Mein Schill heißt Otto". Dieser böse Satz wird dem Bundeskanzler in den Mund gelegt - gemünzt auf seinen hochgeschätzten Innenminister Otto Schily, der mit seiner Law-and-order-Politik dem Rechtspopulisten Ronald Schill den Wind aus den Segeln nehmen soll. Schon vor dem 11. September machte "Otto Schill" dieser Namensschöpfung alle Ehre - in erster Linie mit seiner restriktiven Asyl- und Flüchtlingspolitik. Bereits nach der ersten Halbzeit von Rot-Grün musste man erkennen: In Sachen Bürgerrechte wird es, trotz der Grünen, keinen Durchbruch geben - abgesehen von respektablen Ausnahmen, wie etwa der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts oder das überfällige Zuwanderungsgesetz. Doch mit zwei anderen Großprojekten hat die Regierun
die Regierungskoalition dem liberal-demokratischen Rechtsstaat einen Bärendienst erwiesen: mit dem NPD-Verbotsverfahren und den "Sicherheitspaketen".Schilys "Anti-Terror" Gerade nach den Terroranschlägen des 11. September wusste die rot-grüne Koalition nur zu genau, was sie an ihrem Schily hatte, der mit seinem "Anti-Terror"-Aktionismus zunächst an Wählergunst gewinnen konnte. Derweil rieben sich die Hardliner der CDU/CSU-Opposition verwundert die Augen, weil sie auf ihrem ureigenen Terrain der "inneren Sicherheit" kein Bein mehr auf die Erde brachten. Er werde "alle polizeilichen und militärischen Mittel aufbieten, über die die freiheitlich-demokratische Staatsordnung, die wehrhafte Demokratie verfügt". Mit dieser martialischen Ankündigung trug Schily der damaligen Stimmungslage Rechnung, ließ langgehegte Pläne aus den Schubladen der Macht kramen, zu voluminösen "Otto-Katalogen" schnüren und mit "Anti-Terror"-Etiketten bekleben. Gerade in dieser prekären Situation wäre es Pflicht einer rot-grünen Regierung gewesen, Realitätssinn und Augenmaß zu bewahren, statt dem hilflosen Schrei nach dem "starken Staat" zu folgen. Denn neben durchaus sinnvollen, zielgenauen Reaktionen, wie der Erhöhung der Flugsicherheit, dominieren weitgefasste Gesetzesverschärfungen, die nach Auffassung von Bürgerrechtsorganisationen zu einer dramatischen Erosion der Grundrechte führen. Die berechtigte Frage, ob die staatlichen Reaktionen den Bürgern tatsächlich mehr Sicherheit bringen und ob sie bürgerrechtsverträglich sind, ist kaum gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Wir scheinen uns in einem nicht erklärten Ausnahmezustand zu befinden, in dem die Befugnisse aller Sicherheitsorgane erweitert, die machtbegrenzenden Trennungslinien zwischen Polizei und Geheimdiensten gekappt und ganze Bevölkerungsgruppen zu Sicherheitsrisiken erklärt werden - mit der Folge, dass eine der ältesten rechtsstaatlichen Errungenschaften, die Unschuldsvermutung, ausgehöhlt, die Beweislast umgekehrt wird. Solche "Sicherheitsgesetze" befördern den autoritären Sicherheitsstaat, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen verloren gehen. Ein Staat jedoch, der seinen Bürgern dermaßen misstraut, hat es verdient, dass ihm mit gesteigertem Misstrauen begegnet wird. "Unter keinen Umständen darf es bei der Bekämpfung des Terrors zu einer Aushöhlung von Grundnormen kommen". Schade, dass der grüne Außenminister Joschka Fischer diesen fundamentalen Satz bei der Vorstellung des Menschenrechtsberichts der Bundesregierung nur auf andere Staaten münzte.Verdrängung per Verbot Otto Schily kann auch zögerlich sein. Denn zunächst hatte er Bedenken, ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD anzustrengen. Dabei hätte er besser bleiben sollen, statt sich dem politischen Druck zu beugen und ein rostiges Instrument der "wehrhaften Demokratie" zu wetzen. Denn mit der Einleitung des Verfahrens ist die Koalition in ein Dilemma geraten, ja in eine geheimdienstliche Falle getappt. Man hätte es voraussehen können, was erst im Laufe des Verfahrens zur handfesten Affäre wurde: Der Verfassungsschutz (VS) ist seit langem über ein ganzes Netz von bezahlten V-Leuten in die NPD und ihre rassistisch-kriminellen Machenschaften verstrickt. V-Leute in der NPD sind allein noch kein Skandal, weil es sich um eine rechtlich zulässige, wenn auch anrüchige Maßnahme handelt. Skandalös ist aber, dass solche V-Leute in führende Funktionen der Partei gelangt sind und trotzdem weiter für den VS spitzelten. Der eigentliche Skandal liegt indes darin, dass die Exekutive dies gegenüber dem Bundesverfassungsgericht vertuschen, jedenfalls nicht offen legen wollte, obwohl wesentliche Teile des Verbotsantrags gerade auf Aussagen solch dubioser "Belastungszeugen" basieren. Nach dieser Täuschung eines Verfassungsorgans noch darauf zu bauen, man könne das Verfahren mit diesen "Zeugen" fortführen, ja man könne ihre Identität gar aus Gründen des "Staatswohls" oder zu ihrem Schutz geheim halten oder sie in einem "in-camera-Verfahren" unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernehmen, wäre dreist und rechtsstaatswidrig. Parteiverbote werfen ohnehin mehr Probleme auf, als sie zu lösen imstande sind. Zwar wird die rechte Szene verunsichert und die Betroffenen werden ins Abseits gedrängt - doch ihr unseliger Geist wirkt weiter. Schließlich ist die NPD heutiger Prägung selbst Resultat früherer Verbote: Sie hat das Personal rechtsextremer Organisationen, die in den neunziger Jahren verboten wurden, weitgehend aufgefangen. Weit gefährlicher noch dürfte aber eine andere Folge des Verbotsverfahrens sein, das wie eine "entlastende" Delegation des Neonazi-Syndroms an den Staat wirken könnte: die gesellschaftliche Verdrängung der Ursachen und Bedingungen von Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Dies würde nicht nur die dringend gebotene Auseinandersetzung und eine engagierte Gegenwehr durch gesellschaftliche Instanzen lähmen, sondern gleichzeitig auch eine Sicherheitskonzeption befördern, die der Bevölkerung vorgaukelt, verhängnisvolle Entwicklungen könnten geheimdienstlich, strafrechtlich oder schließlich per Verbotsdekret eliminiert werden. Ein trügerisches Unterfangen - zumal Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus nicht nur ein "Randphänomen" sind, sondern weit in die Mitte der Gesellschaft wuchern.Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Buchautor, u.a. von Big Brother Co. - Der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft, Hamburg 2000.
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