Werden Influencer jetzt politisch?

Rezo Während der Youtuber sonst nur Quatsch sendet, gönnt er sich alle zwölf Monate politische Aufklärung. Und: Sie gelingt
Ausgabe 34/2021

Rezo bleibt die Ausnahme beziehungsweise der Einäugige unter jenen Blinden, die Influencer genannt werden: Menschen, die auf Youtube, Instagram oder Tiktok berühmt geworden sind und dort ihren Alltag sowie ihr als authentisch inszeniertes Ich mit Werbung, Rabattcodes und Affiliate-Links verknüpfen. Rezo geht zwar auch hin und wieder Werbekooperationen ein, inzwischen aber ist er vor allem auf der zu Amazon gehörenden Streaming-Plattform Twitch zu sehen – mit Unterhaltung, die nicht darauf ausgelegt ist, die Zuschauer klüger zu machen. Wie Rezos Quatsch-Content auf Youtube in etwa so zielführend ist wie die Polonäse Blankenese.

Nichts gegen Seichtes, aber inmitten der Dauerbeschallung mit Blödeleien tut Aufklärung Not, die Rezo wiederum selbst leistet – „Zerstörung Teil 1: Inkompetenz“ heißt sein neues Video, das gründlich recherchiert und pointiert aufzeigt, wie sehr die Regierenden die Unwahrheit sagen, Versprechen brechen und Bullshit von sich geben. Das Video ist gut, macht aber traurig: Rezo vergleicht Aussagen von Politikern, deckt Widersprüche auf – so wenn er zeigt, wie Armin Laschet binnen weniger Stunden erst weniger, dann mehr für den Klimaschutz tun will, um am Abend festzuhalten, dass man jetzt nicht die Politik ändern dürfe.

Der Monty-Python-Filmtitel And Now for Something Completely Different beschreibt, wie in Zeitungen und im Fernsehen über Politik überwiegend berichtet wird: verbindungslos. Wenn Julia Klöckner morgens auf einem Biohof ein Ende des Tierleids fordert und die Union abends mit einem neuen Gesetz ebendieses vergrößert, wird im Fernsehen fein säuberlich getrennt darüber berichtet; unvereinbare Aussagen aus der Vergangenheit werden kaum herangezogen, sieht man von investigativen Magazinen wie Monitor und Frontal 21 ab. Eine Meldung folgt auf die andere, Politiker können heute dies und morgen das Gegenteil behaupten und sich sicher sein, dass Journalisten sie nicht an gestern erinnern. Es ist wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, in der Politikberichterstattung ist jeder Tag der erste.

Rezo tut eigentlich nichts weiter als Verlinkungen herzustellen. Vielleicht muss man fernab der Hauptstadtblase stehen, um im Nachrichtenfluss nicht zu ertrinken. Kurzum: der Aachener Rezo ist hier kein Influencer, sondern Journalist.

Leistet Rezo damit bloß Abbitte? Vielleicht ist es Karneval in umgekehrter Form: Während man das gesamte Jahr über bierernst ist, darf man „für drei tolle Tage“ närrisch sein. Während Rezo sonst nur Quatsch sendet, gönnt er sich alle zwölf Monate politische Aufklärung. Immerhin. Diesen journalistischen Anspruch haben seine Kollegen allesamt nicht. Als politisch geltende Influencer wie Louisa Dellert oder Diana zur Löwen – sie geben sich pseudo-politisch, arbeiten dezidiert nicht journalistisch. Sie verknüpfen bloß ihre gefilterte „Personality“ mit Lifestyle-Politik und sonnen sich bei lammfrommen Politikerinterviews im Glanz des Ruhms. Erschlossen werden so neue Märkte und Geschäftsfelder – nicht ganz selbstgeschriebene Bücher, „Funk“-Formate und der Verkauf von blauen EU-Hoodies sind lukrativ. Politiker kommen gern zu den ökonomisch cleveren, aber politisch ahnungslosen Influencern, denn wie bei den TV-Sommerinterviews ist Kritisches nicht zu erwarten.

Wolfgang M. Schmitt hat mit Ole Nymoen das Buch Influencer. Die Ideologie der Werbekörper verfasst, das im März bei Suhrkamp erschien

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