MEDIENTAGEBUCH Menschen Ende dreißig stehen vor der Kamera und rezitieren laut, was sie vor rund zwanzig Jahren über einen Schriftsteller aufschrieben, der häufig ...
Menschen Ende dreißig stehen vor der Kamera und rezitieren laut, was sie vor rund zwanzig Jahren über einen Schriftsteller aufschrieben, der häufig in ihrer märkischen Schule zu Gast war, um mit ihnen zu reden und um ihnen aus seinen Werken vorzulesen. "Ich finde, Herr Fühmann ist ein lustiger Mensch." Eine Aufnahme zeigt, wie der 1984 verstorbene Autor mit den Kindern über Prometheus diskutiert, und es ist keine Tümelei im Spiel. Fühmann war auf seinem langen und schmerzhaften Erkenntnisweg bei den Schwachen angekommen, den Kindern und den Behinderten.
Im operativen Stasivorgang "Filou", der über ihn angelegt wurde, meinte der damalige Staatssekretär im DDR-Kulturministerium, Kurt Löffler, Fühmann nehme zunehmend die Züge ein
ißig stehen vor der Kamera und rezitieren laut, was sie vor rund zwanzig Jahren über einen Schriftsteller aufschrieben, der häufig in ihrer märkischen Schule zu Gast war, um mit ihnen zu reden und um ihnen aus seinen Werken vorzulesen. "Ich finde, Herr Fühmann ist ein lustiger Mensch." Eine Aufnahme zeigt, wie der 1984 verstorbene Autor mit den Kindern über Prometheus diskutiert, und es ist keine Tümelei im Spiel. Fühmann war auf seinem langen und schmerzhaften Erkenntnisweg bei den Schwachen angekommen, den Kindern und den Behinderten.Im operativen Stasivorgang "Filou", der über ihn angelegt wurde, meinte der damalige Staatssekretär im DDR-Kulturministerium, Kurt Löffler, Fühmann nehme zunehmend die ZXX-replace-me-XXX252;ge eines Geisteskranken an. Das übliche Muster. Wahrscheinlich hatte der Funktionär nicht die Besessenheit eines Schreibenden erkannt, der sich selbst für die Zeit vor dem gescheiterten Prager Frühling von 1968 als den "Vergangenheitsbewältiger mit der schönen Sprache" bezeichnete.Karlheinz Mund hat einen Dokumentarfilm über die letzten Jahre Fühmanns gedreht, als dieser sich regelrecht in einen Stoff verbissen hatte, der zur Metapher seiner gesamten Arbeit werden sollte und an dem er scheiterte. Im Berg beschreibt den Aufenthalt des Autors im Mansfelder Land, wo er mit Bergleuten in den Schacht zum Kupferfördern einfuhr, ihnen zuhörte und sie beobachtete. Er führte Tagebuch über diese Zeit und sammelte Material für ein Buch, von dem 150 Seiten fertig geworden sind. Er hoffte, im Berg "Zugang zur Geschichte zu finden wie der Bergmann zum Erz." Er kroch auf den Knien und den Ellenbogen hinter den Kumpeln her wie einst Novalis und Clemens von Brentano. Seit Jahrtausenden war in der Gegend um Mansfeld Kupfer gefördert worden. Seit einigen Jahren ist dort endgültig damit Schluss. Fühmanns Aufenthalt in Mansfeld wurde ihm zur Metapher für die eigene Arbeit. Man kratzt als Schreibender an der Oberfläche, geht tiefer, dann beginnen die Probleme.Karlheinz Mund, der sich mit genauen, verstörenden Künstlerporträts einen Namen gemacht hat, nimmt sich auch in diesem Film Zeit. Lange Kameraeinstellungen geben den Interviewten Raum, diese Geschichte eines Missverständnisses zwischen Fühmann und den Bergleuten Gestalt werden zu lassen. Der 1922 im sudetendeutschen Rochlitz an der Elbe Geborene, nach Krieg und Gefangenschaft in der DDR Lebende sitzt vor den Arbeitern und Kulturfunktionären und spricht mit ihnen über die Kraft der Mythologie. Es ist Mitte der siebziger Jahre, der vermutlich letzte Moment einer möglichen Balance zwischen Geist und Macht in Ostdeutschland. Die Bergleute denken, Fühmann soll ihnen ein literarisches Denkmal setzen, wie es manche Adepten des sozialistischen Realismus taten. Sie können nicht erkennen, dass er bei ihnen anderes sucht, das weit hinausgreift über die alltäglichen Plackereien und kurzen Erfolge. Dass das Symbol Bergwerk für ihn kein Grab darstellt, sondern tief in die Geschichte führende Kerkergänge bis zu Hephaistos, dem unglücklichen Sohn des Zeus, und bis zur Erdmutter Gaia. Solches Denken ist kaum vermittelbar, so dass die Provokationen gegenüber dem Dichter zunehmen. In Versammlungen soll er sich von Kollegen distanzieren, beispielsweise von Sarah und Rainer Kirsch. Als er sich das energisch verbittet, wird ihm in faulen Entschuldigungen entgegen gehalten, so sei halt Bergarbeitersprache, Werktätigendialekt.Mund lässt viele Quellen für diese Entfremdung sprechen, beispielsweise die Schriftstellerin Sigrid Damm, die einen Essay über Fühmann und das Bergwerk verfasste, seine Schwester, Arbeiter, die damals mit ihm einfuhren, Germanisten, Kollegen. Aus ihren Äußerungen wird deutlich, dass sich dieser außerordentliche Wahrheitssucher schmerzhaft häutete wie ein Marsyas. Wir sehen sein asketisches Gesicht, die brennenden Augen, den nach unten gezogenen Mund. Aufnahmen kurz vor seinem Tod bei einer Lesung vor Kirchenmitarbeitern. Er zieht Bilanz, spricht über das Bergwerk: "So wie es ist, bleibt es Rohmaterial. Das Ding ist misslungen." Es hefte ein Fluch darauf, die Nachwelt solle es ausgraben.Der Film über Fühmann ist im Mitteldeutschen Rundfunk gelaufen, am 24.5. zur angemessen schlechten Sendezeit kurz vor Mitternacht. Wenn das Fernsehen seinen Bildungsauftrag noch ernst nehmen würde, müsste er zur Primetime gezeigt werden als ein wahrhaftiges Dokument über das schwierige Leben in der DDR ohne Schwarz-Weiß-Malerei. Es darf nicht sein, dass Fühmann als ein Zeuge des Jahrhunderts so in Vergessenheit gerät und stillgelegt wird wie das Bergwerk, an dem er sich abarbeitete. Die Inschrift auf seinem Grabstein ermuntert junge Schriftsteller, sich an die Wahrheit zu halten. Eine rührende, haltbare und altmodische Forderung.
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