Berliner Bankenskandal Eine streitbare Initiative kämpft gegen Luxuskonditionen für Aktionäre, während auf der Hauptversammlung einige Kleinaktionäre eine Berliner Lösung suchen
Gysis Kopf neben Landowsky, Momper neben Diepgen, Sarrazin neben dem abgesetzten Chef der Bankgesellschaft Wolfgang Rupf. Ihre Köpfe schwanken in schwärzlichen und unscharfen Fotokopien auf kleinen Tafeln an langen Stangen vor dem gigantischen Congress Centrum (ICC). Die Initiative Berliner Bankenskandal, in Zusammenarbeit mit Attac gegründet von den Professoren Peter Grottian, Elmar Altvater und Hans-Peter Schwintowski, hat zum Protest aufgerufen. "Politiker und Bankgesellschaft plündern Berlin" trägt jemand als Plakat, "Unsere Zeche zahlt das Volk, und das ist gut so" ist unter einem Wowereit-Porträt zu lesen. Rund 300 Leute sind hier. Aber die Erregung über die Aktionen der Initiative gehen weit über den hier anwesenden Kreis hinaus. Die Berliner
us. Die Berliner Presse befasst sich ausgiebig mit den Aktionen, die im Vorfeld der Aktionärshauptversammlung der Bankgesellschaft gestartet wurden. Die Initiative hat Briefe an die "sehr geehrten Anleger und Anlegerinnen" verschickt. Sie drückt sich deutlich aus: "Wir sind der Meinung, dass es sich um eine sittenwidrige, ja kriminelle Konstruktion der Fonds handelt, an der Sie sich vermutlich unwissentlich beteiligt haben ..." Zugleich hat sie die Namen von 150 prominenten Fondszeichnern veröffentlicht, die sie ausgewählt hat unter den 70.000 Anlegern, deren Namen im Handelsregister jedem zugänglich sind. Vor allem dieser Schritt hat heftige Erregung ausgelöst. Die Fonds bieten ihren Anlegern unübliche "Luxuskonditionen": Sie bestehen in einer hohen Verlustzuweisung durch das Finanzamt, in einer garantierten Rendite bis acht Prozent über 29 Jahre und die Rückerstattung von bis zu 100.000 Mark aus der Einzahlung nach 25 Jahren. Berlin ist eine der wenigen europäischen Großstädte mit immer noch erschwinglichen Mieten. Die Bank aber hatte offenbar mit steigenden Mieten und entsprechenden grandiosen Gewinnen in der neuen Hauptstadt gerechnet. Die Fonds der Bankgesellschaft Berlin florierten. Als seit Mitte der neunziger Jahre die Täuschung erkannt wurde, begannen die damaligen Akteure - die CDU-Regierung, das Land Berlin als Haupteigner der Bankgesellschaft und das Bankenkonsortium mit den Immobilientöchtern - noch unbeachtet von der Öffentlichkeit, das Risiko auf die Gesellschaft zu verschieben. Die rot-rote Regierung trat dieses Erbe an. Die Initiative nennt sie "konzeptionslos-apathisch", wirft der SPD vor, sie suche das "stille Arrangement", der PDS hält sie eine "nahtlose Koalitionstreue" vor, Bündnis 90/Die Grünen seien sprachlos. Für das Verhalten von CDU und FDP sei "Beschweigen der richtige Begriff". Der Senat erlag dem Druck von verschiedenen Seiten, auch vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, und beschloss eine "Risikoübernahme" in der ungeheuren Höhe bis zu 21, 66 Milliarden Euro über eine Frist von 30 Jahren. Am 16. April wurde diese Garantie als Gesetz erlassen. "Erlauben Sie uns, auf den Zusammenhang zwischen der Risikoübernahme zur Sicherung Ihrer Fondsrendite und den aktuellen Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich aufmerksam zu machen. Während für das Jahr 2003 im Landeshaushalt bereits 300.000 Euro fest zur Sicherung der Fonds eingeplant sind, werden im Sozialbereich 150 Millionen Euro gekürzt", so appelliert der Brief der Initiative an das soziale Gewissen der Fondszeichner. Prof. Schwintowski hat einige Aktien erworben, um mitreden zu können. Er kommt von seinem Auftritt in der Hauptversammlung heraus auf den Vorplatz zu den Demonstranten. Die Fondszeichner sollten nicht bestraft, betont er, sie sollten nicht schlechter gestellt werden, als sie in anderen Fonds, also unter "marktmäßigen Bedingungen" behandelt würden. Ihre sittenwidrig günstigen Konditionen aber müssten neu verhandelt und umgewandelt werden: fünf Jahre Garantie statt dreißig und Aufhebung der Rücknahmepflicht. Im andern Fall werde man zum Bundesverfassungsgericht gehen und prüfen lassen, ob die Fondsregeln mit dem Grundgesetz übereinstimmen. Die