Der Klang des Quasselwassers

Medientagebuch Wer das Gold in den Augen der Mädchen sah: Ein Rückblick auf die Untiefen der Sportberichterstattung

Die Olympiaberichterstattung war für den Rundfunk- und Fernsehkonsumenten auch ein Festival der Klänge. Keinen Sendetermin ließ Gott verstreichen, ohne dass sich nicht in unser Gehirn ein jeweiliger Trailer von ZDF (Anastacia) oder ARD (Sirtakigezitter) hineinfräste. Garniert von Werbesprüchen des Baumarktes OBI, der Anlegerfirma Payback und Telefon-Samsung. Da machte es schon nichts mehr aus, dass uns auch Michael Steinbrecher, Günter Jauch und einige Schauspieler ins Ohr säuselten, das Neueste von T-Mobile zu kaufen. Werbeprostitution in den Zeiten Olympias.

Wenn dieses Gewitter unbeschadet überstanden war, durfte sich unser Ohr an Dialekten des Vaterlandes erfreuen, zumeist westdeutschen. Womit auch in diesem Fall klar gestellt war, wer in den Medien das Sagen hat. Ostdeutsch klang es erst wieder, wenn Goldmedaillengewinner, zumeist aus Brandenburg oder Sachsen, zu Wort kamen. East meets West. Das Klangfestival, beispielsweise recht penetrant aus dem Ruhrgebiet bei den Turnreportagen (Mährkampf, Wätung, Tuuner) wurde allerdings dann aus dem fragilen Gleichgewicht gebracht, wenn der Ex-Schwimmer Steve Theloke auf Sendung war. "Een Sieg ist sischor schwär, oaber niischt unmeeglisch." Theloke, trotz seines indianisch klingenden Namens eine Chemnitzer Ursuppe, war, weil nicht mehr auf Medaillenkurs, der etwas kratzigen Reporterin Christa Haas als ZDF-Co-Moderator zugeteilt, was überraschende Momente ergab. Es fing damit an, dass beide nicht in die Kamera sprachen, sondern sich beim Fachkommentar in die Augen schauten. Wenn Theloke anschließend seinen Schlafzimmerblick Richtung Zuschauer drehte, wusste man nicht, ob man Zeuge eines süßen Geheimnisses geworden oder ob er auf Schwimmentzug war. Zumindest half diese unorthodoxe journalistische Kombination, die Misserfolge der deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer zu kompensieren. Wenn wir dabei der Expertin Kristin Otto, der sechsfachen Olympiasiegerin von Seoul, vertrauen durften, kamen die Spiele in Athen "für die einen zu früh, für die anderen zu spät". Ein anderer Reporter fragte: "Ist das eine Wachablösung?" und bescheinigte sich mit dieser Frage eine "allzugroße Gedankenschwere". Nun, ja.

Sie hatten es nicht immer leicht, unsere medialen Botschafter im Land der Griechen. Hatten sie erst monatelang genüsslich vorausgesagt, dass wohl nicht eine einzige Sportstätte pünktlich fertig werden würde, hatte das Gegenteil dieser Botschaft einige noch immer nicht überzeugt. So entblödete sich eine Moderatorin von RBB-Inforadio noch am 22. August nicht, den griechischen Botschafter mit folgendem Witz zu erfrischen: Treffen sich ein Chinese und ein Grieche. Sagt der Chinese, dass seine Landsleute alle Olympiabauten für 2008 schon 2006 fertig haben wollen. Wir auch, sagt der Grieche. Selten so gelacht, Herr Botschafter. Oder nicht? Journalistische deutsche Wertarbeit. Termine sind haltbar, Vorurteile erst recht. Aber wahrscheinlich war das in der Sendung nur ein multikultureller Diskurs aus deutscher Sicht.

