Kniff, den die Union zutreffend als problematisch kritisierte: Immerhin repräsentiert ein Sozialdemokrat im Vermittlungsausschuss jetzt nur 31 Abgeordnete, während ein CDU-Mitglied etwa 41 Fraktionskollegen vertritt. Die SPD kann sich andererseits auf den Geschäftsordnungsgrundsatz berufen, demzufolge sich in den Ausschüssen die Mehrheit des Plenums abbilden müsse. Und die Mehrheit ist rot-grün, was auch den Vermittlungsausschuss prägen muss, der ein bedeutender Teil des Gesetzgebungsverfahrens ist. Die Wähler haben eben kein Patt gewählt, sondern Rot-Grün, wie knapp auch immer.Die arithmetischen Verrenkungen lenken indes davon ab, dass es der Sinn des Vermittlungsausschusses ist, Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern auszugleichen - und nicht zwischen SPD und Union. Genaugenommen steht Parteien nämlich kein einziger Sitz zu, sondern Bundestag und Bundesrat. Sinnvoll wäre es, die Funktion des Ausschusses als Scharnier des Föderalismus´ zu stärken. Doch der politische Wille dazu fehlt, bei allen Fraktionen. Und hier kann nicht einmal das BVerfG etwas richten: Auch in der Hauptverhandlung kann Karlsruhe die sozialdemokratische Geschäftsordnungskreativität nur billigen oder verwerfen.