Was gab es da für Beifall von Union, AfD und SPD, als Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor drei Wochen die Internetseite linksunten.indymedia.org schließen ließ. Die linksradikale Plattform, auf der neben politischen Diskussionsbeiträgen auch Bekennerschreiben von Aktionsgruppen und Bombenbauanleitungen zu lesen waren, laufe „nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider“ und richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, begründete das Ministerium die Entscheidung. Endlich werde auch mal etwas gegen linke Extremisten unternommen, war die einhellige schwarz-rot-braune Meinung, die ebenso in vielen Medien geteilt wurde. Nach den Hamburger G 20-Krawallen hatte de Maizière im Stern gesagt, Deutschland brauche „ei
sagt, Deutschland brauche „eine klare Kante gegen Linksextremismus genauso wie gegen Rechtsextremismus“. Und schon fühlten sich die im Aufwind, die nach Hamburg den Sturm auf linksradikale Hochburgen wie die Rote Flora in Hamburg und die Rigaer Straße in Berlin eingefordert hatten.Inzwischen haben sich Aufregung und Debatte um die auch vom Wahlkampf beeinflusste öffentlichkeitswirksame Indymedia-Abschaltung etwas gelegt. Geben sich die Behörden also damit zufrieden, dass die Internetseite nicht mehr erreichbar ist? Oder läuft im Hintergrund ein Ermittlungsverfahren weiter mit dem Ziel, die Betreiber doch noch vor Gericht zu bringen?Weil letzteres recht wahrscheinlich ist, dürften die Indymedia-Aktivisten und ihre Anwälte in den nächsten Monaten aufmerksam nach Stuttgart-Stammheim schauen, wo am Donnerstag ein bemerkenswerter Prozess beginnt. Angeklagt sind drei Frauen und zwei Männer aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Bildung einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung und Mitgliedschaft darin vor sowie Volksverhetzung. Die fünf Angeklagten im Alter zwischen 28 und 63 Jahren, die sich nun vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten müssen, waren die Betreiber des im Januar 2016 vom Bundesinnenminister verbotenen Internetportals Altermedia – dem rechtsextremen Pendant zu Indymedia.Auch vom Verfassungsschutz geschätztAltermedia war nach der Jahrtausendwende als internationales Netzportal für die neonazistische Bewegung gegründet worden. Ihre Hauptseite wird in den USA betrieben von David Duke, dem ehemaligen Anführer des Ku-Klux-Klan und selbsterklärten Trump-Anhänger, der vor einem Monat zu den Wortführern des Naziaufmarsches im amerikanischen Charlottesville gehörte. Der deutsche Altermedia-Ableger war im Jahr 2003 online gegangen. Anfangs spiegelte er hauptsächlich Inhalte der bereits seit 1997 existierenden rechtsextremen Internetseite stoertebeker.net, die 2011 abgeschaltet wurde.Das Altermedia-Portal veröffentlichte antisemitische und rassistische Beiträge und Kommentare, rechte Propaganda sowie Berichte von Aktionen und Demonstrationen samt Fotos und Videos. Die Seite, die mit etwa fünf Millionen Aufrufen im Jahr lange Zeit als bundesweit bedeutendstes rechtes Internetportal galt, schuf auf diese Weise eine neue Form der Bindung und Kommunikation unter den Rechten. Altermedia wurde aber nicht nur in der Szene geschätzt, sondern auch vom Verfassungsschutz, für den die Seite mangels verlässlicher menschlicher Quellen im Neonazi-Milieu eine reichhaltige Informationsquelle war.Im Oktober 2011 wurden die beiden damaligen Betreiber der Plattform, die zuvor auch schon das Störtebeker-Netz betrieben hatten, wegen Volksverhetzung und Aufrufen zu Straftaten verurteilt. Obwohl sie Haftstrafen von 27 und 30 Monaten antreten mussten, blieb Altermedia vorerst weiter online. Auch dank der nun in Stuttgart vor Gericht stehenden Angeklagten, die spätestens von 2012 an die Netzseite betrieben haben sollen. Zur „Abschottung“ gegen staatliche Zugriffe, wie es in der Anklageschrift heißt, wählten die Betreiber zunächst einen Serverstandort in den USA. Im Oktober 2012 wechselte Altermedia Deutschland zum Server eines russischen Unternehmens an dessen Standort in Moskau. Unterstützt wurden die Betreiber dabei von Jeffrey Schoep, dem Anführer von „National Socialist Movement“, einer der größten Neonaziorganisationen in den USA.Volksverhetzende ÄußerungenAuch wenn Altermedia wegen der Konkurrenz durch die sozialen Netzwerke zuletzt an Bedeutung für die rechte Szene in der Bundesrepublik stark verloren hatte, spricht die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage von einer „massenhaften und systematischen Verbreitung rechtsextremistischen und nationalsozialistischen Gedankenguts“. Neben verbotenen nationalsozialistischen Grußformeln und Parolen seien auch volksverhetzende Äußerungen veröffentlicht worden. „Diese reichten von Gewaltaufrufen gegen in Deutschland lebende Ausländer über die Verächtlichmachung von Menschen anderen Glaubens und anderer Hautfarbe bis hin zur Leugnung des Holocausts“, heißt es in der Anklage. Auf diese Weise hätten die Angeschuldigten eine ideologisch geprägte Berichterstattung und damit eine rechtsextremistische „Gegenöffentlichkeit“ schaffen wollen. Da die Inhalte des Internetportals weltweit und frei zugänglich verbreitet wurden, sollten sie laut Bundesanwaltschaft zudem andere Rechtsextremisten zu Straftaten ermuntern „und dadurch ein Klima der Angst bei den betroffenen Personengruppen schaffen“.Um den genau definierten Straftatbestand einer kriminellen Vereinigung zu belegen, hat die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage genau die Struktur der Betreibergruppe von Altermedia beschrieben. Dieser Punkt der Anklage dürfte auch für die Aktivisten von Indymedia von Interesse sein. Demnach hatten die 48-jährige Jutta V. und der 28-jährige Ralph-Thomas K. als Administratoren die „Schlüsselpositionen innerhalb der Organisation“ inne. „Neben der technischen Betreuung des Internetportals bestimmten die beiden auch die politische Ausrichtung von Altermedia-Deutschland und entwickelten die ideologischen Leitlinien der Vereinigung“, heißt es in der Anklage. Grundlage für die gemeinsame Arbeit der Angeschuldigten seien sogenannte Mitarbeiterregeln gewesen, die K. bereits im Mai 2012 formuliert hatte. Diese hätten unter anderem vorgesehen, dass jeder Mitarbeiter der Plattform in dem ihm zugewiesenen Forum regelmäßig Beiträge lesen, kommentieren und gegebenenfalls auch sperren sollte. Außerdem hätten drei der Angeklagten neben ihrer Moderatorentätigkeit unter Aliasnamen auch eigene volksverhetzende Texte verfasst, die sie auf der Internetseite einstellten.Den fünf Angeklagten drohen bei einer Verurteilung im Prozess vor dem Oberlandesgericht langjährige Haftstrafen. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main die Ermittlungen gegen die Altermedia-Betreiber geführt. Im Dezember 2014 aber übernahm die Bundesanwaltschaft „wegen der besonderen Bedeutung des Falles“ das Verfahren. „Mit Blick auf das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland“ sei eine Übernahme in die Strafverfolgung des Bundes geboten gewesen, begründete damals ein Sprecher der Behörde die Entscheidung.