In Anknüpfung an alte Traditionen haben sich Landwirte, Farbstoffhersteller, Färber und Stoffhändler in Brandenburg mit einem ganz besonderen Ziel zusammengeschlossen: Sie wollen Naturfasertextilien mit Farben aus einheimischen Färberpflanzen kombinieren. Wenngleich sie technisch mittlerweile alle Hürden überwinden konnten, bleibt ein Problem nach wie vor ungelöst: die Nachfrage nach der pflanzengefärbten Naturfaserbekleidung hält sich noch in Grenzen.
Rose, Rubin oder Zimt. Cappuccino, sattes Schoko. Das sind die Farben der Sommersaison. Die Kollektion soll "freizügig, sportiv und sexy" sein. Und die eigentliche Branchensensation: Alle luftigen Kleider, Hosen, Oberteile sind mit Textilfarben gefärbt, die aus einheimischen Färberpflanzen gewonnen werden. Vielleicht könnte die Mode im Jahre 2006 mal so ausfallen. Die Gegenwart sieht anders aus. Zwar sexy und in Rubin oder Zimt, aber eben nicht mit natürlichen Farbstoffen.
Trotzdem sind "Farben aus der Natur" längst nicht nur reines Wunschdenken, sondern bereits angewandte Praxis - wenngleich bisher nur bei wenigen Pionieren wie dem Berliner Stoffhändler Steffen Weiß, der ganzheitlich auf Natur setzt. "Hanf, Leinen und Wolle sollte man konsequenterweise mit Pflanzenfarben färben", so sein Credo. Folgerichtig präsentierte er schon vor zwei Jahren auf der Potsdamer Bundesgartenschau eine Damenkollektion aus pflanzengefärbten Naturtextilien, die sandfarbene, rotbraune und goldgelbe Braut- und Cocktailkleider, Kostüme, Westen und Hosen zeigte. Und das ohne jeglichen Ökomuff, was in der von Chemiefarben und Synthetikstoffen dominierten Branche für reichlich Furore sorgte.
Dabei kommt der Färberrohstoff direkt von brandenburgischen Feldern. Auf knapp zehn Hektar baut die Agrargenossenschaft Dürrenhofe die Färberpflanzen Krapp und Färber-Resede an. Während der goldgelbe Farbstoff der Resede, die als Zierpflanze auch im Garten eine schöne Optik abgibt, aus den oberen Pflanzenteilen einschließlich der Blüte gewonnen wird, steckt das rotbraune Pigment des Krapp in der Wurzel.
Dem Feldanbau geht eine langjährige pflanzenbauliche Vorarbeit auf den Versuchsfeldern des brandenburgischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Landwirtschaft in Güterfelde bei Potsdam voraus. Die Federführung für das Projekt liegt in den Händen von Agraringenieur Lothar Adam. Er möchte den Färberpflanzenanbau reaktivieren und damit wieder an eine alte Tradition anknüpfen, die durch den Einzug der Petrochemie vollständig verdrängt wurde. Wichtig ist dem Färberpflanzenexperten, dass die Landwirtschaft beim Aufbau einer textilen Kette ihren festen Platz findet. "Naturfaser mit einheimischen Pflanzenfarben zu färben, ist eine Produktidee, die wir als Chance für regionale Partner sehen, deshalb wollen wir unbedingt auch die Landwirte in Brandenburg mit einbinden", sagt Adam. Zwar stehe das Netzwerk aus Landwirten, Extraktionsunternehmen, Färbern, Ausrüstern und Stoffhändlern inzwischen, doch müsse der Markt erst noch vorsichtig abgetastet werden, um wirklich den Sprung zur Serienproduktion wagen zu können, sagt Adam, der selber sehr gerne Hanf- oder Wolljacketts trägt. Auch Stoffhändler Weiß freut sich über die ersten Ergebnisse. "Natur nicht zur Chemie, sondern zur Natur zu bringen", ist sein Slogan, mit dem er für das Projekt innerhalb der Textilbranche wirbt.
"Die Extraktion von Pigmenten entsprechend industriellen Standards ist heute kein Problem mehr", erklärt auch Ulla Eggers vom Naturfarbenhersteller Livos in Wieren. "Wir können heute ein breite Palette von Farben aus verschiedensten Färberpflanzen extrahieren und je nach Bedarf mischen. Aber bisher sind die Aufträge für Textilfarben noch zu klein, um wirklich betriebswirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen", meint die Biochemikerin vom bundesdeutschen Marktführer. Bei kleinen Chargen müsse einfach zu viel auf Halde produziert werden, was zu viel Kapital binde.
