Abgeschriebene leben länger

MEXIKO Für die Präsidentschaftswahl 2000 hat sich die Staatspartei PRI wieder einen Anstrich von Wählbarkeit verschaffen können

Auf einen ersten Blick bietet die mexikanische Ökonomie derzeit keinen Anlass zu alarmierter Sorge - für alle Eventualitäten sind Devisenreserven angehäuft und sogar Sonderkreditlinien seitens des IWF eingeräumt. Keine akuten Gefahrenherde also, sieht man von dem ma roden Bankensektor ab, der seit der "Peso-Krise" von 1994/95 völlig unterkapitalisiert und mit "faulen Krediten" beladen ständig am Rande des Kollaps balanciert. Die Regierung des Präsidenten Ernesto Zedillo hat bereits über 90 Milliarden Dollar in dieses Fass ohne Boden gepumpt und damit zugleich eine wichtige innenpolitische Konfrontationslinie aufgebaut. Sollte eine Reihe negativer Faktoren zusammentreffen, könnte die in lateinamerikanischen Bankenkreisen gebrauchte Bezeichnung für Mexiko als "safe heaven" schnell hinfällig sein. Als Auslöser wären eine sich abschwächende Konjunktur in den USA - verbunden mit einer Zinserhöhung dort -, ein Rückgang der mexikanischen Exporte, das Ausbleiben eines neuen Kapitalzuflusses oder eine Verschärfung der schwelenden Bankenkrise denkbar. Die Lage bleibt demnach labil, da das (neoliberale) Grundgerüst, das die Makroökonomie abstützt, nur sehr fragile Träger aufweist.

Auf politischer Ebene hat eine fortschreitende Demokratisierung Mexiko offenbar zu neuen Ufern geführt. Mit der unter Zedillo etablierten unabhängigen Wahlkommission - vor allem mit dem Resultat der Kongress wahlen vom Juli 1997, bei denen die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) ihre absolute Parlamentsmehrheit verlor - wurden die Entscheidungen in der Volksvertretung wichtiger als je zuvor und in vielem offener. Andererseits ist der Grad der Institutionalisierung und Habitualisierung neuer Verhaltensformen noch so niedrig, dass keineswegs behauptet werden kann, Mexiko befinde sich in ruhigem demokratischen Fahrwasser. So erwiesen sich die im März 1999 abgehaltenen internen Kandidaten-Wahlen bei der sozialdemokratisch orientierten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) als desaströs, mussten sie doch wegen allzu großer Unregelmäßigkeiten (was bislang der PRD immer am PRI-System moniert hatte!) annulliert und wiederholt werden. Sicherlich war die im November vollzogene analoge Kandidatenkür des PRI gegenüber der jahrzehntelang geübten Praxis des dedazo - einer Bestimmung des Nachfolgers im höchsten Staatsamt mittels Fingerzeig des amtierenden Präsidenten - ein enormer Fortschritt in politischer Zivilisierung. Da Zedillos Wunschkandidat, der einstige Innenminister Francisco Labastida, in den Primaries mit einer überraschend klaren Mehrheit siegte (er gewann von 300 Distrikten 272, sein härtester Konkurrent nur 19), ist die Gefahr eines internen Bruchs der quasi Staatspartei PRI vorläufig gebannt. Der Umstand, dass immerhin zehn Millionen Mexikaner (jeder 5. Wahlberechtigte) an diesem Votum teilnahmen, ließ erkennen, dass es dem PRI wieder gelungen ist, bei beträchtlichen Teilen der mexikanischen Bevölkerung ein Image von Wählbarkeit zu erzeugen.

Die wohl definitive Entscheidung der beiden größten Oppositionsparteien - der konservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und des bereits erwähnten PRD - keinen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, hat die Chancen für Labastida zweifelsfrei erhöht. Der PRD wird nun mit Cuauhtémoc Cárdenas, der schon zweimal bei Präsidentschaftswahlen unterlag und dessen Aktivitäten als Bürgermeister von Mexiko-Stadt seit 1997 nicht sonderlich erfolgreich waren, ins Rennen gehen; der PAN mit Vincente Fox, einem früheren Gouverneur von Guanajuato und Top-Manager von Coca-Cola-Mexiko.

Es erstaunt, wie wenig bisher die erwähnten Dauerprobleme des Landes im Wahlkampf von Belang sind. Konfliktherde, wie der lang andauernde Streik der Studierenden an der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM), der gewerkschaftliche Protest gegen eine drohende Privatisierung der Elektrizitätsindustrie oder der Konflikt in Chiapas, scheinen Themen zu sein, die alle Kandidaten (vielleicht mit Ausnahme von Cárdenas) in der öffentlichen Debatte am liebsten vermeiden würden, da sie um deren Sprengkraft wissen.

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