Dieser Mann steht für eine Musterkarriere – Kartellbruder, Studium der Rechtswissenschaften, Minister-Sekretär, Abgeordneter, Zweiter Präsident des Nationalrats und Außenminister. Im Jahr 2011, nachdem Josef Pröll wegen eines Lungeninfarkts das Handtuch geworfen hat, wurde Michael Spindelegger zudem Parteiobmann der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und Vizekanzler. Schon sein Vater war Abgeordneter und einige Jahre Bürgermeister im niederösterreichischen Hinterbrühl, wo der 53-Jährige bis heute lebt. Als Spitzendkandidat der ÖVP zur Nationalratswahl am 29. September versucht er gerade, das Image des Biedermanns aus der Provinz loszuwerden und den aufgestachelten Stichler vom Dienst zu mimen. In dieser inszenierten Pose wir
wirkt er – anders als Heinz-Christian Strache oder Frank Stronach – wenig authentisch. Eher wie ein gut trainierter Prüfling, dem man die Aufgabe gestellt hat, den Macher rauszulassen.Vor einem Jahr noch sah es schlecht aus für die ÖVP. Dass Straches FPÖ inzwischen nicht mehr an vorderster Front der Rivalen steht, ist das alleinige Verdienst von Frank Stronachs Partei Team Stronach, der eben im gleichen Teich fischt und noch dazu als derjenige gilt, der von Wirtschaft etwas versteht. So einer möchte auch Spindelegger sein. Und je öfter er es betont, desto mehr fällt die ÖVP als die Partei der Reichen und Besitzstandswahrer auf. Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, gelingt es nur zu vermitteln, dass die Sozis nicht bloß wenigen, sondern allen etwas wegnehmen wollen. Da fürchten sich dann alle Sparefrohs und Häuslbauer. So befindet man sich seit Wochen mitten im Abwehrkampf gegen die „Faymann-Steuern“, wie die ÖVP die Pläne des SPÖ-Kanzlers bezeichnet, Millionäre und Banken zur Kasse zu bieten.„Wir sind die Partei für all jene, die täglich fleißig arbeiten, um sich und ihren Familien etwas aufzubauen. Für mich ist klar, wer Fleiß und Tatkraft zeigt, soll auch etwas davon haben“, sagt Spindelegger. Deswegen will der gedopte Mann auch gleich die Wirtschaft „entfesseln.“ „Vor allem am Anfang brauchen Unternehmer eine geborgte Kapitalspritze“, heißt es etwas holprig auf der Homepage der ÖVP. Spindelegger wirkt wie ein Masochist, der mit einigen PR-Injektionen auf einen Sado-Trip geschickt wurde. Ob dieses BDSM-Spiel gar als sexy rüberkommt, wird sich zeigen. Ausgeschlossen ist es nicht.In den vergangenen Monaten geriet Michael Spindelegger auch schon einige Male in die internationalen Schlagzeilen. Durch den beschlossenen Rückzug der österreichischen Blauhelme vom Golan oder zuletzt bei der unfreiwilligen Landung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien. Auch wenn man vielleicht nicht so genau wissen will, wer hinter diesem erzwungenen Zwischenstopp steckt, Tatsache ist, dass Spindelegger als Außenminister zum Flughafen eilte und prompt verkündete, es hätte eine „freiwillige Nachschau“ durch österreichische Grenzpolizisten gegeben. Morales hingegen bestreitet das. Durchaus glaubhaft, denn warum hätte er sich diese zusätzliche Demütigung gefallen lassen sollen? Auch Bundespräsident Heinz Fischer hat die Darstellung des Bolivianers bestätigt.Insgesamt bleibt der Eindruck haften, dass das österreichischen Außenamt auf Zuruf reagiert, dann noch Morales & Co als „bloßfüßige Indianer“ vorführt, die im Eventualfall keinen diplomatischen Schutz genießen. Man stelle sich nur vor, man holte den österreichischen Außenminister bei einer Rückreise aus Lateinamerika in La Paz aus dem Flieger und inspizierte seine Maschine. Unvorstellbar!Die Wiener Außenpolitik agiert einmal mehr doppelbödig. Reell geht man vor der US-Administration in die Knie, ideell bedient man – so auch in der Affäre Edward Snowden – das anti-amerikanische Ressentiment. Auf der gleichen Ebene ist auch die „förmliche Einbestellung“ des US-Botschafters William Eacho in das Außenministerium zu beurteilen. Zwar hieß es, dass man nicht ausspioniert und überwacht werden will, aber damit hatte es sich schon. In einem ORF-Interview meinte Spindelegger ausdrücklich, dass er davon ausgehe, dass „die USA sagen wird, das stimmt nicht“. Etwas anderes könne er sich gar nicht vorstellen. Na dann.Das ist Simulation von Diplomatie. Man erledigt nichts, aber man kommt den Stimmungen entgegen, indem man dem Unbehagen Ausdruck verleiht. Da wird heiß gekocht, was niemand isst, und die Beteiligten wissen das auch schon im Vorfeld. Man sollte derlei Gesten nicht als Aktionen oder gar Interventionen bewerten. So fiel es den Österreichern auch leicht, sich gegen das Ende des EU-Waffenembargos in Sachen Syrien auszusprechen. Da gibt es keine manifesten Interessen. Ursprünglich wollte man die rot-weiß-roten Blauhelme am Golan belassen. Nach den ersten Zwischenfällen – verursacht durch die syrischen Kriegsparteien – wurden jene aber, sehr zum Ärger der UN und der Israelis, schnellstens abgezogen. Spindelegger wollte sich seinen Wahlkampf nicht durch tote Soldaten verderben lassen, denn er möchte auf jeden Fall ins Bundeskanzleramt.Ob das aus eigener Kraft möglich ist, darf bezweifelt werden. Die SPÖ liegt in allen Umfragen um einige Prozentpunkte vor dem christlich-sozialen Herausforderer. Doch vergessen wir nicht, dass der ÖVP-Chef noch eine zweite Karte im Ärmel hat: eine Koalition aus ÖVP, FPÖ und Team Stronach. Und sage niemand, dass er diese im Notfall nicht zückt. Mehr als eine Chance werden ihm die Granden der Volkspartei, allen voran Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, aber kaum geben. Aber eine Chance hat er, der Spindelegger.