Willkommen in Bioland

Kommentar Der Hormonskandal schreit nach einer Positivliste

Es ist wie bei einem Autorennen: Ein Skandal jagt den nächsten. Da haben wir Verbraucher Nitrofen gerade erst verkraftet, schon quieken hormonbelastete Ferkel fröhlich durch die Fernsehschirme in unsere Wohnzimmer. Ob sie gar schon in unseren Kühlschränken lagern, weiß bisher keiner ganz genau zu sagen. Unbedenklich seien die Belastungen, versprechen uns die Verbraucherschutzministerinnen Höhn und Künast. Gut!
Aber trotzdem: Mit der versprochenen Agrarwende ist es bisher nicht weit her. Nun ist das Kind erneut in den Brunnen gefallen, und die EU-Agrarminister überschlagen sich mit altbekannten Forderungen und schieben den schwarzen Peter der Futtermittelindustrie und den Lebensmittelaufsichtsbehörden zu. Gleichzeitig loben sie ihr EU-weites Schnellwarnsystem, das bereits nach eineinhalb Jahren registrierte, dass tonnenweise belastete Futtermittel und mehrere tausend damit gefütterte Schweine sowie Glukosesirup für die Getränkeindustrie in nahezu alle EU-Staaten exportiert wurden.
Die lange überfällige Einführung einer Positivliste für erlaubte Rohstoffe in Futtermitteln - statt den heutigen Verboten für jeweils einzelne Substanzen - gehört hier genauso dazu, wie flächendeckende Kontrollen auch für Tierfutter, wie sie nun wieder einmütig von Höhn und Künast gefordert werden. Auch konnten sich die EU-Agrarminister bis heute nicht darauf einigen, endlich die als Leistungsförderer beliebten Antibiotika aus europäischen Ställen zu verbannen. Künast will nun das ursprünglich für 2006 vorgesehene Verbot vorziehen.
Dass sich die Landwirte hier so vehement wehren, ist ökonomisch leider nur zu gut nachvollziehbar und offenbart tiefere Schwächen der EU-Agrarpolitik. Fleisch ist heute für den verwöhnten Verbraucher an der Supermarkttheke so billig zu haben, dass ein Tiermastbetrieb an einem einzelnen Schwein gerade mal ein paar Euro verdient. Hinzu kommt, dass das Geschlechtshormon MPA in Ländern wie Australien und den USA als Leistungsförderer noch zugelassen ist. Klar, dass man als europäischer Landwirt neidischen Blickes zur Konkurrenz über den großen Teich schaut. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Tiermäster das um 30 Prozent unter dem Marktpreis gehandelte Futter ohne größere Zweifel bezogen.
Sicherlich ist man gegen kriminelle Machenschaften nie hundertprozentig gefeit, aber schärfere Kontrollen würden solche mit größerer Sicherheit aufdecken. Hier ist die Verbraucherschutz-Politik eindeutig gefordert, EU-weite Rahmenbedingungen gesetzlich festzuschreiben. Derweil fürchtet - das Leben macht doch noch die besten Witze - der deutsche Ökoverband Bioland aufgrund seiner Namensgleichheit mit dem niederländischen Lieferanten um sein schon durch Nitrofen angekratztes Image. Was kann man als Verbraucher heute noch glauben? Willkommen im Bioland Europa!

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