Wer gegen Ende des Jahres 1988 den Beginn des Wahlkampfs um die Präsidentschaft in Argentinien beobachten konnte, hätte wohl niemals vermutet, dass der Kandidat der Peronisten, Carlos Saúl Menem, über zehn Jahre im Amt des Staatsoberhaupts und Regie rungs chefs verbleiben und Argentinien tiefgreifend verändern würde. - Der von syrischen Einwanderern abstammende Jurist und damalige Gouverneur der zurückgebliebenen Provinz La Rioja zeigte sich in seiner Kampagne kaum als zündender Redner - was sowohl Stil und Form als auch den Inhalt seiner Ansprachen betraf. Man konnte den Eindruck gewinnen, er versuche, durch wohlbedachte Inszenierungen, die bald das Image eines Caudillos aus dem 19. Jahrhundert (backenlange Koteletten, weit auf den Nacken fallende H
e Haarpracht) erweckten, bald das Flair des sich mit Rennwagen, Frauen und dem Bonareneser High-Life bestens auskennenden Playboys verströmten, seine Mittelmäßigkeit zu überdecken.Menem gewann die Wahlen klar und trat in einem Klima des ökonomischen und politischen Chaos vorzeitig das Präsidentenamt im Juli 1989 an. Die andauernde Stagnation sowie die jährlich drei- oder vierstelligen Inflationsraten konnte er zunächst ebensowenig wie sein Vorgänger Raúl Alfonsín (Radikale Partei) in den Griff bekommen. Erst Anfang 1991, als mit Domingo Cavallo ein neuer Wirtschaftsminister antrat und mit ihm eine klar neoliberale Ausrichtung die Leitlinie der gesamten Politik wurde, begann ein rascher und tiefgreifender ökonomisch-sozialer Umformungsprozeß. Kern dieser Politik waren die feste Koppelung des argentinischen Pesos an den US-Dollar und eine Geldpolitik, die den Umfang des Geldumlaufs an die Devisenreserven in US-Dollars knüpfte. In Verbindung mit einer Zollsenkungsrunde, der Liberalisierung nach außen und innen, einer energischen Privatisierungspolitik gegenüber den zahlreichen staatlichen Unternehmen, einer effizienteren Steuerpolitik - zeigten sich sehr bald positive Auswirkungen dieses Kurses: die Inflationsrate sank relativ schnell auf einstellige Werte, das notorische Haushaltsdefizit verwandelte sich in einen Überschuss, Investitionen und Exporte wie insgesamt das Bruttoinlandsprodukt erreichten zwischen 1991 und 1994 Wachstumsraten von sechs bis zehn Prozent. Werte, die Argentinien seit über 50 Jahre nicht mehr registriert hatte. Natürlich war dafür auch der jahrzehntelang aufgestaute Nachhol- und Ersatzbedarf von großer Wichtigkeit.Der beginnende neoliberale Umbau der Gesellschaft - er stand im Gegensatz zum Wahlprogramm Menems - wurde begleitet von der Forcierung des regionalen Integrationswerks Mercosur, das - sicherlich nicht zufällig - 1991 seine bis heute gültige institutionelle Gestalt fand und sich bis 1998 sehr dynamisch, die Wirtschaftsentwicklung positiv beeinflussend, entfaltete. Außenpolitisch orientierte sich das Landes fortan strikt an den USA, was ebenso - wie der Versuch, die Gewerkschaften auf eine neoliberale Modernisierung umzupolen - nur als äußerster "Verrat" am ursprünglichen Peronismus interpretiert werden konnte. Dennoch setzte sich Menem aufgrund seiner erfolgreichen Anti-Inflationspolitik und einiger gezielter sozialpolitischer "Wohltaten" im eigenen Lager und vor allem bei den Gewerkschaften durch - die "altperonistischen" und unabhängigen, antikapitalistischen Strömungen blieben eindeutig in der Minderheit. Auch gelang es ihm in dieser Zeit, linke Gruppierungen, wie etwa Menschenrechtsgruppen und andere soziale Bewegungen, zu isolieren und politisch in den Hintergrund zu drängen. Gleichzeitig vermochten die drastische Kürzung des Verteidigungsbudgets sowie die Privatisierung von Militärfabriken die traditionell starke Stellung der Streitkräfte