"David Bowie will never die"

Trauer Die Anteilnahme zum Tod von David Bowie ist überwältigend. Facebook wurde zum Gedenkort. Auch für den Schriftsteller und Journalisten Detlef Kuhlbrodt

Am Montag um halb neun rief mich ein Kollege an. David Bowie ist tot. Ob ich vielleicht was schreiben könnte. Ich war geschockt und lief durch die Wohnung. David Bowie war der Held meiner Jugend gewesen und hatte mich bis jetzt begleitet, wie ein großer Bruder oder ein komischer Onkel. Ohne Bowie hätte mein Leben anders ausgesehen.

Ich machte das Internet an und schrieb „david bowie will never die“. Diesen Titel hatte die Electro-Musikerin Pilocka Krach mal vor ein paar Jahren aufgenommen. Sie sieht irritierend androgyn aus. Ihr Auftritt war großartig gewesen. Ein paar Tage später war ich nach mehr als zwanzig Jahren Kreuzberg nach Treptow gezogen.

Als ich angefangen hatte, für die taz Artikel zu schreiben, Ende der 80er Jahre, gab es drei Künstler, über die ich unbedingt mal schreiben wollte. Herbert Achternbusch, Leonard Cohen und David Bowie, der zwischen „Let’s Dance“ (1983) und „Outside“ (1996) neben vielem Mist, auch immer mal wieder ein Lied veröffentlichte, das groß war – „Under Pressure“ zusammen mit Freddy Mercury, „This is not America“ mit Pat Metheny oder „Absolute Beginners“.

Ich kannte fast das gesamte Werk, seine beiden Abschiedsplatten Next Day und „Blackstar“ hatten mir gut gefallen, ich kannte einige Bowie-Fans und sang immer mal wieder einige seiner Titel Karaoke, aber nun fiel mir nichts ein, was ich schreiben könnte. Oder was mir einfiel, war schon so oft gesagt - der Mann mit den vielen Gesichtern, der Star, der mit den Geschlechterrollen spielte – dass ich keine Lust hatte, es zu wiederholen. Oder es kam mir unpassend vor.

Ich postete Lieder „After All“ von der Platte „The Man who sold the World“, ein Lied, von dem ich mir mit 18 oder 19 vorgesstellt hatte, dass es auf meiner Beerdigung laufen würde, hörte den ganzen Tag Bowie-Lieder, vor allem die traurigen. „Life on Mars?“ natürlich, „Five Years“, „Wild is the Wind“, das lief, während man die ersten Male Sex hatte, „Strangers when we meet“.

Bowie-Anekdoten

Die Freundin, mit der ich zwei Tage zuvor noch im „Neues Ufer“ (das noch „Anderes Ufer“ geheissen hatte, als Bowie hier verkehrte) war entsetzt, dass sie gerade an Bowies Todestag in den Urlaub flog. Drei Stunden später, als sie schon in Madagaskar war, schickte sie die Fotos vom Bowie-Geburtstag; wie wir „Drive-in Saturday“ singen.

Ein Freund vom Spiegel rief an und fragte, ob ich eine Bowie-Anekdote verifizieren könnte. Die Geschichte handelt davon, wie Unbekannte das Fenster des „Anderen Ufer“, der ersten offen schwulen Café der Stadt, eingeschmissen hatten und wie Bowie dann ein paar Stunden in der Nacht vor dem „Anderen Ufer“ Wache gestanden hatte und am nächsten Tag eine neue Scheibe bezahlte.

Er hielt den Bowie-Trubel, der nun losging, für völlig übertrieben. Rio Reiser sei doch viel wichtiger gewesen. Oder Ray Davies von den Kinks. Ich war wütend über meinen Freund; ich zweifelte kurz an seiner lebensgeschichtlichen Kompetenz.

Für den 20jährigen, der ich mal war, war Bowie dagegen sozusagen die emotionale oder ideologische Heimat gewesen, man (also die lesenden Bowiefans mit Hang zur Subkultur sozusagen) war ja nicht links, sondern irgendwie bowie-links und das beinhaltete prinzipielle Promiskuität, Drogen, sowie alle Künste. Mit allen teils auch lustigen Folgen, wie dass man als Teenager meinte, überall geheime Drogencodes zu entdecken, wie ein paar Jahre zuvor schon bei den Beatles. Das Kinderlied „Kooks“, nach dem sich ein sympathsicher Verlag benannte, handelte unserer Ansicht nach zum Beispiel von Haschkeksen.

Auf Drogen

Facebookfreunde aus anderen Zusammenhängen, mit andren Geschichten, posteten Songzeilen wie

„and when he’s strong he’s strong for you, and when you kiss it’s something new, But did you ever call my name, just by mistake“

um mit denen ins Gespräch zu kommen, die die Zeilen und das Lied („Letter to Hermione“ von Space Oddity) erkannten. Er schrieb, ihm hätte die Poesie, die Schönheit, dieser frühen Bowiesachen so gut gefallen; ich erzählte, wie meine Eltern ein bißchen entsetzt waren, über das Bowie-Poster in meinem Teenagerzimmer; wie es war als „Teeniebopper“ Bowiefan zu sein.

Und dachte daran, wie wir als Teenager auf Drogen immer Bowie gehört hatten. Oder an den hochbegabten Schulfreund, der sich dann das Leben genommen hatte – eigentlich war er kein richtiger Popmusikfan gewesen, aber die getragenen, traurigen Stücke von „Low“, „Warszawa“ usw. hatte er großartig gefunden.

Auf der Walze meiner Schreibmaschine, auf der er manchmal geschrieben hatte, hatte ich später die Worte „du spielst!!!“ entdeckt. Das „du spielst“ war gleichzeitig der Vorwurf, der echten, authentischen Leute gegen Bowie und seine große Qualität; das überall anschlußfähige Spiel, das trotzdem ernst war.

Andreas, ein Schriftstellerkollege und Fußballtorwart, der Bowie erst 1996 entdeckte, als Outside rauskam, schrieb, „was für ein Abschiedskünstler er war. Schon in den Songs 2002 auf Heathen dreht sich ja alles um Verschwinden und Goodbye, kann das gerade nicht ohne Tränen hören.“ Und ich antwortete, dass Tod und Abschied im gesamten Werk sehr präsent ist und zählte die Stücke auf. „My Death“, das Jacques-Brel-Lied, dass er immer gerne gesungen hatte, „Five Years“ – als ich es die ersten male gehört hatte, war ich mir sicher, auch nicht mehr als fünf Jahre noch zu haben - , „Rock’n’Roll-Suicide“ natürlich und nun „Lazarus“ als Gruß aus dem Jenseits.

Eine Freundin kondolierte, eine mexikanische Freundin, Anfang 30, schickte mir um sieben Abends eine Nachricht: "David Bowie ist tot". Sie hatte den Tag über gearbeitet und die Nachricht erst jetzt bekommen. Ich überlegte ein paar Minuten, ob ich ihr tatsächlich das „Lazarus“-Video empfehlen sollte, weil es so furchtbar traurig ist.

Detlef Kuhlbrodt(geb. 1961 in Bad Segeberg) ist Autor und freier Journalist. Zuletzt erschien Umsonst und draußen (Suhrkamp 2013)

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