Auch der industrielle Färber hat mit kleinen Mengen ein echtes Kostenproblem. Das weiß keiner besser als die Textilfirma Spremberger Tuche. Trotzdem hat das Textilunternehmen aus Spremberg mit seinen Tests bewiesen, dass ein Färben von Naturtextilien mit Pflanzenpigmenten in großtechnischen Anlagen funktioniert. "Früher gab es mit Pflanzenfarben immer Ärger, weil die Pigmente zu groß oder zu klein waren", erklärt Horst Kuhlee, Naturfaserexperte bei den Spremberger Tuchen. "Diese Probleme haben wir aber praktisch gelöst."
Spremberger Tuche färbt und veredelt Gewebe. Dabei hat der Betrieb mit der Geschäftsführerin Christine Herntier schon in den neunziger Jahren viel Pionierarbeit in Sachen Naturtextilien geleistet. Besonders mit Hanf wurde im schmucklosen Nachwende-Neubau im Spremberger Gewerbegebiet experimentiert. Mit dieser Faser wollte man an die große Textiltradition in der Lausitz anknüpfen, an die der Straßenname "Tuchmacherallee" erinnern soll. "Wir haben geglaubt, dass die Hanfeuphorie uns nach vorne bringt", erzählt Kuhlee im Konferenzzimmer, wo an einer Kleiderstange die zahlreichen Ergebnisse der wechselvollen Pionierarbeit hängen. "Die Euphorie war aber ein Trugschluss", sagt er heute rückblickend, "weil es damals noch keinen akzeptablen Faseraufschluss gab. Aus dem Hanfstroh konnte doch keiner eine vernünftige Faser herstellen". Statt mit der Textilindustrie versuchten es die Lausitzer dann mit der kanadischen Verpackungsindustrie. Die Kanadier zeigten sich am Hanfgewebe interessiert, doch letztlich scheiterte auch dieses Geschäft, bevor es richtig anfing.
Trotz der vielen Desaster brachte die Hanfphase wichtige Erkenntnisse. "Wie bekommen wir eine raue Hanffaser weich und geschmeidig, das war unsere Kernfrage", erzählt Kuhlee. So wurde in Kooperation mit dem Maschinenbauer Thiel das Garn mit einer neuartigen physikalisch-technischen Methode "weichgeklopft". Dadurch erhält das Hanfgewebe ein eleganteres Aussehen, wie ein großes Farbfoto an der Wand beweist. Eine unbekannte Schöne aus Spremberg präsentiert Hose und Weste aus Hanf in Farben aus Resede und Krapp.
Noch edler wirken Gemische aus Leinen und Seide, Leinen-Hanf sowie Leinen-Wolle, die nicht nur für Bekleidung, sondern auch als Dekostoffe, für Tischdecken, Vorhänge und Bezüge interessante Alternativen bieten. Produktionstechnisch ist also alles startklar. Fehlt nur noch ein neues Image für die nach wie vor absatzschwachen pflanzengefärbten Naturtextilien. Doch sieht zumindest Ulla Eggers von Livos neue Entwicklungen am Modehorizont. "Im nächsten Frühjahr will man auf den Modetagen in Florenz auch Markenartikel in Naturtextilien präsentieren. Und in England gibt es einen Trend zu historischen Modethemen aus Naturstoffen mit Pflanzenfarben." Wenn nur fünf Prozent aller Textilfarben aus Pflanzen hergestellt würden, so Eggers weiter, dann wäre die hiesige Landwirtschaft mit dem Anbau von Krapp und Resede, aber auch von Waid und Färberknöterich, den Lieferanten von blauem Farbstoff, im großen Stil beschäftigt.
Das käme sicherlich auch der brandenburgischen Textilkette zugute. Allerdings warten ihre Akteure nicht darauf, dass irgendein junger, wilder Designer in Paris, Mailand oder sonst wo eine Erleuchtung bekommt, sondern suchen neben dem sensiblen, unbeständigen Modebusiness nach Marktsegmenten, die nicht so sehr dem modischen Diktat unterworfen sind. Berufskleidung für Mitarbeiter von Fast-Food-Ketten oder Tankstellen wären Bereiche, in denen sich die Promoter für Pflanzengefärbtes gute Chancen ausrechnen. Und Steffen Weiss will selbst die Staatsgewalt naturalisieren: "Ich könnte mir auch vorstellen, dass beispielsweise die Berliner Polizei künftig in einem pflanzengefärbten Hanf-Leinen-Dress auftritt."
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.