Als nun wirklich jeder feststellen konnte, dass alles in Athen in schönster Vollkommenheit fertig geworden war, musste das Genörgel umgeleitet werden. "Die Griechen sind ja alle in Urlaub, die Stadien gar nicht voll. In Sydney war es viel schöner", tönte es jetzt in die Mikros. Gut, dass die Sportler nicht mithören konnten. Dennoch waren auch die Todesküsse der Reporter präzise: "Bis jetzt sieht das sehr gut aus." "Wir liegen in aussichtsreicher Position." "Jetzt hat die Mannschaft den spanischen Stürmer im Griff". "Fehlerfrei bis jetzt". "Das müsste reichen zum Sieg". Noch nicht ausgesprochen, schon von der Wirklichkeit widerlegt. Da schien es berechtigt, wenn die Süddeutsche Zeitung von der Intensivstation Olympia sprach. Aber wer war Arzt, wer Patient?

Hohe Einschaltquoten gab es dennoch an den 16 Tagen, an denen ARD und ZDF sowie der vorzügliche Eurosport-Kanal von früh bis spät live, aus dem Studio und in den nächtlichen Talkshows von Beckmann und Kerner sendeten. Jedoch, die Medaillengewinner kommen und gehen, Verona Feldbusch und Dirk Bach bleiben bestehen. Auch in Athen. Bei deren Ankündigung fiel es leicht, schon bei Talkbeginn auf den Ausknopf zu drücken.

Erstaunlich, dass das IOC bereits in der Mitte der Spiele den beiden deutschen Öffentlich-Rechtlichen für deren Berichterstattung dankte. Eigentlich soll man den Tag nicht vor dem Abend loben. Als IOC-Vizepräsident Thomas Bach in Athener International Broadcast Center dem ZDF-Olympiaprogrammchef Figgemeier sowie Moderator Steinbrecher symbolisch eine olympische Fackel überreichte, musste man für einen Moment um dessen überreichliche Lockenpracht bangen. Die Gefahr wäre spätestens überstanden gewesen, als die samsonische Tolle des Fernsehmanns bei einem Interview mit dem Ex-Hockey-Nationalspielerin Britta Becker eine Dusche mit dem Gartenschlauch abbekam. Das Mitleid hielt sich in Grenzen. Apropos Hockey. Das überragende Endspiel der deutschen Damen litt unter dem Sieggejammer von René Hiepen (ZDF), der schon kurz nach Spielbeginn den ersten Platz herbeibeschwor. Kein Wunder, hatte er doch vor dem Anpfiff "das Gold in den Augen der Mädels" gesehen, nachdem er "tief hineingeschaut" hatte. Gute Beobachter hätten auch den Sieg des russischen 800-Meter-Läufers Borsakowski vorhersagen können, falls sie vorher das Gold im Mund des Trainers gesehen hätten.

Und wo bleibt das Positive? Die Studiomoderatoren Antwerpes (ARD) und Cerne (ZDF) waren in dem ganzen Zirkus von beruhigender Sachlichkeit, auch Monika Lierhaus (ARD) hatte überzeugende, sprachlich kompetente Auftritte. Im Boxen gab es sogar einen Reporter, der wie in vergangenen Zeiten informativ und sprachmelodiös seine Berichte über die jeweiligen vier Runden brachte. In der Beschränkung liegt der Meister. Warum der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) in einer neuen Verteilung der TV-Rechte nach Olympia bessere Chancen für den Zuschauer sieht, bleibt sein Geheimnis. Man kann ein Interesse der Privaten RTL und ProSiebenSat.1 auch herbeireden. ARD-Sprecher Martin Gartzke meinte denn auch prophetisch: "Es bleibt abzuwarten, ob das öffentlich geäußerte Interesse an Olympiarechten womöglich ein Scheininteresse ist." Auf jeden Fall ein Geldscheininteresse.

Wie auch immer, insgesamt gab es genügend Kompetenz in beiden Sendern. Weshalb wir gnädig darüber hinwegsehen wollen, dass beispielsweise beim Wildwasserkanu ständig Tschechien und Slowakei verwechselt wurden. Dem verbalen Unglücksraben wie anderen olympischen Wortakrobaten sei deshalb die Entschuldigung der Rückenschwimmerin Antje Buschschulte empfohlen: "Irgendwie habe ich das Wasser nicht so richtig zu fassen bekommen."


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