Anlaß war der Tod einer Kuh. Am Ende starb eine Frau. Die Kuh gehörte einem der Honorationen des Dorfs. Die Frau gehörte zu keinem Mann. Als die Kuh starb, wurde dafür ein Grund gesucht, und das Dorf beschuldigte eine alleinstehende Frau, sie habe die Kuh mit einem bösen Blick angeguckt. Die Frau war von ihrem Mann verstoßen worden, weil sie nach mehreren Geburten an Inkontinenz litt. Das Dorf brachte die Frau mit dem bösen Blick zum traditionellen Heiler, der gab ihr Kerosin zu trinken und zündete sie dann an. Ihrem Sohn sagte das Dorf, seine Mutter habe Selbstmord begehen wollen. Die Frau quälte sich noch zehn Tage, bevor sie starb. Renu Sharma, Soziologie-Studentin aus Kathmandu, hörte von der Frau im Westen Nepals und fuhr hin - sechs S
s Stunden per Bus, dann zehn Stunden zu Fuß - und nahm die Geschichte der Frau auf Tonkassette auf.Witch-hunting, Jagd auf »besessene« Frauen, wird im Westen Nepals positiv bewertet. Auch Gebildete, Lehrer sind stolz auf sich selbst, wenn sie das Dorf vor einer Frau mit dem bösen Blick schützen: sie bespucken, beschimpfen, schlagen, verjagen, im Extremfall umbringen. Stirbt ein Kind, ein Tier, fällt die Ernte schlecht aus oder geschieht ein Unglück, suchen die Menschen, fast alle gläubige Hindus, in dieser Region dafür eine metaphysische Ursache. Sie finden sie: Frauen, die von ihren Männern verlassen wurden.Die Verfolgung »besessener Frauen« werde in Nepal als »weniger wichtig« eingeordnet, auch von feministischen Initiativen. Renu Sharma, aufgewachsen im Osten Nepals, in einem Dorf, in der die Mutter ihrer Freundin zur »witch« erklärt, verfolgt und gequält wurde, sieht das nicht so. Sie dokumentiert die Fälle und möchte das Thema »witch-hunting« in die nepalesischen Medien bringen. Die 26jährige hat 1988 gemeinsam mit ihrer Studienkollegin Tara Upreti die »Foundation for the Solidarity and Development of Women« gegründet. Ihren ersten Namen »Gang for the Protection of Helpless Women« gab ihnen ein Polizeibeamter, nachdem sie 1990 auf der Suche nach einem verschwundenen Mädchen spontan einen Arzt »gekidnappt« hatten, der die bei ihm arbeitende 15jährige als Haushaltshilfe weiterverschachert hatte. Die Vereinsgründung mußte dann so schnell gehen, daß zunächst keine Zeit blieb, sich Gedanken über einen zutreffenderen Namen zu machen.Inzwischen sind etwa 1.000 Frauen Mitglied, die meisten machten während ihres Studiums ein Praktikum in der Foundation. Etwa 30 Frauen, alle noch im Studium, arbeiten heute aktiv in der Stiftung, die in Kathmandu ein Frauenhaus eröffnet hat, vor allem aber die Frauen in den entlegenen Provinzen in wochen-, manchmal monatelangen Kursen über ihre Rechte aufklärt und Selbstbehauptungstrainings mit »dem Besitz der Männer« macht. Die Mitarbeiterinnen der Foundation finanzieren ihre Arbeit selbst: mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Renu, die dieses Jahr ihren MA in Soziologie abschließen will, spendet konsequent die Hälfte aller Honorare, die sie als Gutachterin und Trainerin bei UNICEF und anderen Entwicklungshilfeorganisationen erhält, an die Frauen-Stiftung. Unterstützung von außen erhält die NGO neuerdings vom Deutschen Entwicklungsdienst, der die Gehälter einiger Mitarbeiterinnen zur Hälfte übernimmt.Anders als bei den Mitgiftmorden in Indien, bei denen der Fluch der Weiblichkeit auf der Ebene des Marktes zu lokalisieren ist und darin liegt, daß noch unverheiratete Frauen