in der argentinischen Gesellschaft klar zu schwächen.Auf dieser Welle des Erfolgs schwimmend, gelang es Menem sogar, die wichtigste Oppositionskraft, die Radikale Partei (UCR) in einen Pakt zur Verfassungsänderung einzubinden, die es ihm ermöglichte, ein weiteres Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren. Der hohe Wahlsieg 1995 (fast 50 Prozent für Menem) kam gerade noch rechtzeitig, bevor der sogenannte "Tequila-Effekt" der Mexiko-Krise (1994/95) die Rezession in Argentinien spürbar verstärkte und die Arbeitslosenquote auf 17 Prozent - ein in Argentinien in dieser Dimension völlig unbekanntes Phänomen - hochschnellen ließ. Damit war der Zenit des "Menemismus" überschritten, die Kritik (auch innerhalb der eigenen Reihen) an seiner Politik intensivierte und differenzierte sich. Außer der erratischen ökonomischen Entwicklung und ihrer sozial polarisierenden Wirkung kam es zu einer Häufung hochkarätiger Korruptionsskandale, von Fehlleistungen und Versäumnissen der Regierung. Die Rentner, Lehrer, Fuhrunternehmer, Studenten und Menschenrechtsgruppen, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und viele andere, die eindeutig zu den Verlierern des neoliberalen Umbaus zählten, formierten sich zum Protest. Eine neue Partei, der sogenannte FREPASO (Frente de un país solidario), aus linksperonistischen Hinterlassenschaften und anderen kritischen Strömungen 1996 gebildet, erzielte bald bedeutende Wahlerfolge. 1997 schlossen sich der FREPASO und die UCR zu einem antiperonistischen, antimenemistischen Bündnis ("Alianza") zusammen.In einem Klima erneuter Rezession (1999 wird mit einem BIP-Minus von drei Prozent gerechnet) wurden die Zweifel an der bisherigen neoliberalen Wirtschaftspolitik immer lauter artikuliert. Selbst der peronistische Präsidentschaftskandidat Duhalde kritisiert mehr oder weniger offen seinen Vorgänger, und der Allianz-Kandidat de la Rúa hat einige wichtige sozialpolitische Vorschläge unterbreitet (unter anderem ein Beschäftigungsprogramm vor allem für Jugendliche). Sogar die bis vor wenigen Jahren als überwiegend konservativ geltende katholische Kirche hat harsche Kritik an der in den neunziger Jahren auf fast 20 Prozent gestiegenen Armutsquote geübt. Immer bewusster wahrgenommen wird die zunehmende Spaltung der argentinischen Gesellschaft in Superreiche und relativ Begüterte einerseits und eine grassierende Armut und Unsicherheit, die weit in die Mittelschichten hinein vorgedrungen ist, andererseits. Daraus resultierende Probleme wie eine rapide gestiegene Alltagskriminalität und weitgehende Straflosigkeit (infolge eines korrupten und ineffizienten Polizeiapparats) oder eine wachsende Fremdenfeindlichkeit sind Nebenprodukte der Menemschen Modernisierungspolitik. Unübersehbar ist vor den Wahlen der Wunsch, zwar den Anti-Inflationskurs beizubehalten, nicht aber die negativen Begleit erscheinungen der neoliberalen Politik insgesamt erdulden zu müssen. Die oppositionelle Allianz UCR/FREPASO kann zwar auch keineswegs auf ein klares und die Mehrheit der Argentinier begeisterndes oder zumindest glaubwürdiges Konzept verweisen, dennoch sind ihre Chancen groß, die Peronisten - im Präsidentenamt - abzulösen. In Anbetracht der langandauernden Hegemonie in der nun zu Ende gehenden Menem-Ära sind allerdings noch eine Reihe "peronistischer Widerlager" vorhanden, auf Parlaments- und Gouverneursebene ebenso wie in Justiz und Verwaltung. Ein drastischer Wechsel scheint daher ausgeschlossen. - Wie in Großbritannien, dem Land, welchem die "Hass-Liebe" der Argentinier gilt, könnte auf eine brutale "Thatcher-Periode" von zehn Jahren eine sozial moderierte Version des Neoliberalismus à la Tony Blair folgen.