Der Intendant sitzt im dunklen Jackett überm schwarzen T-Shirt auf der sparsam erleuchteten Bühne, neben ihm Gregor Gysi mit roter Krawatte und brauner Lederaktentasche, ganz rechts Dieter Mann im grauen Zweireiher. Thomas Langhoff ist noch genau sieben Stunden Chef des traditionsreichen Hauses an der Berliner Reinhardtstraße, ehe er sich die Verantwortung aus den Klamotten schütteln kann. Ihm zu Füßen sitzt ein übervolles Haus, es ist heiß und stickig. Im ersten Rang schreit ein Mann die Einlasserin an: "Wenn Sie noch mehr Leuten die Tür aufmachen, gibt es hier eine Katastrophe!" Einstürzende Altbauten. Ein Theater erinnert sich an sich selbst. Gysi moderiert zurückhaltend die beiden Bühnenhasen Langhoff und dessen Amtsvorgä
28;nger Mann. Der spricht über die Wende und was das DT dazu beigetragen habe, dass Schauspiel zu DDR-Zeiten politischer und eingreifender gewesen sei. Es sei nun mal kreativer, mit der Macht über Konzepte zu streiten als über Geld. Langhoff bremst und warnt vor einer Idealisierung vergangener Zeiten. Er hat vor allem einen Feind, den einstigen Kultursenator Radunski (CDU), der ihm vorzeitig den Vertrag kündigte und das schöne Wort Bemühenszulage zu einigem Glanz brachte, das so viel changierender ist als eine Geldzusage. Wie Schuldner hätten er und sein Kollege Götz Friedrich von der Deutschen Oper dagestanden damals vor den Senatspolitikern, die ihre Aufsichtspflicht außerordentlich genau nahmen. "Hätten sie vielleicht lieber bei den Banken tun sollen", sagt Langhoff unter großem Beifall. So was kommt an. Gysi übt sich in Zurückhaltung. Sogar als Dieter Mann sich für die Zukunft einen klugen Intendanten, einen kreativen Kultursenator und einen verständnisvollen Bürgermeister wünscht. Der Politiker lächelt geschmeichelt und beweist, dass auch er ein guter Mime ist.Das Deutsche Theater war immer eine Institution des Widerstehens und der Innovation zugleich. Zwei ihrer Intendanten haben die Schauspieler zu sozialistischen Zeiten weggeekelt. 1965 habe ich als Student einen sogenannten Kleindarsteller beim DT abgegeben, habe mit dem schmalen Dieter Mann als Zugschaffner in Schlacht unterwegs zusammen auf der Bühne gestanden. Die Akteure mochten uns Studenten, im Unterschied zu den hauptberuflichen Komparsen, die gemeinsam mit uns unter der Fuchtel von Herbert Röhmelt, genannt Hacken-Ede, standen. Oft saßen wir mit Dietrich Körner, Dieter Franke und Rolf Ludwig nach der Vorstellung im Theaterkeller. In die Kleindarstellergarderobe rauschte jeden Abend der Schauspielstudent Alexander Lang mit kleinem Köfferchen, schweigend die Menge teilend wie Moses das Rote Meer. Einmal feierten wir Silvester im DT-Keller. Der Kellner Günther, eine fiese Möpp, baute sich vor dem Tisch eines einsamen Greises auf. "Weeßte denn, wer jestan nach dia jefracht hat?" Langsam erwachender Blick: "Nee?" Schmetternde Antwort: "Keen Mensch!"So etwas vergisst man nicht. Und all die Erinnerungen laufen mit, als ich über den sonnigen Vorplatz des Deutschen Theaters und der Kammerspiele gehe. Viele Bekannte. An einem Tisch steht Gisela May, von der hoffentlich mehr bleiben wird als der Satz: "Sag doch nicht immer Mutti zu mir!"Ein älterer Mensch spricht mich an und stellt sich als Bauleiter des Theaters vor. Er zeigt auf das vergoldete Emblem unter dem Giebel des Hauses, einst von John Heartfield entworfen. Ein Markenzeichen. Das wolle der neue Intendant Bernd Wilms weghaben. Falls das stimmt, möchte man dem neuen Chef, leidenschaftlicher Radfahrer wie sein Vorgänger, dringend raten, andere Zeichen zu setzen. "Die Fotos aus dem Foyer sollen auch weg", dreht sich eine Frau zu uns um. Dieses Ensemble scheint ein schwer zu reitender Gaul zu sein. "Zum Schluss Alles Theater" heißt der lange Abschiedsabend, und es lesen für ihre Fans unter anderen Jutta Wachowiak und Ulrike Krumbiegel, Reimar Joh. Baur und Horst Hiemer. Über Lautsprecher erklingen die Stimmen der verstorbenen Kollegen Kurt Böwe, Rolf Ludwig und Klaus Piontek.Inzwischen sind auch Kultursenatorin Adrienne Göhler und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gekommen, um dem Intendanten und seinem Haus die Reverenz zu erweisen. Es ist Wahlkampf in Berlin. Von der Bühne verabschieden sich die Akteure vom Chef, es fließen Tränen. Inge Keller ist dabei, die wunderbare Iphigenie aus den Zeiten, als noch Vater Wolfgang Langhoff Intendant war. Eine Epoche geht zuende. Jetzt bleibt Frank Castorf an der Volksbühne der einzige Theaterleiter aus Ost-Jahren in Berlin. Vielleicht geht er deshalb neuerdings so gebeugt an der Spree spazieren wie ein kriegsgefangener Feldmarschall.