Den Langstreckenläufer Dieter Baumann konnten bisher leider nur die Radiohörer in seinem Heimatländle Baden-Württemberg mit folgendem Reklamespot hören: "Gut zu wissen, was man isst und trinkt". Die Werbung für Agrarprodukte ist dem Leichtathleten vermutlich inzwischen schwer aufs Gemüt gefallen. Denn nach seinen eidesstattlichen Erklärungen, niemals gedopt zu haben, taucht die Vermutung auf, Baumann habe überhaupt nicht so recht gewusst, was er zu sich nimmt. Obwohl Schwurhände seit Uwe Barschel auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Die zwei positiven Nandrolonproben vom 15. November dieses Jahres muss der Olympiasieger erst einmal erklären. Die Doping-Probe, genommen am 19. Oktober zu Hause in Tübingen und analysiert i
t im IOC-Labor Kreischa, enthält das anabole Steroid Nandro lon, das dem Kraftzuwachs und der schnelleren Regeneration nach hohen Belastungen dient. Baumanns Wert betrug 19 Nanogramm pro Milliliter - der Grenzwert liegt bei zwei Nanogramm.Das Ganze hätte man schnell als übliche Dopingsache zu den Akten Christie, Ottey, Pippig und anderen legen können, jenen Leuten, die auch nicht mehr die jüngsten Leistungssportler sind und offenbar ebenfalls ein bisschen Chemie brauchen für den guten Lauf. Aber Dieter Baumann war ja "der letzte Mohikaner aus dem Stamme der sauberen Sportler", ein Hardliner gegen die Fitspritzerei und ein Denkmal an sportlicher Wohlanständigkeit. Dass der sympathische Lang streckler bisher keine Erklärung für das Gedope geben konnte, entspricht dem gewohnten Szenarium. Interessant ist die Reaktion von anderen Anti-Doping-Päpsten, vor allem des Heidelberger Zellforschers Prof. Werner Franke. Während er und seine Gattin Brigitte Beerendonk, einst eine recht erfolglose Diskuswerferin, bei ostdeutschen Sportlern unter Dopingverdacht noch jedesmal zur Moralkeule griffen, um den Grundsatz in dubio pro reo schon im Ansatz zu kippen, bricht der Wissenschaftler im Falle Dieter Baumanns eine Lanze für ihn. Wie das? In einem Interview mit der Sportzeitung Kicker antwortete er auf die Frage, ob er eine Chance sähe, Baumann vor einer zweijährigen Sperre zu bewahren: "Warum so pessimistisch? Ich werde Dieter Baumann raten, welche Untersuchungen er machen lassen sollte, um den Verdacht abzuschütteln." Der Hardliner als Weichzeichner. Eine seltsame Metamorphose. Plötzlich entdeckt Franke, dass es keine Basis für Doping-Analysen im Falle von Nandrolon gibt. Wenn nicht alles täuscht, hat Franke sich im Falle Merlen Otteys dazu nicht öffentlich geäußert. Der Präsident des deutschen Leichtathletikverbandes, Dr. Helmut Digel, brach in Tränen aus, als er vom neuesten Dopingfall hörte. Nachdem ihn die einstige Olympiasiegerin im Speerwerfen, Ruth Fuchs, die heute für die PDS im Bundestag sitzt, auf seinen Gefühlsausbruch ansprach und etwas mehr Distanz im Umgang mit dem Fall einforderte, erinnerte der Sportfunktionär die Abgeordnete daran, dass er christliche Grundüberzeugungen besäße. Was wohl soviel heißen sollte, dass religionslose Klassenkämpfer für seine Haltung kein Verständnis haben können. Gut gebrüllt, Löwe! Was christlich ist, bestimmen wir. Dass Jesus einst nicht nach dem Mitgliedsausweis für religiöse Gesinnung fragte, Schnee von gestern. Durch die Ungleichbehandlung dopingverdächtiger Sportler aus Ost und West begeben sich die Sportfunktionäre und ihre Weißkittel leider in den Verdacht, mit dem Kampf gegen gefährlich Aufputschmittel zugleich auch eine nachträgliche Revision der Überlegenheit von DDR-Sportlern vorzunehmen.Es verlangt ja keiner, dass Doktor Digel in den berühmten Satz ausbricht:" Ich liebe euch doch alle". Aber ein wenig Abstand im Fall Dieter Baumann wäre dem Leichtathletik-Chef anzuraten. Arbeitsrechtliche Konsequenzen für Baumanns Trainerin und Ehefrau Isabell wird es übrigens laut DLV-Sportwart Rüdiger Nickel nicht geben. Das wird der jahrelang gesperrte Trainer von Katrin Krabbe und Grit Breuer, Thomas Springstein, mit Interesse lesen.Bleibt zu hoffen, dass Baumann vom Dopingverdacht reingewaschen wird. Noch sind die B-Proben nicht geöffnet worden. Auf dem grauen Markt in den USA-Produkten wird mit Nandrolon-Produkten jährlich eine halbe Milliarde Dollar verdient. In einer Zeitung stand, falls Baumann als Doper am Pranger stünde, wäre das genauso wie eine Entlarvung Joachim Gaucks als IM. Ein in jeder Hinsicht interessanter Vergleich. Mit Stasiakten wird schließlich auch eine Menge Geld verdient, und einen grauen Nachrichtenmarkt gibt es ebenfalls. Ein Moralmarathon für den Tübinger Weltklasseathleten. Mal sehen, ob er durchhält.