Empörung der draußen Versammelten richtet sich am meisten gegen die Risikolosigkeit, die den Anlegern entgegen allen Marktregeln zugeschanzt wurde. Im Brief der Initiative werden die Fondszeichner aufgefordert, einer entschädigungslosen Rückgabe ihrer Anteile zuzustimmen und Verhandlungen über eine kürzere Garantiezeit zu akzeptieren. Unterschrieben hat Prof. Peter Grottian, Otto-Suhr-Institut der FU. Der CDU-Abgeordnete Braun stellt Strafanzeige gegen Grottian wegen Nötigung und beschuldigt ihn, eine "Pogromstimmung" anzuzetteln. Deutlich distanziert sich aus dem Urlaub heraus sein Fraktionschef Frank Steffel von dieser Kampfansage. Das ist eine unerwartete Wende. Offenbar hat Steffel die günstige Gelegenheit erkannt, die Gleichsetzung der CDU mit dem Bankensumpf in dieser Situation des allgemeinen Unmut aufzulösen. Die stillschweigende Lösung ist vermasselt. Innen tagen schon über viele Stunden die versammelten Aktionäre. Der Saal ist grau bezogen und völlig geräuschschluckend angelegt. Mit wem mögen sich diese Leute identifizieren? Es stellt sich heraus, dass die Redner, die sogenannten Kleinaktionäre, die Argumente, die von außen kommen, aufnehmen. Einer sagt gerade zu den Vorstandsmitgliedern auf dem Podium gewendet: "Sie haben erklärt, sich vom Größenwahn Ihrer Vorgänger verabschieden zu wollen." Das klinge gut, aber von einem neuen Geist sei nichts zu merken: "Sie mauern! Mehr Freundlichkeit und Offenheit täten der Sache gut." Aus dem Saal kommt Applaus. Ein anderer bekennt, er habe sich in den Fonds eingekauft, weil der Senat dahinter stand. Er sei bereit zurückzutreten, er warte auf akzeptable Bedingungen. Aber er warnt eindringlich vor dem schon beschlossenen Verkauf der Anteile der Stadt Berlin an irgendwelche Anbieter von außen, die gerade in diesem Moment Geld genug haben, um das ganze Sparkassennetz aufzukaufen. Ob es denn keine "Berliner Lösung" gebe? Er rechnet vor, wie viele Einnahmen die Stadt hätte, wenn sie den Mitarbeitern Anteile verkaufen würde. Und wie groß dann die Identifikation wäre! Er fragt in den Saal: Sehen Sie da nicht Chancen? Und von irgendwoher ist deutlich zu hören: Null. Ein Aktionär bekennt sich zu seinem Motiv, Dividenden zu machen - "und da können wir uns ja nicht beklagen, es gab auch immer eine extra-Ausschüttung". Aber er habe darüber hinaus "als Instrument des Senats dessen visionäre Vorstellungen" unterstützen wollen. Das soziale Verantwortungsgefühl ist geweckt. Die Vorstandsmitglieder auf dem Podium hören stundenlang solche Reden. Wie könnten sie es zulassen, das der Ruf Berlins auf dem Kapitalmarkt durch ihre Machenschaften so gründlich verdorben werde, werden sie gefragt. Die meisten Aktionäre, die am Nachmittag auftreten, wollen eine Berliner Lösung. Voll Empörung ruft ein Redner: "Es wird wieder zu Lasten der kleinen Leute saniert, während Sie über den Dingen schweben. Vielleicht haben Sie längst den Bezug zur Wirklichkeit verloren?" Und dann setzt ein Mann noch eins drauf. Er beginnt bedächtig: Den ganzen Tag schon hätten seine Vorredner ihre Sorgen ausgedrückt. Er möchte hinzufügen, dass es schließlich um dreieinhalb Millionen Berliner gehe. Und nun kann er sich kaum noch zurückhalten: "Es geht um die Kinder meiner Kinder." An die Vorstandsmitglieder gerichtet: "Sie haben Ihre Pflichten verletzt!" Er beschwört sie: "Es ist doch Ihr Berlin, Ihre Stadt. Oder wollen Sie warten, bis wieder so eine Entwicklung kommt wie 1989, die Sie hinwegfegt?" Draußen improvisieren Studenten eine Szene, im Zylinder und Cut spielen sie die Berliner Reichen, die mit Geldscheinen um sich werfen und ihre Refrains über Macht und Geld, Profit und Rendite schmettern. Als das Geld alle ist, holen sie Landowsky, der richtet das wieder mit dem ganovenhaften Rupf, dem jetzt abgesetzten Bankenchef, und zum Schluss muss auch Gysi antanzen. Er hält eine staatstragende Rede, die von Landowsky im Hintergrund zufrieden kommentiert wird.Zu Bankenskandal und Risikoübernahme siehe auch Freitag vom 5.4. und 12.4.2002, Interview mit Harald Wolf Freitag 19.4.2002Homepage der Initiative: www.berliner-bankenskandal.de
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