Von Revolution zu Revolution

Gastkommentar Woran wir uns im Jahr 2009 erinnern sollten

"Das Geheimnis der Erlösung ist Erinnerung", sagt Wadysaw Bartoszewski. Wenn er recht hat, dann könnte 2009 ein für uns in vielfacher Hinsicht erlösendes Jahr sein. Fragt sich nur, welchen Erinnerungen wir nachgehen wollen.

Zwei besondere deutsche Geschichtskapitel hält der Kalender 2009 bereit, den Beginn der Weimarer Republik vor 90 Jahren und die friedliche Revolution vor 20 Jahren. Was aber wollen wir von den beiden Ereignissen erinnern?

In den Januartagen vor 90 Jahren entschied sich in Berlin das Schicksal der deutschen Revolution. Es war, schrieb Sebastian Haffner, ein Versuch "das im November Errungene und inzwischen schon halb Verlorene noch einmal zu erringen. Aber was im November wenigstens scheinbar gelungen war, scheiterte im Januar völlig." Ist uns dieses Scheitern im Januar 2009 einen Gedanken wert? Sehen wir es im Zusammenhang mit der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 oder wenden wir uns lieber der Wahl zur Verfassung gebenden Nationalversammlung vom 19. Januar zu, dem Erfolg der Sozialdemokraten und Beginn der parlamentarischen Demokratie?

Die Erinnerung als erlösende Kraft setzt voraus, dass beides zusammengedacht wird: Niederlage und Sieg. Wir haben keine Wahl, die Geschichte stellt uns beides als Aufgabe. Gegeneinander Aufrechnen funktioniert nicht und Vergeben ist nie von Dauer. Nach 90 Jahren ist es höchste Zeit, dass wir den bisherigen Erinnerungskult aufgeben, der stets nur enthielt, was einer Seite politisch passte, zugunsten einer alle Quellen der Geschichte nutzenden Erinnerung. An Revolutionen durfte in der alten Bundesrepublik so gut wie nicht gedacht werden - es sei denn, sie spielten sich in anderen Ländern ab. Deshalb erscheint auch die Weimarer Republik immer in einem schiefen Licht. Sie wird von ihrem Ende aus betrachtet, dem Untergang. Ihr Anfang, ihre Hoffnungen und Versprechungen, niedergelegt in einem beeindruckenden Verfassungsentwurf, waren der Revolution zu nah. 2009 könnten wir nutzen, um uns ein anderes Bild von der ersten deutschen Demokratie zu machen als bisher. Anfang Februar 1919 trat die frei gewählte Nationalversammlung in Weimar zusammen - geprägt von den Ideen bürgerlicher Revolutionen, der Aufklärung und den Idealen sozialistischer Revolutionäre.

Revolution, Verfassung und Republik - das ist im kommenden Jahr noch einmal der Erinnerung wert, wenn der friedlichen Revolution gedacht wird, dem Ende der DDR. Auch da geht es darum, woran genau man sich erinnern will. An jenen Montag im Oktober 1989, als die Demonstration in Leipzig ohne Gewalt zu Ende ging, die Soldaten in den Kasernen, die Polizeikräfte in Bereitschaft blieben? An jenen Samstag im November 1989, als es zur größten Protestkundgebung in der Geschichte der DDR in Berlin kam? An den Dienstag danach, als die Regierung zurücktrat, oder an den Donnerstag als die Mauer fiel? Und wie ist es mit den Handelnden dieser Zeit? Dürfen wir uns an Hans Modrow erinnern, den neuen Regierungschef, damals vom Westen sehr hofiert? Überhaupt: Welche Handelnden feiern wir 20 Jahre danach?

Revolution, Verfassung und Republik. Die Revolution wurde auf dem Boden der DDR gemacht - und auch von den Machthabenden mitgetragen, indem sie sie nicht unterdrückt haben. Eine neue Verfassung entstand nicht - entgegen allen Hoffnungen und Versprechen - und die Republik wurde eine vereinte. Wie vereint, das hängt auch von unserem Erinnern 20 Jahre später ab. An der Trümmerfläche mitten in Berlin, wo einmal der Palast der Republik stand, konnte man vor kurzem in großen Lettern lesen: "Die DDR hat´s nie gegeben." 2009 müssten wir uns an etwas anderes erinnern.

Luc Jochimsen ist Journalistin, Kulturpolitikerin und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei

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