zur potentiellen Wohlstandsquelle reduziert werden, siedelt der Fluch der Weiblichkeit in Nepal in einem schwer zu durchdringenden Gemisch von Religion, Vorurteilen, Ängsten und Mystifizierungen. Auch in Kathmandu darf eine Frau, die ihre Periode hat, in diesen Tagen nicht die Küche betreten - in den Provinzen im weiter entfernten Westen muß sie sogar für diese Wochen das Haus verlassen, außerhalb des Dorfs unter einem Baum oder einem Felsen leben, weil die Gemeinschaft fürchtet, ihre »Unreinheit« würde Unglück über das Dorf bringen. Hat die Frau einen Säugling, müssen Mutter und Kind für diese Woche getrennt werden. Niemand versorgt die Frauen unter dem Baum mit Mahlzeiten. Sie essen ungekochten Reis. Auch im Monsun hocken die Frauen unter ihrem chaupadi, ihrem winzigen selbstgebauten Unterschlupf aus Zweigen.Noch extremer und fataler wirkt das Tabu der Weiblichkeit, wenn die Frauen gebären: Westlich von Nepalgunj, im Bajang-Distrikt, müssen die Frauen nicht nur - wie in Far-West üblich - im Kuhstall entbinden, weil ein derart unreiner Vorgang Unglück über das Haus bringen würde, sondern ihnen steht nicht einmal eine Verwandte bei, geschweige eine ausgebildete Geburtshelferin. Die Frau ist ganz auf sich gestellt, bis zur Durchtrennung der Nabelschnur - und dann muß sie noch am selben Tag allein zur Wasserstelle laufen, um sich zu reinigen.Die Regierung Nepals hat vor einigen Jahren ein »Päckchen für eine sichere Geburt« entwickelt. Es enthält eine Plastikplane, Seife, Bindfaden und eine Rasierklinge . Trotzdem schätzt die Ärztin Anne Eppelding, die seit einigen Monaten für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in einem nepalesichen Projekt zur Gesunderhaltung von Frauen in Far-West arbeitet, daß dort 1.500 von 100.000 Frauen bei oder in der Woche nach der Geburt sterben - im Landesdurchschnitt sind es 550 (in Deutschland sechs) von 100.000. Da medizinische Versorgung bezahlt werden muß, werden vor allem die Frauen viel zu spät zum Arzt gebracht. Frauen essen traditionell nach Männern und Kindern die Reste und bekommen so im Schnitt 1.100 bis 1.800 kcal pro Tag - bei körperlicher Schwerstarbeit. Nepal ist eines der wenigen Länder, in denen die Lebenserwartung der Frauen (53 Jahre) unter der der Männer liegt (56 Jahre) - und das ist ganz offensichtlich auch Folge der Tabuisierung, des Fluchs der Weiblichkeit.Die Frauen selbst, von Geburt an dazu erzogen, zu gehorchen, zu dienen, sich fremdbestimmen zu lassen, seien sich gar nicht bewußt, daß die Traditionen ihnen eine sichere Geburt vorenthalten, erklärt Eppelding. Auf dem Land empfänden die meisten Frauen ihre Situation auch nicht als ungerecht, sondern sie akzeptierten sie als gegeben. Ihr hinduistischer Glaube unterstützt sie fatalerweise noch in dieser Haltung. Renu Sharma, Tara Upreti und Anne Eppelding kommen daher unabhängig voneinander zur gemeinsamen Zielvorstellung, erstmal müsse man Frauen und auch Männer vom Wert der Frauen überzeugen, die Frauen befähigen, ihre Bedürfnisse zu formulieren und ihre Interessen durchzusetzen. Denn so lange die Frauen in den Dörfern selbst die Traditionen verteidigen, die den körperlichen Aspekt von Weiblichkeit zum Fluch der Frauen machen, versperren sie sich nicht nur den Weg zu einem gesünderen und längeren Leben, sondern sie bieten sich auch als Zielscheibe an für die, die einen Sündenbock suchen.
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