Zwei Körper des Kanzlers

Linksbündig Nach werbeästhetischen Gesichtspunkten hat Schröder bereits gewonnen

Wahlwerbung scheint im Großen und Ganzen durchaus wie Produktwerbung zu funktionieren. Entsprechend sind ihre Faustregeln Abbildung des Politikers, gut erkennbares Parteilogo, dazu ein so genannter Claim - zum Beispiel das 1998 Aufbruch verheißende "Wir sind bereit" der Sozialdemokraten - und noch eine markige Headline à la "Gemeinsam für ...", oder "Zukunft für ...". Überhaupt sind "Wir", "Deutschland" und "Zukunft" die bis zur Unkenntlichkeit strapazierten Key words der Vorwahlzeit.
Gestalterisch waren deutsche Wahlwerbebotschaften bisher so innovativ wie Waschmittelreklame. Das gilt durchweg für die gut zu übersehenden Wahlkreisplakate in Passfoto-Optik. Aber auch Großformatiges zeigt die lächelnden Kandidatenportraits in Übergröße, dazu gern viel weiße Freifläche drum herum. Die signalisiert: nicht nur sauber, sondern rein. Überraschungen so gut wie ausgeschlossen.
Damit ist eigentlich auch schon alles zur aktuellen CDU-Kampagne gesagt. Viel Weiß - besonders auffallend Edmund Stoibers strahlender Hemdkragen -, ein "Gemeinsam für Deutschland" als Überschrift sowie faltenfreie Portraits von Stoiber und Merkel. "Zeit für Taten", ein hemdsärmliger, aber nicht besonders überzeugender Claim rundet die Komposition ab. Der Auftritt der CDU ist risikoarm und setzt ganz auf Bewährtes. Jetzt bloß nichts mehr falsch machen, scheint er zu sagen. Und wirkt hausbacken und merkwürdig emotionslos.
Die SPD-Kampagne funktioniert ganz anders. Natürlich setzt auch Schröder inhaltlich auf Sicherheit durch Bewährtes. Formal ziehen der Medienkanzler und seine Berater jedoch alle Register zeitgemäßer Auftragskommunikation. In trendiger Bronzeoptik, mit staatsmännischer Patina sozusagen, und in grobkörniger Bildauflösung kommt der Kanzler daher wie eine Mischung aus HypoVereinsbank und Daimler-Chrysler. Tatsächlich sitzt er, der Autokanzler, für eines der Motive auch im Fond seines Dienstwagens und simuliert ein Gespräch übers Autotelefon.
Man kann der SPD-Kampagne eine Menge nachsagen. Dass es unaufrichtig und sogar zynisch sei, angesichts von vier Millionen Arbeitslosen den Kanzler als Nachtarbeiter zu präsentieren. Oder ihn die Worte "soziale Gerechtigkeit" überhaupt noch in den Mund nehmen zu lassen. Aber welche Überraschung: So hatte man den Kanzler noch nicht gesehen. Wahlwerbung, die gar nicht wie Wahlwerbung aussieht. Ein Clou.
Strategisch setzt das Schröderteam dabei alles auf eine Karte. Denn es handelt sich hier nicht nur um eine One-man-Show, sondern um einen All-in-one-Mix. Die Kampagne adaptiert die wichtigsten Elemente zeitgemäßer Produktwerbung, zeigt großflächig inszenierte Alltagssituationen in Markenführerästhetik, vermeintlich hautnah. Er, der Kanzler zum Miterleben, mal Termine jagend, mal umweht vom Geiste deutscher Romantik. Schröder ist aber nicht nur das Model. Er ist Produkt und Firmeninhaber zugleich, und er verkauft seine Politik obendrein auch noch höchstpersönlich. Die Wahlsprüche sind ihm als wörtliche Rede in den Mund gelegt.
In der Werbetheorie nennt man so jemanden ein Testimonial - wie Claudia Schiffer einem Shampoo mehr Glamour verleiht und Boris Becker schneller drin ist, soll Schröder Schröderpolitik aufwerten. Der strategische Trick hierbei ist der so genannte Imagetransfer. Der noch immer populäre Medienkanzler tritt dem fehlbaren Politiker an die Seite und soll Partei und Politik überstrahlen. Schröder ist also nicht ein Kanzler, er ist zwei. Er ist sein eigener Mehrwert. Er, der Angeschlagene, ist zugleich Zugpferd und Achillesferse der Kampagne.
Der Ansatz der SPD ist der ästhetischere und innovativere. Sie setzt auf Form und zugleich auf die ungebrochene Popularität des Bundeskanzlers. Darauf, dass Schröder es als Ein-Mann-Team schon richten wird. Ob es ihm aber gelingen kann, auch die kritischsten Verbraucher davon zu überzeugen, ihn um seiner selbst willen zu wählen?
Das Allerwichtigste an guter Werbung, heißt es schließlich in der Theorie, ist noch immer die Glaubwürdigkeit des Produkts.

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