Weltbild

linksbündig Die Fülle der Informationen senkt den Nachrichten-Wert

Die weltweite Rezession hat die Mediengesellschaft des neuen Jahrtausends hart attackiert. Analysten diagnostizieren die medial überfütterte Gesellschaft und eine Stagnation der elektronischen Medien, ein Marktsegment, das mehr als andere auf Zukunft gebaut schien. Jetzt bedeuten unerhörte Bilder alles. Wie die Rezession kein Dammbruch in der zyklischen Gegenwart der Warengesellschaft ist, wird der Krieg kein Dammbruch sein. Er wird von zwei Parteien geführt und ich kann die dritte dabei sein - das Publikum, das für das Spiel gewonnen werden muss, sonst hat das Medium verloren.

Die erste qualitativ neue Nachricht nach Kriegsbeginn kam aus dem Mund des Oberkommandierenden: »The troops are performing, as we had expected, magnificent.« Untertitel: General Franks - Day 3 of War with Iraq. Was das »Krieg mit Irak« benannte Schauspiel betrifft, war der Begriff des performing überraschend genug, um beim Sender zu bleiben, so gesehen hatte ich hier schon verloren. Ich kannte das Verb bislang nur von Unternehmensberatern und Start-up-Protagonisten, die eine »gute Performance hingelegt« hätten, wirtschaftlich gesehen. Ich hätte nicht gedacht, dass es, den Krieg betreffend, so deutlich benannt wird. Dabei hatte sich das Schauspiel, was den Performancegehalt angeht, bereits im Vorfeld vielversprechend angelassen. Transatlantisches Zerwürfnis, UNO-Farcen, weltweite Demonstrationen, die Friedensbewegung (jetzt neu!).

Es scheint das antike Grundgesetz der westlichen Wertegemeinschaft - Krieg als Vater aller Dinge - zu neuer Relevanz gelangt. Das Spiel mit Irak ist gewonnen, der Spielverderber Hussein ist tot oder beleidigt verschollen, die Toten werden aufgerechnet, die Schäden klassifiziert. Irakische Zukunft könnte Weltzukunft sein, die Tür zum Markt des Ostens, der (von Westen aus) von Ankara bis Peking reicht. Noch der Commerzbankräuber-Linienbusentführer in Berlin wird da zum Fedajin-Agent, gar al Quaida, eine halbe Nachrichtenstunde lang. Der Rest mit allem, was dazu gehört: eingebettete Journaille, Interview im Radio, Attacke. Das Monopol auf das Szenario hat der Krieg nicht länger.

Die Währung der Demokratie stellt nach einem vielzitierten Wort des dritten USA-Präsidenten die Information. Davon haben wir so viel, dass von galoppierender Deflation zu sprechen im Zusammenhang nicht falsch sein kann. Die in Bild und Text übersetzte Information über das Leiden der den Krieg tatsächlich erlebenden Soldaten und Insassen des jeweils umkämpften Terrains erreicht neben der Betroffenheit der Betrachter vor allem eins: den Transport einer Idee des totalen Erfahrens. Die als Live-Übertragung ausgewiesenen Bildberichte, aufgenommen vom Helmrand, vom Mündungsrohr, der Selbstmordkamera auf dem Bombenkopf, in der Folterkammer und so weiter suggerieren das unvermittelte Erleben der Kriegshandlungen von Angriff bis Verteidigung und Tod. Surrealer erschien der Krieg nie, so nahe dran, wie Berichterstattung heute ist. Von Geburt bis Tod scheint alles sichtbar geworden.

Der aus dem Irak nach Jena heimgekehrte Fußballtrainer formuliert sein Entsetzen über die neue Wahrhaftigkeit: Es sei wie im Sport, wo Skifahrer die Kamera an der Bindung tragen. Und Krieg, das wäre ja kein Sport. Aber genau das scheint er für die öffentliche Wahrnehmung geworden. Wie der Sport mit mehr martialischem Gestus seinen Stellenwert als Ware zu behaupten sucht, muss der Krieg sportiv hinterher. Information ist nicht nur Währung, sondern Ware, neu ist das nicht.

Diese Darstellung und ihre Rezeption durch uns macht uns zu Beteiligten am Krieg, der längst Weltkrieg geworden und über den kalten dritten ins Stadium des vierten gelangt ist; angelangt, wo der fürchterlich aktuell werdende Staatsrechtstheoretiker Carl Schmitt vom Weltpartisanen im dritten Jahrtausend kommender Kriege spricht, vom absoluten Feind im absoluten Krieg. Wir sind alle Partisanen, zwischen den Medien im Weichbild des Krieges. Die Fronten verschieben sich laufend, der Kampf geht zuerst um das Monopol am Feindbild. Und das wird in Bildern geliefert. »These are the pictures George Bush and Tony Blair wanted to see for a long time!« kommentiert die BBC die live jubelnden Iraker. So ist der Krieg vom Vater aller Dinge zum letzten Refugium des Humanen geworden, das er über die üblichen Leichenberge im Wirbel der Datenströme im Informationsrausch verlässt. Das humanistische Refugium wird sich erst Auge in Auge mit dem ersten Klon wieder erschließen, wahrscheinlich im Duell.

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