Mauerdisteln

Berliner Abende Potsdam hat die Bundesgartenschau, und das ist auch gut so. Setzt es uns doch in die Lage, mal wieder an die Havel zu reisen, und zwar auf direktem ...

Potsdam hat die Bundesgartenschau, und das ist auch gut so. Setzt es uns doch in die Lage, mal wieder an die Havel zu reisen, und zwar auf direktem Wege und nicht als Sputnik seiner selbst, wie in vergangenen Zeiten. Wer den Potsdamer Hauptbahnhof verlässt, gerät in jene merkwürdigen Passagen, die sich nicht entschließen dürfen, für den Kunden da zu sein. Da sie nun aber mal da sind und nicht der Abrissbirne anheim fallen, was nur gerecht wäre, sollte der Zivilisation erlaubt sein, in den Bahnhofspassagen all das an merkantilem Zeug zu entfalten, von Hennes und Mauritz bis Hussels Süßwaren, was jede Glitzermumie dieser Art zu bieten hat.

Stattdessen schauen wir im Vorbeigehen in schwarz verklebte Schaufenster. Preußische Nüchternheit als Mysterienspiel. Auch die Buga ist so ein schwarzes Schaufenster und entzieht sich vordergründigem Verständnis. Wie anders wären die weiten Flächen zu deuten, auf denen ganz unspektakulär die Gräser und Sträucher unserer märkischen Heimat wachsen ohne den exotischen Anstrich kosmopolitischer Gewächse. Vor einem üppig gewachsenen Acker voller herrlicher Disteln steht kopfschüttelnd ein Dickwanst, glotzt auf die Gewächse und wendet sich an die bäuerliche Familie: »Ekelerregend!« Man sieht ihm an, dass er für eine solche Wahrnehmung auch hätte zuhause bleiben können. Er vermisst wahrscheinlich Äcker voller duftender Rosen. Stattdessen diese Felder des Alltäglichen.

Mir wird die Bundesgartenschau immer sympathischer, zumal uns jetzt im dezenten Mummenschanz irgendwelche Mittelalter-Darsteller entgegentreten, die in ihrem monotonen Singsang von Dudelsack und Trommel eine akustische Ergänzung des Distelstückes sind. Ein paar Leute laufen ihnen hinterher, als ob die Musikanten beim Rattenfänger von Hameln in die Lehre gegangen sind. Viele Besucher liegen auf reichlich vorhandenen hölzernen Gestellen herum, es wirkt nicht indiskret und unterstützt den unspektakulären Eindruck, den diese Schau hervorruft. Nur die Kinder können so viel erholsame Langeweile nicht ertragen. »Ich will in den Tierpark«, ruft ein Mädchen laut und klagend. »Dit is Familie, Annika«, belehrt sie der Vater. »Dit is Familienausflug«. Man kann es sehen, weil auch Oma und Opa nebenher trotten, was es dem Kind nicht leichter macht. Die herausgeputzte Kleine darf nicht mal wie andere ihresgleichen mit den nackten Beinen in einen künstlichen Teich, der so verlockend herüberlacht. Auf den verschlungenen Wegen der Gartenausstellung begegnen wir nach und nach immer wieder den selben Leuten. Eine Fanfanorade wie zu Zeiten des Alten Fritzen.

Platz hat man in Potsdam immer gehabt, damals wie heute, alles noch verstärkt durch einige kapitale Bombenangriffe drei Wochen vor Kriegsende. Das hat Potsdam zu einem städtebaulichen Kentauren gemacht. Das Hinterteil bilden jenes entzückende Holländische Viertel, das nur knapp dem Abriss entging, und die alten Häuser rund um Nauener Tor und Brandenburger Straße, das Vorderteil die sozialistischen Verwaltungsbauten im Schatten der Nikolaikirche. Momentan gibt es in Berlins Nachbarstadt dieselben Debatten um den Wiederaufbau des Stadtschlosses und der Garnisonskirche wie an der Spree, bloß nicht ganz so hektisch. Vielleicht liegt es daran, dass Potsdam zwar ein Kentaur ist, aber ansonsten nicht geteilt war. Die Stadt hat schöne neudeutsche Wörter an sich gezogen, sie liegt im »Umland«, im »Speckgürtel«, den wir wohl alle demnächst etwas enger schnallen dürfen.

Natürlich hat die Buga, der die Stadt zwei neue Straßenbahnlinien verdankt, auch ihren normalen Tribut an Ausstellungen dieser Art, nämlich jene Halle, bei der wie auf der Grünen Woche alle tropischen Pflanzen, Palmen, Kakteen etc. versammelt sind, die der fernwehkranke Deutsche so dringend braucht, wenn er gerade nicht auf Kreuzzug ist. Da sind sich Ost und West ausnahmsweise einmal einig und ziehen besinnlich durch jene Halle, über deren Nutzung nach der Schau im Oktober man gern etwas wüsste. Aber bis dahin dauert es noch ein wenig, und wir besichtigen zum Abschied noch den Garten der Steine. Ganz in der Nähe grüßen Pfingstberg und Belvedere herüber, jene Potsdam wieder zurückgeschenkten Orte, in denen der KGB ein paar Jahrzehnte zu Hause war und von denen man einen herrlichen Blick auf die Pfaueninsel und die Havel Richtung Wannsee haben soll. Aber schon zieht ein Gewitter herauf, wir verschieben den Ausflug auf ein anderes Mal, also vermutlich nie, und fahren mit der Straßenbahn zurück in die anheimelnden Bahnhofspassagen mit ihrem unaufdringlichen Nichts, von wo aus die Züge auf den alten Wegen über Babelsberg und Griebnitzsee rasch die Hauptstadt erreichen. An den Gleisen wachsen all jene schönen Pflanzen, von denen es auf dieser Bundesgartenschau so überreichlich gibt.

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