Gut und Böse stehen nicht auf dem Wahlzettel zur Hamburger Bürgerschaft, sonst könnten Demoskopen und Wahlleiter ihre Arbeit einstellen. So aber ist es offener denn je, wer am Sonntag das Rennen macht. Der rot-grünen Regierung steht der sogenannte "Bürgerblock" aus CDU, FDP und der "Partei Rechtsstaatliche Offensive" des als "Richter Gnadenlos" bekannten Ronald Schill gegenüber. Das Angebot ergänzen die linke Grünen-Abspaltung "Regenbogen", eine vollkommen inhaltsfreie STATT-Partei und eine dogmatische PDS. Gerade als die Parteien auf die Zielgerade des Wahlkampfs einschwenkten, erschütterten die terroristischen Anschläge das Selbstbild der westlichen Welt. Die Stadt an Elbe und Alster hat sich im Verlauf der letzten Woche in eine Kondolenz
dolenz- und Solidaritätsmetropole verwandelt. Ein Blumen- und Kerzenmeer umspülte das amerikanische Konsulat. Das Zentralorgan hanseatischer Befindlichkeit, das Hamburger Abendblatt, druckte eine ganzseitige Verbundenheitsadresse ("Americans, we stand by you"), um sie in Autos und Schaufenstern auszulegen. Die Parteien vereinbarten ein Wahlkampfmoratorium bis zum vergangenen Sonntag. Umso herausragender waren die Chancen regierender Sozialdemokraten, sich in staatsmännischer Funktion als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten zu präsentieren.Schon vor den Anschlägen stand der Wahlkampf ganz im Zeichen der Inneren Sicherheit. Schill hat sich als Garant harten Durchgreifens positioniert. Die öffentliche Meinung belohnt das - letzte Umfragen weisen für ihn mehr als fünfzehn Prozent aus. Der Einpunktpartei kommt dabei zugute, dass mit ihr nicht eine rechtsradikale Splittergruppe nach Law Order ruft, sondern ein Richter, den die Großparteien aufgrund ihrer eigenen Positionen schwerlich in die Schmuddelecke stellen können. Innensenator Scholz (SPD) etwa bemühte sich zusehends, Schill das Wasser abzugraben, und schlug einen polizeilichen Kurs ein, der die CDU vollkommen sprachlos machte - dem Brechmitteleinsatz gegen Dealer konnte selbst sie nichts mehr entgegensetzen. Die GAL macht den innenpolitischen Rechtsschwenk mit, wie sie in der zurückliegenden Amtszeit überhaupt fast alles mitgemacht hat. Opposition gegen den Brechmitteleinsatz, der zum Symbol innenpolitischer Weichenstellung geworden ist, kam wie schon zuvor bei der Zuschüttung des Mühlenberger Lochs im wesentlichen von der Gruppe "Regenbogen", die sich aufgrund der grünen Haltung zum Kosovo-Krieg von der GAL abgespalten hatte. Die Hamburger PDS glänzt überwiegend durch ihre Zerstrittenheit und den dogmatischen Fundamentalismus maßgeblicher Funktionäre - sogar Metropolenwahlkämpfer Gregor Gysi unterstützte per Wahlkampfauftritt nicht die PDS, sondern den "Regenbogen".Es missachtet Wahlen, sie als Testläufe abzuqualifizieren. Dennoch ist es wohl nicht verfehlt, der Wahl am Sonntag eine Bedeutung über die Zusammensetzung der Bürgerschaft hinaus beizumessen. Deutschland geht einer Debatte um Innere Sicherheit entgegen, gegen die sich Diskussionen um Videoüberwachung vor Hauptbahnhöfen als liberales Scharmützel ausnehmen. Schon jetzt fordert Edmund Stoiber den Einsatz der Bundeswehr auch für Polizeiaufgaben. Und das Bundeskabinett unter Führung von Innenminister Otto Schily bereitet einen antiliberalen Schrotschuss vor: Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht - obwohl gerade die Hamburger Verdächtigen nicht in militanten Religionsvereinen organisiert waren. Ein Paragraph gegen den internationalen Terrorismus - als hielten strafrechtliche Sanktionen konspirative Selbstmordattentäter ab. Schließlich macht noch das böse Wort vom "Datenschutz als Schutz vor Terroristen" die Runde, Notstandsgefühle aus den Zeiten des Heißen Herbstes werden wach. Und die SPD steht stramm. Wie damals.Weil einige der geheimdienstlichen Spuren auch nach Hamburg-Harburg führten, wird es leicht, Sicherheitsfragen für den Landeswahlkampf nutzbar zu machen. Unter den Parteien herrschte vergangene Woche zwar weitgehend Einigkeit, das Thema Innere Sicherheit nicht aufgrund der Anschläge zum verschärften Wahlkampfthema zu machen. Es wird sich aber noch zeigen, ob das mehr als ein pietätsheischendes Versprechen gewesen ist. Schon am Wochenende forderte Innensenator Scholz (SPD) eine Rasterfahndung, die auch "unauffällige Personen" wie die mutmaßlichen Attentäter aus Harburg erfasse - was immer das bedeuten mag. CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust kündigte zum Thema Terrorismus die Frage an: "Warum immer wieder Hamburg?" - als sei die Stadt neben den südafghanischen Bergen die zweite Zentrale des internationalen Terrorismus. Aufpeitscher Schill schlug in dieselbe Kerbe: Die Terroristen hätten sich zur Vorbereitung der Anschläge den besten Platz ausgesucht, eben Hamburg, die "Haupstadt des Verbrechens". Bei Redaktionsschluss war noch keine Hysterie ausgebrochen, aber es fehlt möglicherweise nicht viel dazu. Welche Auswirkungen die Ereignisse auf die Wahlentscheidungen haben werden, ist ungewiss. Entweder: die Wähler greifen in Zeiten der Unsicherheit auf Bewährtes zurück. Oder: sie fordern harte Maßnahmen zur Bekämpfung des vermeintlich ausgemachten Bösen. Beide Tendenzen würden der SPD bzw. Schill nützen, während CDU, GAL, "Regenbogen" oder FDP davon kaum profitieren dürften. Auch die außenpolitische Situation mag die Wahlentscheidung beeinflussen. SPD und CDU widersprechen ihren Führungen auf Bundesebene nicht. Die FDP tritt mit einem ehemaligen Konteradmiral an, der nicht gerade für vorsichtige Positionen in Sicherheitsfragen bekannt ist. Die GAL hat sich scheinbar damit abgefunden, die pazifistischen Wähler verloren zu haben, und schickt den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, in die Wahlkampfarena. Von der heillos zerstrittenen PDS abgesehen, steht somit nur noch der "Regenbogen" konsequent dafür, Konflikte ohne Waffengewalt lösen und eine militärische Kollektivhaftung Unschuldiger verhindern zu wollen. Umfragen am vorigen Wochenende gaben dem sogenannten "Bürgerblock" einen deutlichen Vorsprung vor Rot-Grün. Aber Umfragen dürften jetzt so unverlässlich sein wie selten zuvor. Die Stimmung in der sonst so gemächlichen Hansestadt kann stündlich kippen. Und es gibt viele unsichere Faktoren bezüglich der Mehrheitsverhältnisse, zum Beispiel der Einzug der FDP.Die Bürgerschaftswahl wird ein Signal für das zukünftige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit geben. Sie kann zeigen, welche Stimmung in einer Stadt herrscht, die sich ihres freiheitlichen, liberalen Klimas rühmt. Friedliches Zusammenleben erwächst aus einem fairen, vertrauensvollen Miteinander. So zerbrechlich das ist, nützen Hauruckmethoden am wenigsten.